In den
ersten fünf Teilen erlebt Aljoscha wie ein Mann auf der Straße zusammenbricht
und sich daraufhin ein Doktor und eine Heilerin an Kopf und Füße gegenüberstehend,
um die richtige Behandlung des Kranken streiten. Dabei schneit dieser Mann vor
aller Augen Stück für Stück ein und verstirbt schließlich. In der Zwischenzeit
stellen sich die Bewohner des Ortes stellvertretend für ihre Ansichten hinter
den Doktor oder die Heilerin. Aljoscha entscheidet sich für den Doktor. In der Folge
entkommt er mehreren Schlägereien und landet halb erfroren an genau jener
Stelle, an der der Mann am Morgen erfror. Er findet eine Ledertasche mit
Papieren des Mannes. Diese nimmt er an sich und wird von einem weiteren
Betrunken verprügelt. Der Gastwirt will ihn nicht mehr in seiner Gaststube
haben. Somit wird es für ihn Zeit, einen anderen Ort zu suchen:
Er sah in den Lichtkegel, der aus dem Fenster der Gaststube leuchtete, in dessen Fensternische er seit mehreren Jahren hockte, sich recht und schlecht im Gastraum aufwärmte, dabei auf die übervollen Teller der Gäste schielte und ungeduldig darauf wartete, dass einer von den gut gekleideten Herren satt oder zumindest müde wurde, den halbvollen Teller launig von sich schob und kopfüber am Tische einschlief. Aljoscha wusste, dass mit den Ereignissen der letzten Tage eine Rückkehr in den wärmenden Gastraum mit seinen weit gereisten Gästen und dem gewalttätigen Besitzer unmöglich geworden war. Ohne es begründen zu können, ahnte er, dass er aus diesem Ort weggehen musste. Es war ihm nur noch nicht ganz klar, wohin er in dieser Welt zu gehen hatte, wo ab jetzt sein neuer oder gar angestammter Platz werden würde. Er grübelte, ob es richtig war, so zu denken und ob es richtig war, die Geschwister ohne einen herzlichen Abschied allein zu lassen. Andererseits wollte er dem Jähzorn und der Wut der unberechenbaren Heilerin mit all ihren Anhängerinnen entweichen. Denn so viel war ihm klar, sie würde ihn nun, nachdem ihre Macht von ihm und den Doktor Michail Michailowitsch in diesem Ort infrage gestellt worden war, nicht mehr in Ruhe lassen und, wo sie nur konnte, ihn verfolgen. Das Gasthaus als tägliche Zuflucht, die Schule mit dem Lehrer, der grundlos zuschlug und der Vater, der nach dem Tod der Mutter traurig und manchmal unberechenbar wurde, und die Geschwister, um die er sich zu kümmern hatte, waren nun nicht mehr sicher. In diesen Bereichen seines Lebens hatte die Heilerin, wenn sie nur wollte, Zugang und konnte ihren Hass jederzeit durchsetzen. Um sich diesen einengenden Gedanken zu entziehen, machte er das, was er gern in solchen Momenten tat, er sah in den Himmel und suchte seine Heiligen. Dass sie ihn beschützten, wusste er, denn zu oft war er in seinem bisherigen Leben dem Tode nahe gewesen und jedes Mal wurde er, wie durch ein Wunder, gerettet. Nur das dieser Himmel, in dem seine Schutzheiligen wohnten, jetzt voller weißer, dicker Schneeflocken war. Er verfolgte einen vorbeiziehenden Windzug, der eine Vielzahl von Schneeflocken in einem Zuge mit sich fortriss und zu einer einzigen großen Wolke verband. Er folgte ihrem langgezogenem Wolkenflug aus dem Dunkel der eiskalten Nacht auf die verschneite Straße, die Wegbiegung mit ihrer kindshohen Verschneeung, sah weiter und weiter, hinüber zu den Häusern und von dort wie sich die Tür des Gasthauses in dem schneefeinen Gestöber, das sich rasch um die Tür zu einem tanzendem Spiel verwirbelte, öffnete und zwei angetrunkene Gäste aus dem Lichtkegel mehr oder minder singend herausschwankten. Sie stützten sich an den Schultern, klopften sich abwechselnd auf die Mäntel und liefen den beschneiten Weg zur Straße in seine Richtung entlang und diskutierten lebhaft über finanzielle Möglichkeiten, ja gar den unsagbaren Reichtum, den Sankt Petersburg oder Moskau böten. Sie waren sich einig, dass ein jeder ehrbarer Russe die Städte mit den goldbedeckten Kathedralen, den Flüssen und den großen farbigen Palästen mit ihren ausladenden Treppenanlagen, die sich an den breit ummauerten Ufern wie Perlen aufreihten, sowie die Einwohner in ihren edlen Kleidern, unbedingt gesehen haben musste. Auch waren sie sich einig, dass die Petersburger Mädchen, hoje, den Moskauer Frauen, naja, in jedem Fall vorzuziehen seien. Dabei schnalzten sie laut und fuhren sich anerkennend über ihre Bärte. Aljoscha weckte bei dem Gespräch, das er, so gut es eben im Schneegestöber zu belauschen war, weniger die Lust auf irgendwelche Mädchen oder gar Frauen, denn damit konnte er in seinem Alter nicht wirklich etwas anfangen, egal wie oft und merkwürdig die Männer darüber zu sprechen kamen. Manchmal ging ihm die Heimlichtuerei der Großen zu weit und er war sich sicher, dass das nicht viel mehr sein konnte, als Besserwisserei gegenüber den Kleinen. Denn so viel hatte er begriffen, hatten die größeren Jungen tatsächlich mit Mädchen zu tun, waren sie meist launisch oder sonnten in Tagesfantasien vor sich hin und waren außer Stande auf dem Felde die ihm zugewiesene Arbeiten zu verrichten. Und nicht selten bekamen sie für ihre Mädchenträume eine mit dem Besenstil oder gleich die flache Hand. Aljoscha weckte vielmehr die Vorstellung vielleicht in diese Kathedralen und Paläste gehen zu dürfen, zumindest kurz hineinzuschauen, um die goldglänzenden hochherrschaftlichen Leute oder gar die Zarenfamilie bestaunen zu können. Diese Vorstellung gefiel dem Jungen und er folgte den Herren so nah als nur irgend möglich, um ja keines ihrer kostbaren Worte zu verpassen. Diese Worte zogen den Jungen immer und immer näher an die beiden Herren heran, dass er ihnen, als diese plötzlich an einer Kreuzung zu stehen kamen, fast in den Rücken gefallen wäre. Die Herren besprachen noch dieses und jenes und verabredeten sich schließlich für den nächsten Tag Punkt neun Uhr an der Bahnstation nach Moskau, um gemeinsam ins Kaufhaus zu gehen und dort die neuesten Waren von Übersee einzukaufen. Die Verabredung gefiel Aljoscha. Und so beschloss der Junge, in seiner Not und auch aus seinem kindlichen Wagemut heraus, am anderen Morgen ebenfalls dort zu erscheinen und sich hinter den beiden Herren auf irgendeine geschickte Art in eine der vielen Wagons zu schleichen, sich unter eine Bank zu legen oder hinter einen Stapel Waren zu kauern und ebenfalls nach Moskau zu fahren. Vielleicht bekäme er für den Inhalt der gefundenen Tasche etwas Geld, um seinen Geschwistern warme Kleidung und Schuhe zu kaufen. Vielleicht könnte er dem Schaffner bei seiner Rückkehr auch das nicht bezahlte Fahrgeld nach Moskau zurückerstatten, denn Dinge zu benutzen, ohne sich die Genehmigung des Eigentümers einzuholen, oder sie gar zu stehlen, war Sünde.
Am anderen Morgen, es war immer noch kalt und der verdeckte Himmel ließ den Schnee immer noch herunterrieseln, wenn auch nicht mehr in der Fülle, wie die Tage zuvor, tummelten sich die dickbepelzten Damen und Herren umringt am ofenbeheizten Bahnsteig und traten von einem Bein aufs andere und sahen ungeduldig in Richtung, aus der der Zug kommen musste. Bei dem Anblick der feinen Leute wünschte sich Aljoscha in eben einem solchen Pelz zu stecken, weniger weil er zu diesen ehrbaren, hochgestellten Leuten zählen wollte, nein, das war ihm bewusst, dass solch ein vermessener Wunsch gegen die heilige Ordnung und somit nur Unheil mit sich bringen konnte. Vielmehr wünschte er sich in einen Pelz, weil er sich seit gestern Nachmittag auf der Straße befand und fror. Und immer wenn er fror wünschte er sich gern in die wohltuende Wärme dieser edlen Pelze hinein, denn das gab ihm für einen Moment das wohlige Gefühl nicht mehr so sehr zu frieren. Bei diesen Gedanken schlich er an den Holzstapel, griff sich zwei Scheide und trug sie zum Ofen. Er spekulierte darauf, dass keiner dieser Wartenden sich fragen würde, was der zerlumpte Junge dort tat. Vielmehr würden sie wie von einer unsichtbaren Hand dirigiert, stillschweigend Platz machen und ihm seine niedere Arbeit verrichten lassen. Und so trat Aljoscha an den Ofen heran, besah ihn, legte erst einen Scheid, danach den anderen Scheid auf den Boden, nahm das Ende seines Schals, wickelte es um die Hand und öffnete ganz langsam die Luke. Er ging einen Schritt zurück, danach wieder nach vorn, nahm den Schürhaken, drehte ihn um die eigene Achse, rieb das saubere Eisen sauber und stocherte genüsslich in der orangen Glut. Die Wärme, die die Öffnung hergab, tat ihm gut. Am liebsten hätte er sich neben den Ofen gelegt und die Müdigkeit und die Aufregung der letzten Tage mit einem ausgiebigen Schlaf beendet. Wieder stocherte er in der Glut und beobachtete die Wartenden. Wie von ihm vorhergedacht, beachteten sie ihn keines Blickes und erzählten von den Schönheiten, die Moskau zu bieten hatte, und von dem, was sie in den unzähligen Geschäften für ihre Verwandten alles zu kaufen gedachten. Für einen Moment träumte er sich bei der wohltuende Wärme in all die gesagten Worte und Wünsche der Umherstehenden hinein, schloss die Augen und taumelte leicht vor sich hin. Doch ein Schlag in den Nacken und die Aufforderung nicht zu träumen und vielmehr seine Arbeit zu verrichten, ließ ihn wieder wach werden. „Du elender Faulpelz, wir frieren hier und du steht faul herum, na so etwas hat der Herrgott zum frühen Morgen noch nicht gesehen. Nichtsnutz!“ Aljoscha hob den Scheid und schob ihn schnell in die Öffnung. „Na wird’s was, du Taugenichts! Beeil dich, sonst mach ich dir Beine!“ Aljoscha mit der Stimme des Mannes im Nacken, hob rasch den anderen Scheid auf und schob ihn ebenfalls hinein. Er sah wie die Flammen sich um die zwei Holzscheide schlangen und Stück für Stück an ihnen empogzüngelten und kurz aus der Luke herausloderten. Verschlafen hob er die Hände und hielt sie in Richtung Öffnung. Ein weiterer Schlag von links und dann einer von rechts auf sein Genick nahmen ihm das Gleichgewicht. Um nicht mit dem Gesicht in die Öffnung zu stürzen, streckte er die Arme, spreizte die Hände seitwärts und stützte sich mit dem ganzen Gewicht seines schmalen Körpers an der metallenen Ofendeckung ab. Er stieß die Teekanne um, dass sie krachend in den Schnee fiel und diesen für einen kurzen Moment braun werden ließ, um dann in Windeseile zu Eis zu gefrieren. Der Mann schlug ein weiteres Mal auf ihn ein, dass er sich noch fester an der glühenden Ofenabdeckung festhielt. Die Hitze schoss in die Hände. Es kam ein weiterer Schlag und ein Fluch hinzu. Ein anderer Mann, zog ihn von dem Ofenloch weg und rieb ihm frischen Schnee auf die Handinnenflächen. Aljoscha begriff nicht recht was mit ihm geschah. Er zog die Schultern zusammen und beugte sich nach vorn. Aus dieser demütigen Stellung heraus, die weitere Schläge verhindern sollte, versuchte er den Mann, der seine Hände abrieb, zu erkennen. Er blickte für einen kurzen Moment zu ihm auf und erkannte Doktor Michail Michailowitsch, der ihn und seine Geschwister in letzter Zeit mit guten Worten und kleinen Geschenken unterstützte, und hinter dem er sich heute Morgen gestellt hatte, als die Heilerin kreischend den Sterbenden im Schnee für sich beanspruchte und ihn dann kurzerhand erfrieren ließ. „Aljoscha, meine guter Junge, was machst du denn hier? Guter Junge, du gehörst nach Hause!“ Nachdem der Doktor ihm die Hände gründlich mit Schnee abgerieben hatte, kam der pochende Schmerz in ihm wieder hoch. „Was willst du hier!“, fragte er und Aljoscha antwortete zögernd: „Ich will nach Moskau, verehrter Herr!“ Nach einer Pause rief der Doktor: „Unsinn, Moskau ist nichts für dich, du überlebst dort keine zwei Wochen. Moskau ist etwas für feine Leute. Besser du bleibst hier!“ Doch Aljoscha blieb hartnäckig und sagte. „Ich, ich kann doch nicht…, Sie wissen, was die Heilerin angerichtet hat, Sie wissen, sie wird jeden im Ort gegen mich aufbringen, den Gastwirt, den Lehrer, den Vater, die Frauen vom Markt. Alle! Alle! Wo soll ich hin? Außerdem habe ich die vielen Papiere aus dem Beutel bei mir. Die muss ich doch irgendwem übergeben!“, flüsterte Aljoscha. Bei dem Wort Beutel zuckte der Doktor für einen Moment zusammen und schaute nach links und rechts, ob auch niemand zuhörte. Er holte tief Luft, schwenkte seinen rundlichen Kopf mit der großen, runden goldfarbenen Brille, die auf seiner Fleischnase wie ein aufgestecktes Fahrrad am Bordstein steckte. Und um ein Haar wäre bei der übereifrigen Bewegung die spitze Pelzmütze vom Kopfe heruntergefallen. Er holte noch einmal Luft, dieses Mal vorsichtiger, drehte wie geistesabwesend die Hand einmal um die eigene Achse herum und zog sie mit den Fingerspitzen nach unten, als wolle er einem eben eingetretenen Patienten bedeuten, dass er sich ohne viel Federlesen zur anstehenden Untersuchung entkleiden und hinlegen solle. In einem undefinierbaren Tone sagte er: „Zeig mir doch einmal die Papiere!“ Aljoscha holte die Papiere aus der linken und rechten Hosentasche und übergab sie dem Mann. Der Doktor hielt sie vor sich hin, schob den Kopf mit der aufgesteckten Brille noch näher an die Papiere und musterte die Zeilen von oben bis unten wie die Haut eines unbekleideten Patienten. Dann sagte er: Soso, naja, hm!“ Und nach einer Pause sagte er „das ist aber interessant!“ und schob dabei seinen Kopf zurück, wieder vor und wiederholte: „So, so, interessant! Sehr interessant… hab ich so noch nicht gelesen… da müssen wir sehen!“ Er sah von den Papieren abwechselnd zu dem Jungen in Richtung Zug, sah wieder zu dem Jungen, schob den Kopf hoch, um etwas Bedeutendes zu sagen, zog den Kopf aber abrupt zurück bis tief in den Kragen hinein, sodass man denken konnte einen Mann ohne Hals vor sich zu sehen. Aus der Brille schielend, die wie auf seinem Kragen zu thronen schien, sagte er erstaunt: „Soo, so, ach je, du frierst ja mein Junge, du frierst. Oh, entschuldige“ und griff in seine Tasche, nahm eine zusammengefaltete Decke heraus, die er wohl auf längere Fahrten mitzunehmen pflegte, und wickelte sie fest um die Lenden des Jungen und knotete sie vorn am Bauchnabel gekonnt mit einer straffen Schleife zusammen. Der Zug fuhr ein und die Leute in ihren Mänteln drängelten Pelz an Pelz, Mütze an Mütze, Schulter an Schulter an die Wagontüren, dass man das Gefühl bekam in einer einzigen Woge aus braunen, schwarzen, ockerfarbenen Fellhaaren unterschiedlichster Formen und Längen zu schwimmen. Die Leute stiegen hektisch ein oder drängelten mit mahnenden oder vorwurfsvollen Worten heraus. Doktor Michail Michailowitsch griff den Jungen abrupt am Arm und sagte: „Aljoscha, höre mir jetzt gut zu! Diese Zettel haben, glaube ich eine große Bedeutung. Sie könnten dein und mein Leben im Guten wie im Bösen verändern. Wenn du bereit bist, immer das zu tun, was ich von dir verlange und mir verspichst, stets bedingungslos zu gehorchen und deinen Mund zu halten, nehme ich dich mit nach Moskau. Versprich mir das!“ Der Junge, der nicht mit der Heftigkeit und dem klammernden Griff des schmächtigen Doktors gerechnet hatte, stand sprachlos vor ihm. Aljoscha ahnte seine Sprachlosigkeit. Er ahnte, dass er nicht schwieg, weil es sich nun mal so gegenüber den Wohlgeborenen dieser Welt gehörte, oder weil er drohenden Schlägen entgehen wollte oder weil es klug in dieser Situation gewesen wäre. Nein, er schwieg, weil er diese Situation gegenüber einem geliebten Menschen überhaupt nicht kannte. Und erstmals, so schien es ihm, wagte er sich, dem Doktor ins Gesicht zu sehen und er wusste nicht, was er von diesem Gesicht halten sollte. Er sah die braunen Augen hinter Gläsern unter flauschigen Augenbrauen. Ihn verwirrten die vielen Pelzkragen, die sich hektisch in einem Knäul hin und her um den Mann mit der Goldbrille bewegten. Ihn störte der Ruß, der den Bahnsteig entlang zog. Ihn verunsicherten die fleißigen Gepäckträger, die schnellen Schrittes ihre schweren Kofferkarren quer durch die vielen Leuten störungsfrei zu manövrieren versuchten. Wegen alledem blieb er stumm. Wieder griff der Doktor ihn am Arm und wiederholte seine Worte, dieses Mal eindringlicher, und er sprach ihn beim Namen an. „Aljoscha! Aljoscha, hörst du mich. Bist du bereit dich mir bedingungslos unterzuordnen!“ Der Junge sah auf die Brillengläser des Mannes und erkannte in ihnen das Gesicht eines Jungen mit schmalem Gesicht, schmaler Nase, langen lockigen ungepflegten Haaren auf einem dünnen Hals, der wiederum im gestrickten Schal seiner Mutter steckte. Der Doktor warf seine Tasche zu Boden, riss die kurzen Arme hoch und drehte sie im Kreis vor den Augen des Jungen und fragte in die Länge gezogen: „Aljoscha?“ Der Junge nickte geistesabwesend. „Aljoscha, bist du bereit“, hob der Doktor an und in die Länge gezogen, „das zu tun, was ich dir sage und mir nicht zu widersprechen, egal, was ich von dir verlange?“- „Einsteigen, Einsteigen, bitte einsteigen!“, rief eine warnende Stimme. „Einsteigen, der Express nach Moskau fährt in wenigen Minuten ab!“ Bei dem Wort Moskau wurde der Junge aus seiner Starre wach und sah durch die Gläser und erblickte den Zorn des von ihm verehrten Mannes. Der Doktor wedelte immer noch mit seinen Händen vor den Augen des Jungen. Aljoscha nun wach geworden, drehte den Kopf nach links und rechts, sah den langen Zug mit seinen vielen Wagons und der dampfenden Lokomotive, die ihn in die Paläste und Kathedralen bringen sollte. Er erinnerte sich an die blödsinnige Formulierung, dass Petersburger Mädchen irgendwie schöner seien als die Moskauer Frauen und hatte auf einmal eine Ahnung, dass da irgendwas dran sein musste, den Mädchen klingt doch irgendwie viel weicher als das Wort Frauen. Außerdem spürte er wieder den Wunsch seinen Geschwistern nach seiner langen Reise viele Geschenke mitzubringen. Er hob die Schultern weil er nicht wusste, was es mit dem Doktor, den Geschenken, der Heilerin auf sich hatte, weil er Hunger verspürte, weil der Nacken schmerzte, die Hände brannten, weil der Bahnsteig zunehmend leer wurde, weil… „Alles einsteigen, alles einsteigen, der Zug nach Moskau fährt gleich ab. Bitte alles einsteigen. Letzte Möglichkeit!“ „Aljoscha“, wiederholte der Doktor, “bist du bereit!“ – „Alles einsteigen!“ rief der Bahnvorsteher unbestimmt. „Aljoscha, wirst du das tun, was ich von dir verlange?“, mahnte der Doktor. „ Bitte wegtreten und die Türen schließen! Bitte gehen Sie dort weg, verehrter Herr!“, rief der Bahnbeamte bestimmt aber freundlich. „Aljoscha!“ – „Bitte von der Bahnsteigkante wegtreten!“, wiederholte der Bahnvorsteher im bestimmten Tonfall. „Aljoscha!“, rief der Doktor wieder und wieder. Von der drohenden Ohnmacht vernebelt, von der irrwitzigen Idee beseelt, sich und seinen fünf Geschwistern aus dem Elend befreien zu wollen, von der Freundlichkeit dieses Mannes irgendwie umhüllt und doch ahnend enttäuscht, von der kindhaft-jugendlichen Verwirrung nach Neuem, nach Unbekannten, nach Licht, nach weniger Schnee, weniger Schlägen, nach Irgendetwas, vielleicht auch nur weit weg vom Fenster, weit weg von den Speiseresten und hin zu den lebenslustigen, frohen Kaufleuten, die ungestüm im Wirtshaus aßen und „Hejo, Herr Wirt riefen“ und von der Fremdheit berichteten, die der Wirt so gern hörte und die sie ihm reichlich mit Trinkgeld vergoldeten, wenn er ihnen nur lange genug zugehört hatte. Der Junge nickte apathisch und sagte benebelt: „Wenn, wenn Sie es wünschen, so gehöre, so gehöre ich Ihnen, verehrter Herr Michail Michailowitsch. Ich, ich mache alles, alles was Sie von mir verlangen, ich gehorche Ihnen, ich werde Sie bedienen, ich…, ich bin gottesfürchtig.“ Er taumelte. „Versprich es bei den Heiligen, bei deiner Mutter und bei deinen Geschwistern!“, zischte der Doktor. „Ich verspreche es beim toten Leib meiner Mutter und bei all meinen Heiligen im Himmel und dem Leben meiner Geschwister!“ Der Doktor machte eine beschwichtigende Bewegung und sagte leise: „Gut Junge, gut, ist schon gut, dann sind wir beide, du und ich, uns einig und an Weihnachten in Moskau. Mit ernster Stimme fügte er zu: „Nun steig ein und folge mir! Beeil dich, komm, deine Zukunft liegt nun in meinen Händen!“ Er steckte die Papiere in seine Brusttasche, griff die Reisetasche und die schlaffe Hand des Jungen und zog sie und seinen nachfolgenden fast wehrlosen Körper die Stufen hinauf in den Zug und den Gang entlang in sein Abteil. Dort angelangt, zog er hastig die Gardinen zu und setzte den Jungen auf den gegenüberliegenden Sitz, auf dem er sofort umkippte und einschlief. Er setzte sich ihm gegenüber und beobachtete den Schlafenden mit den ungewaschenen, schwarzen Locken, dem dürren Körper in der dreckigen Kleidung, der sich bei jedem seiner Atemzüge auf und ab bewegte und von der wollenen Decke, die der Doktor von einer seiner vielen Reisen, über die er sich nur ungern äußerte, mitgebracht hatte und die mit einem festen Knoten am Körper des Jungen nun zusammen gehalten wurde. Fortwährend sah er ihn an und sagte: „Weihnachten, mein Junge, Weihnachten sind wir in Moskau. Weihnachten sind wir bei mir!“ Zitternd putze er die Brille, griff danach noch zitternder in die Brusttasche und holte den Stapel Papiere hervor, die der Junge in den letzten Tagen so sorgsam und nichtsahnend in seinen Hosentaschen mit sich trug. Mit Mühe faltete der Doktor die Seiten auseinander. Beim Knistern des Papierstapels hielt er abrupt die Luft an, dass sein kleines rundes Gesicht puterrot anlief und er nach Luft ringen musste. Dabei zitterten seine Hände so heftig, dass sich die Zettel im Abteil verteilten. Einer dieser Zettel verfing sich in den Locken des Jungen und glitt auf sein schlafendes Gesicht. Unter diesem Blatt, das mit schwungvollen Buchstaben und Zahlenreihen und zwei roten Siegeln mit Doppeladler versehen war, murmelte Aljoscha: „Mos…kau… Peters…b.“ Der Schaffner pfiff zweimal kurz, die Lokomotive schnaufte, die Wagons ruckelten und der Express-Zug nach Moskau setzte sich langsam in Bewegung.