die stricknadeln tanzen in ihren händen
als wurzelten sie der wolle an,
großvater steht wieder vor dem haus und fegt
die blätter vom fenstersims, die nächsten nachbarn
die apfelbäume am feldrand, schon fast kahl,
an den ersten kalten abenden im oktober,
schlägst du dir den schweiß in den hackstock und
kehrst das holz tief in die nase
bis der schornstein raucht, flattern die gebleichten
gardinen auf der wäscheleine, während ihr beide still
körner ausstreut für die vögel, die durchzufüttern sind,
wie einst eure kinder.
Kategorie: Herbst
wer anderen beim aufstieben zusieht
hinter den hügeln, im geäst der thronenden birken,
erspähst du gespenstiges rauschen und krächzen,
doch dann ist es still, so
still um dich und der himmel
so schwarz, dass keine wolke sich trägt,
erheben sich tausende in formation
höher und höher mit steigenden luftmassen,
segeln sie dahin, ohne zu fragen, ohne zu wissen,
sie ziehen den altvorderen nach in eingefleischte winterquartiere.
Über Spinnen – am Beispiel von Barbara
Ich nenne sie Barbara. Mir ist bewusst, dass das albern ist. Ich kann Leute nicht ausstehen, die ihren Autos (Hugo, Jonny), Zimmerpflanzen (Gerda, Paloma) oder Penissen (ich habe allen Ernstes einmal ‘Torpedo’ gehört) Namen geben. Das Benennen von Tieren ist zugegeben geläufiger, dem Tier aber ebenso gleichgültig wie dem Auto. Einer Spinne, die seit dem Frühjahr vor meinem Stubenfenster wohnt einen Namen zu geben, hat dementsprechend mehr mit mir zu tun als mit ihr. Es war ein Versuch der Annäherung, vielleicht sogar der Aneignung.
Ich vermeide es, Insekten zu töten. Ich finde, dass Insekten mit dem gleichen Recht auf diesem Planeten wandeln wie ich. Nur weil ich sie leicht töten könnte, heißt das noch lange nicht, dass das auch richtig wäre. Wobei richtig und falsch zu belächelnde Kategorien sind, denn Insektenrechte haben keine Lobby; selbst wenn ich sie verletze, erwachsen mir daraus keinerlei Sanktionen.
Leider muss ich zugeben, Spinnen mit der gleichen Mischung aus Ekel und Furcht zu betrachten, wie die meisten. Was also passiert, wenn sich eine von ihnen entscheidet, vor meinem Stubenfenster ihr Netz zu spinnen?
Ein Freund war zu Besuch, als ich die damals noch sehr zierliche Barbara dabei entdeckte, sich einzurichten. Die Hände auf dem Rücken verschränkt beobachteten wir das Treiben einige Minuten lang mit großer Bewunderung. Ein Seil abzusondern, das einen trägt, während man sich kopfüber der Schwerkraft spottend von einem Haltestrang zum nächsten schwingt, kann nichts Anderes als Staunen auslösen. Die Schwerkraft, erklärte mir mein Freund auf die rhetorische Frage hin, wie es die Spinne hinauf zu meinem Fenster geschafft habe, sei ohnehin eine Freundin der Insekten. Im Frühjahr, im April genauer, sei es der Wind, der die jungen Spinnen an den Ort trage, an dem sie ihr Leben verbringen werden. Die Poesie dieses Gedankens ließ uns einige Sekunden schweigen — nicht andächtig, eher hilflos.
Ich war schon auf dem Weg, Saftglas & Postkarte zu holen um das Tier auf die Grünfläche vor meinem Haus umzusiedeln, als mein Freund einwandte, dass mir doch gar nichts Besseres passieren könnte, als ein Spinnennetz vor meinem Fenster. Den ganzen Sommer lang hätte ich Ruhe vor Mücken und Wespen, eine natürliche Falle für — respektive: gegen — Stubenfliegen und eine gratis Barriere gegen Nachtfalter, die mich häufiger erschrecken. Außerdem wäre ich bei allem Gespinne, Gekämpfe und Gefresse dabei, ohne auch nur einen Fuß vor die Tür setzen zu müssen und könnte so endlich meine irrationale Angst vor Spinnen überwinden. Spinnen haben reichlich Anlass, sich vor uns zu fürchten. Aber wir? Unsere Angst sei alt und nutzlos und eine Beleidigung der Schöpfung.
Ein Blick genügte, damit mein Freund mit ‘Ja, Schöpfung!’ fortfuhr. Das habe nichts mit Religion zu tun, sondern mit dem Erkennen universeller Prinzipien. Ich solle nur hinsehen, nur einen Sommer lang. Ich würde das schon kapieren.
Das einzige Gegenargument, das mir einfiel (und dass ich mich zu äußern traute) — Was, wenn sich die Spinne in einer kühlen Nacht entschiede, zu mir nach drinnen zu ziehen und während ich schlafe von meiner rutschigen Mundhöhle in meinen Rachen zu stürzen? — entkräftete er mit dem Hinweis, dass die damals noch namenlose Barbara, sehr offensichtlich keine räuberische Kampfspinne, sondern eine zivilisierte Netzspinne sei, die es im Zentrum ihres Netzes wesentlich gemütlicher fände, als beispielsweise in meinen Nasenlöchern.
Das zweite Gegenargument räumte ich später am Rechner selbst aus: Es stimmt, Kreuzspinnen sind giftig, aber nicht so giftig wie Wespen. Sie verkürzen das Leid ihrer Beute, in dem sie ein tödliches Sekret in sie speien; das hysterische Um-sich-Stechen gieriger Wespen ist den ansonsten friedlichen Spinnen jedoch ebenso fremd wie mir. Ich ließ der Spinne also ihr Netz und taufte sie Barbara. Keine Ahnung warum, ich behaupte, ich habe ihr den Namen aus einer Laune heraus verpasst; alle Namen werden irgendwann aus einer Laune heraus vergeben. Mein Freund behauptet, Barbara sei das gestottert-sublimierte Resultat des Gedankens: Ja, aber acht Beine!
Der sommerliche Blick aus meinem Fenster erschien mir fortan wie eine nicht zu unterschätzende Mischung aus Big Brother und Discovery Channel. Ich guckte viel. Ich googelte viel. Ich habe viel gelernt.
Wenn eine dicke Fliege beim Versuch eine Stubenfliege zu werden eine Netzfliege wird, lässt Barbara sie nicht lange zappeln. Mit ihren langen Beinen registriert sie jede Schwingung des Netzes und kann dabei die Wellen, die ein gefangenes Insekt auslöst mühelos von jenen unterscheiden, die ein dümmlich gegen das Netz pustender oder angewidert mit dem kleinen Finger gegen das Netz stupsender Zuschauer verursacht. Sofort macht sie sich auf dem Weg zur Beute. Sie rennt nicht, sie trödelt nicht, sie läuft etwa in der Geschwindigkeit, in der man zur Arbeit geht. Ich lege den Kopf schief und frage mich, wie es so ein kleines Gehirn wie das von Barbara schaffen kann, acht Beine nicht nur zu kontrollieren, sondern mühelos zusammenspielen zu lassen. Barbara, denke ich, fragt sich indes vielleicht, wie ich es mit nur zwei Beinen überhaupt schaffe, mich fortzubewegen. Nein, sie fragt sich das nicht, sie hat Wichtigeres zu tun. Sie umklammert die Fliege und treibt ihre Kieferklauen in deren Körper. Das gelingt zügig und routiniert; es dauert nur ein paar Sekunden bis die Fliege aufhört zu zappeln. Mit blinder Grausamkeit hat das weniger zu tun als mit Respekt, denke ich, als die Fliege ein letztes Mal zuckt. Ich erinnere mich, an die Klebebandfliegenfänger in der Küche meine Großmutter und daran, über wie viele Stunden sich das verzweifelte Sterben der Fliegen daran hinzog.
Webspinnen — der Begriff ‘Netzspinne’ war eine Erfindung meines Freundes, ebenso wie der Begriff ‘Kampfspinne’; mein Freund ist ein Freak, das haben Sie schon bemerkt; wir haben uns gut verstanden diesen Sommer — jedenfalls: Webspinnen erledigen einen Teil ihrer Verdauung extern. Das klingt eleganter, als es ist: Das giftige Sekret, dass sie in ihre Beute spucken enthält Verdauungsenzyme, die deren Inneres weitgehend verflüssigen. Das dauert ein bisschen — Barbara zieht sich erst einmal zurück.
Meistens beschäftigt sich Barbara in der Zwischenzeit damit ihr Netz auszubessern. Mein Fenster ist ziemlich groß und Barbara gut ausgelastet. Ständig reißt der Wind Haltefäden ab oder allzu schwergewichtige Beute Löcher ins Gespinst. Ich bin inzwischen sehr vorsichtig beim Öffnen meines Fensters geworden um ihr nicht noch zusätzliche Arbeit zu bereiten, aber — Entschuldigung? — ich muss ja wohl lüften. Es hat einige Wochen gedauert, bis ich Barbara so sehr vertraute, dass ich unbeaufsichtigt zu lüften begann. Die Angst, dass die Spinne, sobald die Gelegenheit günstig sei, hinterlistig die Umsiedlung in die Zweige meines im Wohnzimmer befindlichen Ficus benjamini wagen könnte, dessen Äste über mein Bett ragen, hatte sich als überzogen herausgestellt. List allerdings, das zeigten die Beobachtungen, ist durchaus ein Prinzip der Spinne.
Mit den feinen Härchen an ihren Beinen, reinigt sie die schimmernden Fäden von hängengebliebenem Pollen bis sie wieder fast unsichtbar und schön klebrig sind. Manchmal frisst sie den Pollen von ihren Beinen, manchmal schmeißt sie ihn mir aufs Fensterbrett. Hygiene — auch das lehrte mich Barbara — ist eine Notwendigkeit, der vom Insekt bis zum Riesensäuger alle Spezies unterliegen.
Zwischendurch klettert die Spinne immer wieder zur Beute, und betastet sie — wie die Hexe im Märchen den Finger von Hänsel — um den Weichheitsgrat zu beurteilen. Sie umkreist ihre Mahlzeit und manchmal umspinnt sie sie noch mit einen Extrafaden, damit der Wind ihr nicht die labberigen Vorräte stiehlt.
Nur wenn die Beute immer noch nicht durch ist, obwohl das Netz längst perfekt gepflegt in der Abendsonne glitzert, setzt sich Barbara in die Mitte, schaukelt ein bisschen im Wind und lässt sich bereitwillig von mir fotografieren. Niemals habe ich sie nervös, sabbernd oder gelangweilt neben ihrem Abendessen warten sehen. Geduld —das lässt sich leicht beobachten— ist nicht zuletzt eine Frage von gutem Stil. Und guter Stil eine Frage von Genügsamkeit. Kein einziges Insekt verirrt sich in Barbaras Netz solange sie gescheckt und kräftig in dessen Mitte thront.
Mit dem Aussaugen der Fliege, lässt sich die Spinne Zeit; ungefähr so lange, wie ich für einen hochpreisigen Cocktail. Mein Mund verzieht sich unwillkürlich als ich sehe, wie sich der dicke Bauch der Fliege allmählich nach innen zu wölben beginnt, während sich Barbaras Hinterteil aufbläht. Anders als ich in einer Bar ist Barbara ist selbst fürs Abräumen zuständig. Ihr vorderstes Beinpaar hat die feinste Motorik, sie benutzt es, um den leeren Körper der Fliege vorsichtig von ihrem Netz zu trennen. Die hintersten Beine sind die Kräftigsten; mit ihnen stößt sie die zerknitterte Fliegenhülle — Zack! — aus dem Netz fünf Etagen nach unten.
Nach dem Essen ruht sie. Im äußersten Winkel, dort wo der Rahmen meines Fensters ans Mauerwerk stößt, ist Barbaras Schlafplatz. Wie bei meiner Hündin frage ich mich zuweilen ob sie tot ist, wenn ich sie beim Schlafen beobachte. Ich weiß nicht, wie sich die Spinne während der Ruhephasen festhält. All ihre Beine sind eingerollt und sehen vertrocknet und leblos aus. Barbara ist über den Sommer hinweg kräftig gewachsen, aber noch immer sind keinerlei Atembewegungen auszumachen. Kaum setzt jedoch die Dämmerung ein kehrt das Leben zurück in ihre Glieder — zumindest bis heute.
Jetzt ist Herbst und das beunruhigt mich. Es gibt viele mögliche Enden der Geschichte, aber keines gefällt mir; deshalb schreibe ich schon jetzt über meinen Sommer mit Barbara.
Ich gehe davon aus, dass Barbara eine Gartenkreuzspinne ist. Soweit ich gelesen habe, leben Gartenkreuzspinnen zwei Jahre — es sei denn, sie werden vorher von einem Vogel gefressen, wovon nicht auszugehen ist, da Vögel mein Fensterbrett sogar dann meiden, wenn ich es mit Futter für sie dekoriere. Für den Winter suchen sich Gartenkreuzspinnen für gewöhnlich einen etwas wärmeren, etwas geschützteren Ort. Ich hoffe Barbara ist klar, dass dieser Ort nicht diesseits meiner Fensterscheiben zu suchen ist. Mit Nachbarn zieht man nicht zusammen, man darf selbst tiefe Sympathie nicht überstrapazieren.
Sofern Barbara ein Weibchen sein sollte — ihr Name legt das nahe, aber sie kennt ihn ja nicht — ist das Risiko groß, dass sie schon in einigen Wochen stirbt. Die Eiablage ist sehr kräftezehrend und dürfte kurz bevorstehen.
Allerdings habe ich niemals Herrenbesuch bei Barbara beobachtet — kein Wunder, ich lebe im fünften Stock. Möglicherweise ist Barbara also Jungfer geblieben, was ebenfalls sehr traurig wäre. Wozu ist sie denn so wunderbar fett geworden, wenn nicht, um das Wissen um einen guten Ort zum Leben und ihre Fertigkeiten in Sachen Nest – pardon! – Netzbau an ihre Brut weiterzugeben?
Wenn Barbara aber Herrenbesuch hatte und stark genug ist, die Eiablage zu überleben, ist das leider ebenfalls kein Happy End. Hinter dem angenehm biologisch-distanziert klingenden Terminus ‘Eiablage’ verbirgt sich nichts anderes, als das Spinnen von vier bis fünf Kokons, die Barbara anschließend mit Eiern füllen würde, und zwar mit 40 bis 50 Eiern – jeweils. Die mindestens einhundertsechzig Jungspinnen würden noch vor dem Winter schlüpfen, bis ungefähr März aber freundlicherweise in ihren muckeligen Säckchen bleiben und vom Dottervorrat leben.
Ich wohne gern hier und war zuerst da. Die gründliche Versiegelung meines Wohnzimmerfensters mit Silikon stellt für mich keine akzeptable Lösung dar. Ich kann nur hoffen, dass der Wind dreht.
Versuch eines Haikus
ein gelber schirm, der
schützt dich vor dem ung´stümen
blätterregen – fort!
#1
heute male ich den trübsinn mir auf.
gebettet auf kissen,
verkrieche ich mich unter den rüschen und mustern,
nur die nase lukt hervor und wartet auf
:herbstwind.
/d