Pauke Petrys Plan platzt /Hörn Höcke

Pauke Petrys Plan platzt

Pauke Petrys politische Pöbeleien passen planlosen Pegidaanhängern perfekt. Plötzlich plappern politisch prasselblöde Pegidisten Paukes perverse Putin-Phantasien. Parteiübergreifend pfeifen politikinteressierte Personen Pfeifkonzerte, parodieren prachtvoll Petrys Pampe, präsentieren per Parlamentsbeschluss Persönlichkeitsrechte pur. Plötzlich platzt Pauke Petrys Plan. Peng!

Hörn Höcke

Hörn Höcke hockt hinterlistig hinter hochgezimmerter Hirnschranke. Hörn horcht hungrigen Hilfesuchenden hinterher, hetzt, holt hastig hasserfüllte Hilfsbürgertruppen herbei. Hundert hat Höcke herausgeschrien! Hunderttausend! Hunderttausende! Hundertmillionen Hilfebedürftige holen Häuslebauers hartersparte Habseligkeiten heraus, handreichen Hehlerwaren. Halt! Halt hetzt Höcke herzaufbäumend. Halt! Halt! Höckes Hilferuf hinterlässt hilfswillige Helfershelferhelfer. Herbeigeströmte hetzen Hilfesuchende. Hörn Höckes Hysterie hat Hochkonjunktur.

Europarechtler Erdogan – Masse mal Maaslosigkeit

Europarechtler Erdogan

Eilig ersetzt Erpresser Erdogan ersatzlos Europarecht. Er erzählt epenhaft, er errette Eulen. Erdogans Etüden erzürnen Europapolitiker (etwas). Eiskalt erpresst er Eliten, ebenso einfältig empfängliche Einwohner. Erlasse erledigen erbarmungslos ehemals ehrbare Existenzen. Entmutigt emigrieren einige. Europapolitiker erstarren entgeistert, experimentieren eindeutiges Europarecht, erschwindeln Etikette. Ekelhaftes Einvernehmen. Erdogan exerziert exaltierte Ersatzarmeen, erpresst eisern, ermittelt effektiv, einstweilen exemplarisch. Erfolgsmann Erdogan äschert einsame ängstliche Eulen ein. Erdoganisch erodiert „Einiges Europa“.

Masse mal Maaslosigkeit

Musterschüler Meiko Maas macht mit Maaslosigkeiten mediale Massenüberwachung momentan möglich. Mittels maasgeschneiderten Mutmaasungskatalogen minimiert Messdiener Maas moderne Medienrechte, macht Meinungsfreiheit mundtot, Menschenrechtsorganisationen machtlos, Mediennutzer mutlos. Meikos Maasregelwahn mobilisiert Massen. Meutere mit!

Gepäck im Kopf

Sag mal, der Rucksack da: Wem gehört der?

Weiß ich nicht.

Und wie lange steht der schon dort?

Keine Ahnung! Wenn du nicht ohne Unterlass auf dein Telefon gestarrt hättest seit wir eingestiegen sind, wüsstest du es. Smombie!

Kannst du bitte aufhören, offizielle Jugendsprache zu benutzen? Du bist über 30.

Ich müsste keine offizielle Jugendsprache benutzen, wenn du dich nicht verhalten würdest wie ein sozial degenerierter Teenager.

Aber findest du das nicht komisch?

Was?

Dass der Rucksack hier steht? Herrenlos? In einer vollen U-Bahn, mitten in der Rush Hour?

Kannst du bitte aufhören, 80er-Jahre-Sprache zu benutzen? Ich meine: Obwohl du über 30 bist?

Kannst du mir bitte antworten?

Nein!

Nett von dir.

Nein, ich meine: Ich finde das nicht komisch. Da hat jemand seinen Rucksack abgestellt. Fertig.

Aber wer?

Vielleicht die Frau da, mit den blonden Streichholzhaaren? Diese biegsamen Brillenbügel, diese schmalen Lippen – die sieht sportlich aus, der würde ich so einen Rucksack zutrauen. Ist ja so ein Outdoor-Rucksack, oder?

Naja, so ein Pseudo-Outdoor-Rucksack. Damit man ihn kauft, wird er mit aufregenden Abenteuern in der Wildnis beworben und wenn man ihn gekauft hat, will man ihn wegen seines Preises, doch lieber weich in den Schrank legen. Guck mal die Schuhe der Frau an. Wie sauber die sind! Niemals würde die zulassen, dass ihr Rucksack den siffigen Boden eines U-Bahn-Waggons auch nur streift.

Aber sie hat keine andere Tasche dabei.

Trotzdem. Der Rucksack gehört bestimmt dem Typen da in der schwarzen Lederjacke.

Ausgeschlossen. Der ist dermaßen stylo, der würde unter keinen Umständen so einen piefigen Pseudo-Outdoor-Rucksack aufsetzen.

Findest du den heiß?

Was? Ich sage nur, dass sein Outfit kein Zufall ist. Dieser enge flaschengrüne Pulli ist an sich schon eine Style-Rakete. Aber dazu noch die farblich passenden Chelsea-Boots zu finden, würdest du jedenfalls nicht schaffen.

Was für Boots?

Siehste? Der ist jedenfalls so verliebt in sich, dass er sich niemals etwas antun würde.

Er muss sich ja nichts antun wollen. Kann ja sein, dass es ihm reicht, uns etwas anzutun. Vielleicht steigt er gleich aus, schreibt seinem Rucksack eine SMS und – Boom!

Was soll das denn bringen?

Ich tippe mal auf: Tod und Verwüstung?

Ja, aber die kommen doch nur ins Paradies, wenn sie selbst auch sterben. Sonst sind sie ja keine Märtyrer, oder? Heißt das auch Paradies bei denen? Machen die das überhaupt um ins Paradies zu kommen?

Die machen das aus Hass auf unseren gottlosen Lebensstil.

Ich glaube die machen das aus Neid und Rache. Für die sind wir die reichen, geizigen, egozentrischen, ignoranten Hedonisten. Wir denken, wir seien die Guten. Aber das denken die auch. Von sich.

Der Typ in der Lederjacke sieht aber selber egozentrisch und hedonistisch aus. Oder? Gockel.

Jedenfalls sieht er nicht danach aus, als würde er sich für Jungfrauen interessieren.

Aber wem gehört der Rucksack dann? Jeder weiß doch, dass man sein Gepäck nicht unbeaufsichtigt herumstehen lassen soll. Ist das nicht sogar verboten?

Ich wage zu bezweifeln, dass Terroristen ihre Rucksäcke brav auf dem Rücken behalten würden, wenn es verboten wäre sie abzustellen. Außerdem beaufsichtigen wir das Gepäck doch sehr aufmerksam.

In Köln haben schon Kofferbomben gestanden!

Aber das ist zehn Jahre her und die Dinger sind nicht explodiert. Außerdem war das am Hauptbahnhof. Wir sitzen hier in der U7 nach Spandau. Nur Steglitz könnte noch weiter von Terrorismus entfernt sein.

Dass die sich jetzt wo Paris so gut gesichert ist, andere Hauptstädte für ihre Anschläge suchen, ist dir wohl noch nicht in den Sinn gekommen? Madrid hatten sie schon, dort passt man jetzt auf. In London das Gleiche. Berlin mit seinen vielen Touris und dem ganzen Hype ist der perfekte Ort. Vielleicht ist der Terrorist ja schon ausgestiegen. Oder der Rucksack gehört dem Jungen mit dem Ziegenbärtchen da drüben.

Der interessiert sich bestimmt für Jungfrauen, aber nicht für Bomben. Das ist ein Zocker. Siehst du die glasigen Augen und die blasse Haut? Der ist nicht oft draußen. Und wehe, du kommst mir jetzt mit der Vermutung, dass er sich tagelang durch Ego-Shooter geballert hat, um hier in drei, zwei, eins Amok zu laufen. Der ist nett. Der ist kein Monster.

Würde ja reichen, wenn er ein gehirngewaschener Erfüllungsgehilfe wäre.

Du bist der gehirngewaschene Erfüllungsgehilfe!

Ich?

Vor 15 Jahren hättest du dich angesichts dieses Rucksacks gefragt, wo das nächste Fundbüro ist. Heute bist du kurz davor, das SEK zu alarmieren. Du bist der einzige, der in dieser U-Bahn angesichts eines allein reisenden Rucksacks Panik schiebt.

Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, alle fragen sich das.

Das Mädchen dort spielt Candy Crush. Die fragt sich gar nichts. Die hat sich schon sehr lange nichts mehr gefragt. Aber du könntest ja mal fragen. Steh auf, räuspere dich und frag einfach.

Ob Terroristen an Bord sind?

Wem der Rucksack gehört!

Ich mach mich doch nicht lächerlich.

Vielleicht rettest du unser aller Leben.

Du machst dich lustig über mich!

Vielleicht ein bisschen.

Hast du denn keine Angst?

Überhaupt nicht.

Wir sind zweimal in der Woche am Hauptbahnhof. Jeweils zur Hauptverkehrszeit. Und am Wochenende fahren wir mit S- und U-Bahn quer durch Berlin. Es ist ja fast fahrlässig, da keine Angst zu haben.

Genau. Sagt ja schon das Wort. Wer keine Angst hat, fährt lässig. ‘Tschuldigung.

Mal sehen, ob du noch so lachst, wenn sie dich erwischt haben.

Es ist Energieverschwendung Angst zu haben. Wir haben Angst, weil sie uns einen evolutionären Vorteil geboten hat. Diejenigen die Angst hatten, haben sich besser vor gefährlichen Situationen geschützt und sind dementsprechend seltener draufgegangen.

Na also. Deswegen muss man Menschenansammlungen meiden. Wie diese hier zum Beispiel.

Aber Terroranschläge sind Überraschungen. Auf Überraschungen ist man nicht vorbereitet, andernfalls wären es keine. Wenn ich mich also vor allen Situationen schützen wollte, die mir heute gefährlich werden können, müsste ich mein Leben aufgeben und als Selbstversorger in die brandenburgische Prärie ziehen. Und da muss ich mich dann vor Wölfen fürchten.

Es würde doch vielleicht reichen, in eine etwas kleinere Stadt zu ziehen.

Naja. Norden in Ostfriesland wäre mit seinen knapp 30.000 Einwohnern jedenfalls schon zu groß. Norden gehört laut CIA zu den Top-5 der potentiellen Anschlagsziele. Die haben ein wichtiges Unterseekabel dort.

Und Potsdam?

Ist das dein Ernst? Den perfektesten Ort für ihre Anschläge haben die Idioten schon gefunden. Und getroffen: Deinen Kopf. Komm, wir müssen raus.

Flecken, dunkelblau (2)

(Fortsetzung des Textes von letzter Woche. Eine 78jährige Patientin einer geschlossenen psychiatrischen Station erörtert mit einem Psychologen die möglichen ursachen der unerklärlichen Verletzungen, die sie nachts erleidet.)

Oh, ich weiß, was sie sagen werden. Sie werden mir eine Nacht in einem Schlaflabor vorschlagen. Sie werden vorschlagen, dass wir dem Spuk leicht auf die Schliche kommen, wenn Sie mich unter Kameraüberwachung stellen und mein Gehirn an allerlei Elektroden anschließen. Am nächsten Morgen wüssten wir sicher mehr. Wissen wir nicht. Ich habe das schon hinter mir. Generell schlafe ich nicht in Schlaflaboren. Schlafen in einem Schlaflabor ist, als würden Sie versuchen in einem vollbesetzten Theatersaal auf der Bühne zu schlafen – unmöglich. Als ich zwei Nächte im Schlaflabor komplett durchwacht hatte, haben sie mir drei zusammenhängende Nächte dort gebucht. In der dritten Nacht war ich so erschöpft, dass ich tatsächlich eingeschlafen bin. Es blieb alles friedlich. Selbstverständlich. Dass es im Schlaflabor nicht passiert ist, beweist gar nichts. Als würde es sich zeigen, wenn alle gucken!

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Flecken, dunkelblau (1)

Wie ich geschlafen habe? Gut, danke. Und Sie? Oder ist das eine ernst gemeinte Frage? Wirklich? Dann kann ich das nicht beantworten. Es ist eine absurde Frage, sofern Sie sie ernst meinen.

Die Handlungsrichtung ist falsch. Verstehen Sie? Sie verdrehen Aktiv und Passiv. Wenn Sie mich fragen, ob ich gut geschlafen habe, dann klingt das, als würden sie herauszufinden versuchen, wie erfolgreich ich bei der Verrichtung der Tätigkeit Schlafen war. Aber ich habe ja gar nichts getan. Wissen Sie, was ich meine?

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barrikaden

was kommt,
wenn wir nicht mehr demonstrieren fünfzehntausend zu fünf-.
grob geschätzt, der frieden
eine schmale meterware in der lose vernähten menschenmenge.
es gibt dichte minuten, schwer wie schlagstock, leer wie kopf-
los, flüssig wie tränen & gas.
die anderen ziehen den hut und ihre fahne an solch´ schwarzen tagen,
sie wohnen hier – ihnen gehört die luft, die erde,
die welt. nur wachs-
figuren in panzerumhängen, die trennen und der nachbar
schreit PEACE, ehe er rennt auf eigenen wegen.

Über Fußball am Beispiel des Islam

„Wahnsinn, oder?“, sage ich, als ich die Zeitung aus dem Briefkasten nehme und die Schlagzeile lese.
„Hallo!“, antwortet er und läuft an mit vorbei.
„Was sagen Sie eigentlich dazu?“, frage ich.

Er bleibt auf der Treppe stehen, dreht sich um und sieht mich an. Seine Stirn liegt in Falten, als hätte ich etwas Unverständliches gesagt. Ich blicke wieder auf meine Zeitung und falte sie zusammen. Ich hoffe, dass der Moment schnell vorüber geht. Plötzlich öffnet er mit einem schnalzenden Geräusch den Mund, rollt mit den Augen und wendet sich ab. Ich schließe meinen Briefkasten zu und bin kurz davor, an ihm vorbei die Treppen nach oben zu meiner Wohnung zu flitzen. Da ruft er:

„Sie fragen mich das allen Ernstes?“
„Von Ihrer Großmutter weiß ich, dass Sie erst kürzlich – wegen Ihrer Hochzeit.“
Er schüttelt den Kopf.
„Und ich weiß von meiner Großmutter, dass Sie ziemlich klug sein sollen.“
„Ich stelle mich wohl gerade doof an?“
„Finden Sie nicht?“
Ich presse die Lippen aufeinander und ziehe sie nach innen. Er steigt eine Stufe nach unten auf mich zu.

„Ja, ich bin Muslim. Stimmt, erst seit kurzem. Und wissen Sie, was daran am meisten nervt? Nicht, halal zu leben, also –“
„– auf Schweinefleisch zu verzichten oder auf Alkohol.“, werfe ich schnell ein.
„Oh! Jetzt wollen Sie mich beeindrucken, oder?“
„Immerhin habe ich einen Ruf zu verlieren, wie Sie sagen.“
Er lächelt zum ersten Mal, ich entspanne mich ein bisschen.
„Am meisten nerven die Fragen der Leute!“
„Was fragen die denn?“, traue ich mich.
„Ob ich jetzt fünf Mal am Tag nach Mekka bete. Bevor Sie fragen: Tue ich nicht! Oder ob ich mir jetzt auch so einen Salafistenbart werde stehen lassen. Ja, das probiere ich mal, das ist doch lustig! Meine Friseurin fragte mich neulich sogar, ob ich jetzt beschnitten bin! Das geht sie nun wirklich nichts an. Und Sie auch nicht. Was denken die Leute vom Islam?“ Er streckt beide Hände von sich und zeigt mir seine Handflächen.

„Fragen Sie mich das jetzt allen Ernstes?“
„Allerdings.“
„Ich bin zwar nicht ‚die Leute‘, aber ich würde sagen, die Leute glauben, was sie so hören. Wer kennt schon einen Moslem persönlich?“
„Dann müssen sie sich besser informieren.“
„Das versuchen Sie doch. Sie stellen Ihnen Fragen.“
„Aber schon ihre Fragen sind volle Vorurteile! Der Islam ist nicht blutrünstig und mittelalterlich!“
„So sieht er aber aus, wenn davon die Rede ist. Ständig geht es um Gewalt und Diktatur.“
„Das sind Nachrichten. Nachrichten berichten nur über Katstrophen!“
„Nö, ab und zu auch über Papstbesuche und Arbeitslosenzahlen, die sinken.“
„Außerdem ist das ist Islamismus, über den da berichtet wird. Nicht der Islam!
„Manche können das bestimmt nicht auseinanderhalten.“
„Das ist doch ignorant!“
„Die Spielerinnen der Frauenfußball-Bundesliga finden die Missachtung ihrer Siege auch ignorant.“
„Vergleichen Sie den Islam gerade mit Frauenfußball?“
Ich lache, er lacht.
„Nein. Aber warum sollten sich die Leute für den Islam interessieren? Sie sind einer von zwei Moslems, die ich kenne.“
„Der Islam gehört zu Deutschland! Sagt sogar Ihre Kanzlerin.“
„Die Oranienstraße gehört auch zu Berlin. Trotzdem gibt es dort so gut wie keine Berliner.“
„Nirgendwo kann man so gut und preiswert essen, wie in der Oranienstraße!“
„Ich weiß! Kennen Sie den lauwarmen Glasnudelsalat mit Erdnüssen und Koriander, aus dieser kleinen Garküche –“
„Können Sie es denn auseinanderhalten? Islamismus und Islam?“
„Erklären Sie’s mir.“

„Aber wie?“ Er kratzt sich am Kopf. „Vielleicht mit Fußball. Fußball mögen Sie, oder?“
„Nein.“
„Aber vorhin haben Sie doch über Fußball – ach ja, sie sind ja – sie leben ja –“
„Schwul? Sagt Ihre Oma? Stimmt. Aber Hitzelsperger ist auch schwul. Sie werden nicht bestreiten, dass der sich für Fußball interessiert.“
„Wieso kennen Sie Hitzelsperger, wenn Sie sich nicht für Fußball interessieren?“
„Wieso kennen Sie Jesus, obwohl sie kein Christ sind?“
„Weil auch die Muslime verehren Jesus. Im Qu‘ran steht, dass Jesus ein Gesandter Gottes war.“
„Oh! Und wird Mohammed auch in der Bibel erwähnt?“
„Das fragen Sie mich? Sie sind doch Christ, nicht ich!“
„Bleiben wir lieber bei Ihrer Erklärung des Islamismus. Von mir aus mit Fußball.“
“Also: Der Islamismus ist für den Islam ungefähr das, was der Hooligan für den Fußball ist. Die Hooligans sind keine Fans. Die interessieren sich gar nicht für Fußball. Die sind nur auf Randale aus. Trotzdem sind sie das Problem der Fußballvereine. Hooligans machen den Ruf der Vereine kaputt. Sie sind schuld daran, dass die echten Fans aus Angst vor Gewalt zu Hause bleiben. Das kann die Vereine in den Ruin treiben! Verstehen Sie?“
„Und was machen die Vereine dagegen?“
„Die Versuchen, die Hooligans loszuwerden. Sie distanzieren sich öffentlich. Sie kooperieren mit der Polizei. Sie starten Initiativen um Jugendliche für den Sport zu gewinnen und nicht für die Randale.“
„Und so macht es der Islam auch?“
„Na klar! Und da sind wir wieder bei Ihrer Frage: Was glauben Sie denn, was ich als frisch konvertierter Muslim dazu sage, wenn Menschen im Namen Allahs erschossen werden?“
„Ich hoffe, dass sie es verurteilen.“
„Natürlich verurteile ich es! Alle Muslime verurteilen es! Alle, die ich kenne.“
„Aber manche erklären in Fernsehmikrofone, dass sie den Zorn der Attentäter verstehen können. Für mich klingt das, als würden sie sagen: Selbst schuld!“
„Ich verstehe den Zorn nicht.“
„Ich erst recht nicht.“
„Ich kenne auch niemanden, der den versteht.“
„Ich schon. Ihre Großmutter. Die sagte neulich beim Kaffeetrinken, dass sie nicht kapiert, wieso man weiterhin versucht, Leuten Witze zu erzählen, die keinen Spaß verstehen. Wer soll denn bitte darüber lachen?“
„Puh! Na so kann man das aber auch nicht sehen.“
„Sie kennen sie ja. Sagen Sie ihr liebe Grüße.“
„Mach ich. Ich bin übrigens Ben.“
„Ich weiß. Ich bin Peter.“
„Ich weiß.“

Das ist Politik

Sie entschuldigen, Sie haben da eine witzige Tätowierung am Arm. Eine Mickey Mouse habe ich ja noch nie als Tätowierungen gesehen.

Ach, das, das ist gar nichts. Schau mal, hier hab´ ich Popeye und hier ist Donald Duck. Und guck mal, hier über dem Rücken, da hab ich ´ne Frau drauf, ganz groß, mit hammermäßigen, naja, du weißt schon. Tja, ich war schon immer einer, der mit Frauen gut kann. Weißt du, ich weiß wie man die richtig flach legt.

Waren Tätowierungen zu DDR-Zeiten überhaupt erlaubt? Ich kannte einen, dessen Tätowierungen wurden fotografiert und katalogisiert und der hatte deswegen Scherereien.

Ja, ja, das war aber erst wenn du in den Knast reinkamst. Da haben die bei mir dann auch mit dem Kram angefangen. Die drei haben sie am Anfang nicht fotografiert, denn die habe ich mir schon mit elf machen lassen, da hatten die Bullen noch nichts zu sagen. Popeye war meine erste Tätowierung, denn den fand ich saukomisch. Und Mickey war ´ne Idee von meinem Kumpel.

Mit elf? Da macht man doch andere Sachen, ich meine…

…Och nö, nö, da habe ich mit `nem Kumpel lieber sowas gemacht. Wir zwei waren schon immer kreativ. Und mit ein bissel Tinte und ner angefeilten Feder von ´nem geklauten Füller kriegste alles hin. Uns konnten sie ja nicht belangen. Ich war elf und mein Kumpel war zehn.

Zehn?

Tja, warum nicht. Alles andere war mir zu langweilig. Meine Mutter hat zwar gebrüllt, aber was wollte sie machen. Wieder eine in die Fresse hauen? Irgendwann ist das auch durch und dann wirkt´s nicht mehr, weißt du.

Also, der den ich kenne, der hat mir gesagt, dass sie ihn bestraft haben, wenn er sich wieder eine neue Tätowierung hat stechen lassen. Wie war das bei Ihnen?

Ja, weißt du, das hat mich irgendwann nicht mehr gestört. Die haben mir sowieso immer eine in die Fresse gehauen, die Bullen. Ich hab die mal gefragt, warum sie mir immer eine reinkloppen, wenn ich die Wahrheit sage und warum sie mir ´ne Zigarette geben, wenn ich lüge. Da haben die mir gleich noch eine reingedroschen. Die waren schon komisch die Bullen. Ich hab die nie verstanden.

Der, den ich kenne, der meinte, dass die Gefangenen untereinander oftmals brutaler waren.

Ach, bei mir nicht, die kannten mich ja irgendwann alle. Ich hab am Fenster geschlafen und meine Ruhe gehabt.

Aber, der den ich kenne, meint, am Fenster durfte nicht jeder schlafen. Das waren die begehrtesten Plätze. Wie sind Sie denn an das Fensterbett gekommen?

Weißt du, wenn ich kam verscheuchte der Stubenälteste den Typen aus dem Nest, der grad drin lag. Und dann war das wieder mein Platz. Nö, nö, Probleme hatte ich nicht. Weißt du, und meinen Arsch haben ´se auch in Ruhe gelassen. Am Anfang war´s schwer, da konntest du keine Nacht ruhig schlafen. Weißt du, da habe ich jede Nacht höllisch aufpassen müssen. Aber dann, dann war´s geklärt. Und so einer, der im Knast erst mit den Kerlen rummacht und dann draußen wieder mit den Weibern anbändelt, nö, nö, so einer war ich nicht. Der Stecher von meiner Mutter, der war so einer. Den hatte ich im Knast kennen gelernt und irgendwann mit nach Hause geschleppt. Warum meine Mutter sich mit dem eingelassen hat, das hab´ ich nie verstanden. Meine Mutter war schon irgendwie krass. Die schickte mich vor der Schule immer Klauen. Weißt du, ich war der Älteste von uns fünfen. Und Hunger, Hunger hatten wir fünf immer. Wenn ich nicht genug mitgebrachte hatte, kriegte ich eine. Wollte mich aber einer ihrer Männer verdreschen, stellte sie sich vor mich hin und ließ nichts auf mich kommen. Das fand ich dann Spitze. Meine Mutter war schon krass. Seit ein paar Jahren telefoniere ich sogar einmal die Woche mit ihr. Weißt du, ihr geht’s nicht mehr so gut. Und außer mir hat sie niemanden. Die anderen Geschwister wollen mit ihr nichts mehr zu tun haben. Ich bin doch der Große, weißt du, ihr Großer.

Also, der, den ich kenne, der meinte, die wären im Bautzenknast untereinander besonders brutal gewesen. Erst im Stasiknast hatte er etwas Ruhe.

Nö, nö, bei mir war´s andersrum. Die haben gleich Stunk gemacht. Deswegen hab´ ich´s ja auch mit die Nerven, bin wegen die Psyche in die Rente geschrieben. Die haben mich geärgert und ich hab´s wieder mal nicht verstanden, was die eigentlich von mir wollen. Die Bullen waren schon immer komisch. Irgendwann war mir das dann alles zu viel, weißt du. Das habe ich dann nicht mehr geschafft und versucht mich zu vernichten. Da haben die von der Stasi dann Schiss bekommen, mich entlassen und mir sogar ´ne Bude besorgt. Aber das hat mir dann auch nichts mehr genützt. Das erste, was ich gemacht habe, als ich in der Bude saß, ich hab wieder versucht mich zu vernichten. Naja, seit der Wende leb ich mit ´nem Hooligan und Nazi zusammen. Da bin ich wenigstens nicht mehr ganz allein. Die gucken ab und zu nach mir ins Zimmer und erledigen ein paar Wege, die ich nicht mehr kann, weiß du. Hat schon was, wenn einer mal nach dir guckt.

Sie haben eine WG? Sind die beiden Mitbewohner nicht… anstrengend?

Nö, nö, weißt du, die habe ich im Griff. Bei mir wird nicht gekloppt. Ich mach das nicht mehr. Und deswegen will ich es auch nicht mehr bei die Demos haben. Ich bin jetzt politisch geworden, weißt du, so richtig politisch. Mir kann keiner mehr was.

Politisch? Sie engagieren sich… politisch? Das, das find ich… vom Prinzip her gut.

Weißt, du, die haben gerade heute im Fernseher gebracht, dass immer mehr Leute politisch mitmachen, weil sie die Schnauze vollhaben von allem. Mehr als 10 Prozent machen jetzt mit, und es werden immer mehr.

Wie meinen Sie das? Es gibt doch mehr Menschen die sich politisch engagieren und…

…sag ich doch. Es werden immer mehr. Ich bin jetzt auch dabei seit der Politische bei mir wohnt.

Ähm, Sie sagten doch, Sie wohnen mit einem Hooligan und einem… einem Nazi…

…einem Politischen zusammen. Der wird verfolgt weil er in der NPD ist. Versteh´ ich nicht. Der kloppt sich nicht mehr rum, ist friedlich, geht arbeiten, macht jetzt in Politik mit. Und seit ich den kenne und wir uns angefreundet haben, kloppe ich nicht mehr und bin jetzt auch politisch. Der hat mich überzeugt. Deswegen wohnt er auch bei mir. Weißt du, bei mir sind die friedlich obwohl die beiden sich nicht ausstehen können. Hoolis wollen kloppen und Nazis wollen das alles politisch klären. Die Nazis sind zu Unrecht verschrien. Die haben mit Hitler auch nichts am Hut. Ich auch nicht. Das war ein Riesenarschloch. Der hat unserer Sache nur geschadet.

Aber wenn Sie mir jetzt hier während unseres Armbades erzählen, dass Sie eine Rente beziehen, wo liegt ihr Ziel bei den Demos, ich meine, was machen Sie auf den Demos?

Du meinst meinen Rollstuhl?

Ach so, Sie fahren, ähm, Sie haben einen, einen Rollstuhl. Ich dachte, Sie sind wegen einer Herzerkrankung hier…

…und wegen der Bandscheiben und wegen meiner Wirbelsäule und wegen dem Knie und wegen dem anderem Knie auch. Alles vom Kloppen. Das geht nun nicht mehr. Deswegen bin jetzt politisch, weißt du.

Sagten Sie nicht soeben, dass Sie im Stasiknast waren?

Ja, weißt du, ich hab das nie begriffen, ich war immer ein Politischer, schon früher, ob ich wollte oder nicht. Und jedes Mal habe ich Ärger bekommen, wenn ich erzählt habe, dass wir zu Hause nichts zu Fressen haben, dass wir arm sind und ich Futter klauen muss. Ich versteh´ nicht, warum die Bullen was dagegen hatten, dass ich das überall rumerzählt habe. Ich hab doch nicht gelogen. Ich kapier´s selbst heute noch nicht. Jetzt wollen die Bullen wieder was von mir, jetzt wollen die mir ´ne Volksverhetzung dranhängen. Versteh ich auch nicht. Ich will doch nur, dass die Ausländer genauso ihre Steuern zahlen wie wir Deutschen. Ich muss doch auch meine Steuern zahlen. Weißt du, wenn die arbeiten gehen, sich benehmen, unsere Kultur achten und nicht ständig ein Haufen Kinder machen und überall ihren Scheiß hinschmeißen, dann sind sie mir völlig egal. Ich kauf auch bei meinem Türken um die Ecke. Der weiß, dass ich ihn so nenne und lacht nur. Ich ess´ gern auch mal ´nen Döner oder so. Also Steuern zahle ich dabei immer, das hat mir der Politische erklärt. Der Türke muss meine Steuern nur an den Staat ordentlich abgeben wie sich´s gehört und nicht ins letzte Kaff nach Anatolien schmuggeln, sagt der Politische. Weißt du, mehr will ich doch nicht.

Aber was hat das mit Politik zu tun?

Weißt du, der Nazi bei mir in der Wohnung, der sich um mich kümmert, der hat mir das mit der Politik mal so richtig erklärt. Und seitdem er mir das ganz genau erklärt hat, versteh ich, wie Politik geht. Weißt du, wenn ein Bulle einem Ausländer eine ordentlich auf´s Maul haut, dann ist das politisch. Und Bullen dürfen nicht politsch sein, die müssen unpolitsch bleiben. Deswegen kloppen die auch keinen Ausländer mehr eine auf´s Maul. Wenn der hingegen einem Deutschen eine auf die Fresse kloppt, dann zählt das nicht als Politik, dann bleibt er unpolitisch. Und weil der Bulle nur den Deutschen eine aufs Maul haut, haut der Hool dem Bullen eine auf´s Maul. Und dann kommen die Bullen zu uns, stören unsere Demo und hauen uns wiederum eine rein. Weißt du, ich kann doch nicht mehr richtig wegen meinem Rollstuhl, deswegen will ich meine Ruhe haben. Wenn die aber Stunk machen, dann schnapp ich mir zur Strafe so ´nen kleinen verkackten Hool und hau ihm eine rein, weißt du, so richtig eine rein und frag ihn dabei, was der Scheiß eigentlich soll. Wir sind jetzt politisch. Wir machen ab jetzt nichts Verbotenes mehr. Uns kann keiner was. Weißt du, das ist Politik. Ich find Politik gut, richtig gut. Aber jetzt muss ich erst mal hier meine zwei Infarkte kurieren. Weißt du, ich bin das erste Mal zur Kur. Warst du schon mal in Kur?

Ja.

Und waren da auch so viele Ausländerärzte wie hier?

Meinen Sie die Ärztin von der Inneren? Bei der Aufnahmeuntersuchung erzählte sie mir, dass sie in den nächsten zehn Jahren keine Stelle in Serbien bekommen wird und sich eher zufällig hier beworben hatte. Wissen Sie, Kureinrichtungen scheinen nicht unbedingt das zu sein, was deutsche Ärzte suchen.

Sag ich doch. Die verdrängen unsere deutschen Ärzte. Und dann musst du dir von so einer, die kaum Deutsch reden kann, helfen lassen. Weißt, du, ich hab nix gegen die. Aber wenn ich krank werde, dann will ich auch unbedingt deutsch behandelt werden. Im Moment komme ich hier nicht weg. Du siehst doch, ich kann nicht mehr richtig laufen und komme früh kaum aus dem Bett. Und die verfluchte Pumpe, die macht nun schon das zweite Mal schlapp. Deswegen muss ich mir die Ausländerärztin auch gefallen lassen. So, ich muss jetzt zur nächsten Anwendung. Aber vorher, vorher da will ich schnell noch eine Durchziehen. Wir sehen uns beim Essen im Speisesall. Und dann können wir uns weiter über Politik unterhalten.

Hat man Ihnen nicht erklärt, dass nach frischen Infarkten eine einzige Zigarette reicht, um einen neuen Infarkt auszulösen.

Weißt du, den Quatsch wollte mir die Ausländertussi heut´ Morgen auch einreden.

Dann bin ich eben ein Nazi

Was ich dich zum Ende unseres Telefonates noch fragen möchte: wen wirst du wählen?

Ach, wieder dein altes Problem. Du überlegt Wochen im Voraus, fragst und bist dir in der Kabine immer noch nicht sicher. Da haben wir Anderen längst per Briefwahl unser Kreuz gemacht.

Naja, ich überlege, weil ich meine Stimme bestmöglich abgeben will.

Was heißt bestmöglich? Wir machen nur nicht so ein furchtbares Gejammer. Ändern können wir doch sowieso nicht viel. Finde dich damit ab.

Finde ich nicht. Ich genieße es förmlich in die Wahlkabine zu stolzieren. Und wenn ich rauskomme, stelle ich mich für ein paar Sekunden vor der Urne auf und werfe meinen Umschlag wie so ein mediengeiler Politiker in die Urne. Unter Honeckers Portrait konnte ich das nicht. Da bin ich gar nicht erst hingegangen.

Ja, und? Die da oben machen doch sowieso alle was sie wollen. Glaub mir, es gibt wichtigere Dinge im Leben als einen verkackten Wahlschein auszufüllen. Heute kann ich wählen gehen oder auch nicht, aber praktisch ist meine Stimme auch ohne Honeckers Portrait für die Katz.

Zumindest kann ich jetzt frei zwischen den aufgestellten Parteien wählen.

Du Träumer. Wer´s glaubt wird selig. Das macht doch keinen Unterschied. Die Sache mit den Ausländern, ich meine mit den Migranten, die getraut sich nur keiner richtig anzusprechen. Wegen dem Dreckshitler scheißen sich doch gleich alle ein. Sobald ein Politiker auch nur ein Wörtchen sagt, wird er von der Presse als Nazi beschimpft. Na und, dann bin ich eben in der Wahlkabine ein Nazi. Ich weiß, dass ich keiner bin. Mit den Morden von damals und so hab ich nichts am Hut. Das ist nun mal geschehen. Aus und vorbei und kommt nicht wieder. Basta.

Ihr macht euch viel zu viel Sorgen. Ein Großteil der Asylanträge werden nach wie vor in Deutschland abgelehnt. Ich verstehe die ganze Aufregung der Leute gar nicht. Der Libanon hat eine Million Flüchtlinge und ist damit wirklich überfordert. Aber wir doch nicht?

Wenn wir nicht aufpassen, wird das bei uns auch ein Problem. Die Parteien hängen doch alle zusammen. Im Endeffekt wollen die doch immer mehr von der Bagage, ich meine von den Migranten, bei uns reinlassen. In meiner Straße gibt´s mittlerweile acht Dönerbuden. Das sieht aus, alles voller Dreck, die Eimer quellen über, und den Gestank kann ich auch nicht mehr ertragen. Meine Lieblingskneipen haben dicht gemacht und ich höre nur noch deren komische Musik. Und wenn ich mal ´was Essen will, muss ich zum Dönerheini gehen. Sonst gibt’s doch nichts mehr in meiner Nähe.

Naja, ich fand es bis jetzt eine Bereicherung. Außerdem fand ich die Grünen bei Migrationsfragen gut. Früher zumindest.

Ich bitte dich! Findest du es gut, dass die Grünen den komplett zugeschleierten Weibern und ihren Machotypen, also deinen lieben, lieben Migranten, alles in den Hals schmeißen wollen? Doppelte Staatsbürgerschaft und so´n Quatsch? Ich habe auch keine doppelte Staatsbürgerschaft. Mir reicht eine. Und auf die bin ich stolz! Egal was die von mir denken! Deine vermummten Migranten können sich doch aussuchen wann, wo und wie sie unsere von der ganzen Welt geachtete Staatbürgerschaft haben wollen. Und wenn sie ihnen nicht mehr passt, wischen die sich den Arsch damit ab. Sind wir den ein Ramschladen geworden?

Für einige bedeutet die doppelte Staatsbürgerschaft aber auch, dass sie in ihrem Heimatland zur Armee gehen müssen. Aber ich gebe dir Recht, dass sie unsere Staatbürgerschaft achten müssen und dass das…

Im Moment findest du die Politik auch nicht mehr gut. Gibt´s doch endlich zu! Ich habe nichts gegen Ausländer, wirklich nicht, aber wenn sie ihre lärmende Bagage aufs Amt hinterherziehen, das geht gar nicht. Wenn ich aufs Amt muss, stellen die Bearbeiter immer neue Forderungen, um an mir Geld zu sparen. Stell dir vor, wenn ich danach ´nen Kaffee trinken gehe, höre ich kaum noch ein deutsches Wort. In der Straßenbahn das Geschrei, das Rumgetrampel der unerzogenen Kinder, einfach kein Benehmen. Und wenn ich was sage, werden die frech. Neuerdings beschimpfen die den Straßenbahnkontrolleur als Nazi. Von wem sie das wohl gelernt haben. Kein Deutsch reden, aber Nazi rufen. Das geht doch nicht. Soweit kommt´s noch, dass ich wegen der Bagage ausländisch lernen muss. Die sollen Deutsch lernen wie wir Anderen auch. Das hat überhaupt nichts mit dem Hitler zu tun. Wirklich nichts. Entschuldigung, aber es ist doch so. Oder?

Mir fallen Sprachen auch schwer. Und die deutsche Sprache soll ja besonders schwer sein…

Ach, denen wird es zu leicht gemacht. Unter dem Deckmantel, wir bräuchten mehr Arbeiter, werden die massenweise ins Land gelockt, vermehren sich zigmal schneller als wir, und wir Deutschen kommen kaum noch nach. Den wird das Kinderkriegen einfach zu leicht gemacht. Die setzen gedankenlos einen Balg nach dem anderen in die Welt und wir müssen sie ernähren. Nee, da muss ich eben ein bisschen dagegen wählen. Das ist mein gutes, demokratisches Recht!

Gegen die Aufnahme politisch Verfolgter bist du doch nicht wirklich. Oder? Das ist ja eine der Lehren aus der NS-Zeit. Naja, und dass die Verfolgten ihre Familien gern bei sich haben wollen, kann ich verstehen…

Keine Frage, ich bin jederzeit dafür, politisch Verfolgten aus den Muschkotenländern Unterschlupf bei uns zu gewähren. Das ist für mich wirklich keine Frage. Aber die sind nun mal Anhänger eines fremdländischen Volkes und wir sind nun mal die Abendländische Kultur. Und das passt überhaupt nicht zusammen. Haben sich die Politiker überlegt, dass wir bei dem Kinderwahn, den die Ausländer hier fabrizieren, irgendwann mal Ausländer im eigenen Land werden? Und das hat doch nun wirklich nichts mit dem Hitler zu tun. Mit dem hab ich nichts zu schaffen. Der ist mir völlig egal. Aber eine Völkerwanderung ´gen Deutschland bringt hier nur Unruhe rein, belastet unsere Sozialsysteme, überfüllt die Schulen und dann, dann haben wir nämlich wieder den Nährboden für den Dreckshitler und sind wieder die Bösen. Nee, auf nen neuen Hitler hab ich keinen Bock.

Statistisch gesehen bekommen die Migranten gar nicht mehr so viele Kinder, zumindest die Migranten der zweiten Generation, die…

Du redest genau so einen Unsinn wie die Anderen. Die wollen alle und jeden reinlassen. Eigentlich willst du dir doch nur nicht eingestehen, dass du mit der Politik auch nicht mehr einverstanden bist. Wir gönnen denen große Moscheen an unseren sauberen Hauptstraßen und wir dürfen in deren Ländern nicht einmal ein Kreuz am Hals tragen, ohne verhaftet zu werden. Findest du das richtig? Ich nicht. Nee, dann bin ich eben ein bissel anders. Das ist mein gutes Recht.

Ich bin mittlerweile auch der Meinung, dass wir mehr fordern und fördern müssen. Und dass mit den Kreuzen, find ich auch nicht gut. Da muss die Politik irgendwas ändern.

Ach, hör auf! Wenn du mit den Parteien zufrieden wärest, hättest du doch längst gewählt. Ich finde, dass du unehrlich bist. Wenn es jetzt schon soweit kommt, dass die Türken lieber in Deutschland im Knast rumsitzen, als in ihrem Land, muss man sich ernsthaft die Frage stellen, ob wir nicht langsam zu einem Drecksland werden. Denen wird doch ein Flachbildschirm nach dem anderen in die Zelle gestellt und zwischendurch huschen die mal kurz zur Antigewalttherapie. Wir bezahlen denen die sauberen Knastplätze, geben denen ordentlich zu Essen und wenn sie sich den Magen mit ihren Drogen verdorben haben, schicken wir sie auch noch zum Arzt. So gut sind bei denen nicht einmal ihre besten Hotels. Bestimmt hältst du das jetzt wieder für rassistisch. Und mit Hitler hat das auch überhaupt nichts zu tun. Glaub mir, der hätte ganz andere Seiten aufgezogen.

Über die Ausweisung Krimineller habe ich mir auch schon des Öfteren Gedanken gemacht. Das gebe ich zu. Ich finde aber Integration wäre das Schlüsselwort.

Hör auf! Deutsche, die sich nicht benehmen können, würde ich ebenfalls im hohen Bogen rausschmeißen. Aber die können wir doch nicht rausschmeißen, denn es sind ja unsere Deutschen. Aber Ausländer, die sich nicht benehmen, dürfen von meinen Steuern keinen Euro bekommen. Du hast Recht, die müssen sich integrieren lernen. Wir haben uns als Kinder auch Manieren angewöhnen müssen. Und wenn nicht, gab´s eine hinten drauf. Und das hat schließlich noch Niemandem auf der Welt geschadet. Zu DDR-Zeiten wusste jeder wo er hingehört. Und die Ausländer kannten auch ihren Platz. Warum soll das heute nicht mehr funktionieren? Ich frage dich, warum nicht?

Ich kannte zu DDR-Zeiten keinen einzigen Ausländer persönlich, zumindest hatte ich niemals einen angefasst. Komisch. Ich hätte gern mal so einen Schwarzen berührt, einfach nur so. Leider ergab sich nie die Gelegenheit dazu. Weder im Kindergarten, noch auf der Arbeit. Nirgends. Das fand ich später am Westen so toll, dass ich überall zu denen fahren durfte. Und als Deutscher war ich irgendwie beliebt, egal ob ich Ost oder West gesagt habe. Aber ich weiß immer noch nicht, wen ich nun wähle.

Das liegt daran weil wir denen so viel helfen. Das scheint ein urdeutsches Problem zu sein. Und da ist es das Mindeste, dass die etwas Freundlicher zu uns sind. Außerdem bleiben wir doch nur zwei Wochen.

Ich denke, für die Ausländer ist es auch nicht unbedingt einfach, sich in einem fremden Land zurechtfinden zu müssen und von heute auf Morgen ne neue Kultur zu erlernen. Naja, ich weiß immer noch nicht, wen ich dieses Mal wählen soll.

Das kann ich dir sagen. Suche dir die Partei, die die beste Integration verspricht. Wenn es nach mir geht, dürfte nur noch eine Ausländerfamilie, ich meine natürlich, eine deiner Migrantenfamilie pro Mietshaus leben. Dann ergibt sich der Rest von selbst. Der deutsche Einfluss wäre dann so dominant, dass sie in unserer Sprache mit uns reden müssten, ob sie nun wollen oder nicht. Das hat überhaupt nichts mit Hitler zu tun. Aber da macht keine von den großen Parteien mit. Ich sage ja, die Politik ist absoluter Mist. Und dann wundern die sich, wenn ich Mist wähle. Wenn´s nicht anders geht, bin ich eben ein Nazi.

Aber welche Partei will eine Zwangsassimilierung? Es geht doch anders viel besser. Es werden kostenfreie Kindergartenplätze speziell für Migranten mit Sprachproblemen angeboten. Zwangsassimilierung?

Aber, du musst doch zugeben, dass die sich dann schneller mit unserer wertvollen Kultur vollsaugen und das Rumgeschrei der Bälger und der Burkakram der Weiber endlich von unseren Straßen verschwinden würde. Vielleicht würden die dann auch mal Goethe und so lesen. Schaden kann denen das wirklich nicht.

Denkst du, so können wir die Probleme mit den Ausländern, ich rede ja schon wie du, ich meine natürlich mit unseren Migranten lösen? Witzig fände ich es schon, Goethe auf Arabisch zu hören. Klingt bestimmt schräg. Allein schon wegen der Intonierung.

Du merkst doch selbst, dass die Parteien keine wirklich klaren Ideen haben. Die sehen doch überhaupt nicht mehr durch. Uns entgleitet unsere Kultur Stück für Stück. Und dann haben wir wieder Anarchie im Land. Die sind doch nur neidisch, dass sie meine Stimme nicht bekommen. Das könnte denen so passen.

Das wollte ich dich schon immer fragen: warum wählst du, wenn du, wie du sagst, sowieso nichts ändern kannst?

Weil es mir ein schönes Gefühl schafft, meine Stimme nicht verfallen zu lassen. Und weil ich den Parteien endlich klarmachen will, das sie Mist machen. Ich denke, hier müsste nur für ein einziges Mal die richtige Partei ans Ruder und dann wäre der Spuk schnell wieder vorbei.

Ich weiß nicht. Ich bin mittlerweile auch der Meinung, dass die Parteien nicht immer ehrlich zu uns sind. Trotzdem glaube ich, ich werde wohl ein letztes Mal Grün wählen.

Du bist zu dir selbst unehrlich. Mit den so genannten Parteien bist du doch schon lange im Clinch und willst es dir nur nicht eingestehen. Es wird Zeit, dass auch du das erkennst. Sonst haben wir Chaos. Und dann geht es deinen Ausländern wirklich schlecht.

Ich kann doch nicht, nur weil ich mit den Parteien derzeit total unzufrieden bin, irgendeinen Quatsch wählen? Also, das kommt für mich nicht in Frage.

Du willst es dir nur nicht eingestehen. Du musst dir nur ein einziges Mal einen Ruck geben. Nur ein einziges Mal.

Wie wirst du wählen?

Ich habe schon gewählt. Die werden sich wundern. Na und, ich war halt in der Wahlkabine anders. Ich bin mit mir im Reinen. Bist du es auch?

17. Juni

 Tag: 18. Juni

Zeit: Neun Uhr

Ort1: halb geöffneter Türeingang eines Reihenhauses.

Ort 2: geschlossenes Wohnzimmer, darin: stark abgenutzte Sitzgarnitur der 30siger Jahre; schwarzer Tisch mit gehämmerter Messingplatte und passendem Raucherset und Siegel; schwarze Uhr mit gehämmertem Ziffernblatt; brauner Bücherschrank mit Kunstzeitschriften in verschiedenen Sprachen; hellblauer, rechteckiger Hifi-Glastisch mit Fernseher; achtarmiger Holzleuchter mit Messingbeschlag an dem eine Fliegenrolle hängt; eine passende Stehlampe aber mit modernem Lampenschirmbezug; verblasste halblange Gardinen und grau-gelbe Stores dazu grüne Auslegware; diverse Bilder, keine Fotos; auf Putz gelegte Stromleitungen; vergilbte Tapete mit Blütendekor, teilweise löchrig; Berliner Ofen mit weißer Sitzbank davor.

Gesprächs-Person 1: Frau Charlotte Martha Banner, eine 72jährige Frau, leicht ergraute und zu einem Dutt gebundene Haare, lebt seit der Verhaftung ihres Mannes (August 1945) und der späteren Flucht ihrer Tochter (27.6.1961) mit deren einzigen Sohn in dem stark reparaturbedürftigen Haus. Kleidung: cremefarbene Spitzenbluse/bunte Schürze/schwarze geputzte Schuhe/ leicht beschädigte Strumpfhose/kein sichtbarer Schmuck/ungeschminkt. Stimme: tief, wenn sie sich ärgert, fast männlich.

Sie wird anfangs die Arme in die Hüften stemmen. Später wird sie auf der Dielentreppe sitzen und die Hände vor die Augen pressen.

Gesprächs-Person 2: Herr Torsten Banner, ein 26 jähriger Mann, schlank, groß, lange, gelockte rote Haare, ungekämmter Mittelscheitel, Sommersprossen, Ausbildung im VEB Bauhandwerk, Abteilung Reko, tätig als Tischler, erfolglose Studienbewerbungen für Architektur in Berlin-Weißensee und Rostock, Malerei in Dresden, Formgestaltung in Halle. Kleidung: Feinrippunterhose/ kaputte Jesuslatschen/ ansonsten unbekleidet/ silberner Ohrring/ Halslederband mit silbernem Kreuz/ Holzring an linker Hand/ Stimme: kindlich, manchmal, wenn er sich aufregt, fast stimmbruchhaft.

Er wird anfangs die Arme über den Kopf kreuzen und breitbeinig auf seiner Lieblingsstelle auf dem Sofa sitzen. Später wird er unentwegt an Nase, Hals, Brust und die Knie kratzen.

Gesprächs-Person 3: Herr Rolf Lang (Name laut Ausweis), ein ca. 45jähriger Mann, klein, schlank, dennoch kräftig, nordischer Hauttyp, blond, akkurat gekämmte Haare, Seitenscheitel, Beruf unbekannt, Kleidung: helles gestreiftes Hemd/ offene cremefarbene Lederjacke/ beigefarbene Kordhose/ dunkelbraune glatte Lederschuhe/ dunkelbraune Handgelenktasche/ schmaler Ehering. Stimme: klar, manchmal, wenn er sich aufregt, dröhnend bis einschneidend.

Er wird anfangs die Arme über der Brust kreuzen. Später wird er aufstehen, im Zimmer umherlaufen, wahllos Bücher und Gegenstände in die Hand nehmen und wieder hinstellen.

Gesprächs-Person 4: Herr Ronny Kurz (Name laut Ausweis), ein ca. 22jähriger Mann, groß, schlaksig, südländische Hauttyp, schwarze, glatte, lange Haare, Beruf unbekannt, Kleidung: dunkelblaues T-Shirt/ halb geschlossene Jeansjacke/ sehr enge Schneejeans/weiße Mokassins/ Aktenmappe aus Kunstleder/ silberne Halskette mit Kreuz. Stimme: unbekannt, da er während des gesamten Besuches kein einziges Wort sprechen wird.

Er wird die gesamte Zeit wortlos auf das Papier starren und in krakeliger Handschrift das Protokoll schreiben.

 

Meine Herren, Sie wünschen…

Frau Banner, wir möchten uns mit ihren Enkel unterhalten!

Sie sind,… meine Herren?

Frau Banner, wir sind Freunde Ihres Enkels.

Freunde? Aha, soso!

Frau Banner, bitte zweifeln Sie nicht an unserer Freundschaft?

Wundert Sie das, meine Herren?

Frau Banner, warum misstrauen Sie uns?

Meine Herren, die Freunde meines Enkels haben nie geputzte Schuhe. Nur wenn ich sie putze, sehen so blitzblank aus, wie bei Ihnen. Und sind es geputzte Schuhe, dann sind es meist nicht seine Freunde. So einfach ist das! Reicht Ihnen das als Antwort, meine Herren?

Frau Banner, wir kommen sozusagen als gute Freunde!

Außerdem, meine Herren, sind seine Freunde nicht so akkurat gekleidet. Die haben weder gebügelten Hemden, noch gekämmte Haare. Und diese albernen Handgelenktaschen… die kenne ich auch von keinem seiner Freunde. Nur kaputte Rucksäcke, meine Herren! Nur kaputte Rucksäcke…

Frau Banner, können wir trotzdem mit ihren Enkel reden?

Meine Herren, das ist im Moment nicht möglich!

Warum?

Weil mein Enkel im Moment ein Standbad nimmt!

Ein Standbad, Frau Banner?

Mein Gott… er wäscht sich, meine Herren!

Ah, Standbad?

Meine Herren, falls es Ihnen entgangen sein sollte, wir haben heute Sonntag! Und da gehen ich und mein Enkel zum Gottesdienst. Ich dachte, das wäre Ihnen hinlänglich bekannt? Wenn die Herren sich einen Moment gedulden wollen, ich kann meinen Enkel fragen, ob er fertig angekleidet ist. Torsten, Torsten, kommst du mal? Hier stehen zwei Herren mit Armgelenktasche, die sagen, Sie seien Freunde von dir. Hast du neuerdings neue Freunde?

Schick die Schnurchelheinis weg! Meine Freunde wissen, dass ich sonntags zuerst in die Kirche und danach in die Jugend gehe! Nur rote Socken und Ladendiebe belästigen brave Leute zum Sonntagvormittag! – Warte, Oma, ich schau selber nach den Schnurchelnasen! – Wer seid ihr? Ihr könnt´ gleich wieder abdampfen!

Herr Banner, wir wären an einem freundschaftlichen Gespräch interessiert.

Um diese Zeit? Nur Schnurchelnasen und Ladendie…

… und Ladendiebe, Herr Banner, wir wissen, das haben Sie eben gesagt. Hier unsere Ausweise! Wir wollen Ihnen ein paar Fragen stellen. Je eher Sie mit uns kooperieren, umso schneller können Sie in ihre Kirche gehen. Falls Sie nicht mit uns kooperieren, müssten wir Sie bitten mitzukommen!

Na, das ist ja ein Ding! Kommen Sie… Kommen Sie rein! – Muss ich Sie überhaupt reinlassen?

Her Banner, Sie sollten! Wir danken Ihnen für Ihre Mithilfe!

Wollen Sie sich setzen? Was habe ich denn nun wieder Schlimmes gemacht? Habe ich etwa während des Schlafes eine Bank mit wertvollem DDR-Geld ausgeraubt? Ich kann Ihnen versichern, dass ich garantiert Besseres zu tun hatte…

Wir denken, dass Sie sehr genau wissen warum wir hier sind! Wir interessieren uns für Aussagen, die Sie uns zu dem Vorfall geben werden!

Hallo? Ich versteh´ nur Bahnhof! Welche Antworten? Welcher Vorfall?

Wir glauben einen konterrevolutionären Spruch von Ihnen gelesen zu haben!

Was? Von mir? Ne Konterrevolution! Na Super. Da wüsst´ ich aber ´was von! Wann soll denn die stattfinden? Ach, da wär´ ich doch gern dabei!

Herr Banner, bleiben Sie sachlich! Dafür ist ihre Situation zu ernst! Wir wissen sehr genau, wer im Einzelnen alles hinter der staatsfeindlichen Aktion steckt. Wir denken aber, dass Sie uns das sicherlich jetzt freiwillig erzählen werden. Nur so können Sie ihre missliche Lage verbessern! Herr Banner, wir geben Ihnen jetzt die Chance das wiedergutzumachen! Nutzen Sie diese! Wir bieten sie Ihnen nur ein einziges Mal!

Was wollen Sie mir wieder anhängen? Ich weiß von keinem Text! Ihre Konterevolution, die findet doch nur in Ihren Köpfen statt. Alles nur Erfindung, alles nur Schikane!

Wir sind zu einer anderen Meinung gekommen! Wir sind uns sicher, dass Sie mit der kriminellen Aktion, etwas zu tun haben. Geben Sie den Widerstand auf. Nur wir helfen Ihnen mit heiler Haut davonzukommen. Sicherlich sind Sie da einfach nur reingerutscht. Und in so einem besonderen Fall würden wir Ihnen gern aushelfen. Wir sind wie gesagt keine Unmenschen.

Mit welcher Sache? Womit? Ich bin… ich bin nirgendwo… ich weiß gar nicht… nichts! Lassen Sie mich in Ruhe!

Sie verstehen uns sehr gut! Sagen Sie uns etwas über den Text und die Anstifter… Leugnen bringt doch nichts, Herr Banner. Sie wissen sehr wohl, was wir meinen! Außerdem wollen Sie doch heute noch in Ihre Kirche. Da sollten Sie keine Zeit verlieren. Wir hören Ihnen aufmerksam zu! Beginnen Sie, Herr Banner! Beginnen Sie!

Verdammt nochmal, welcher Text? Ich, ich…ich besitze nicht einmal eine Schreibmaschine! Da müssen Sie sich irren. Ich habe überhaupt nichts gemacht, das müssen Sie mir glauben. Das können Sie alles nachprüfen, alles. Ich habe nichts gemacht!

Glauben ist wohl eher Ihre Sache, Herr Banner! Uns interessiert vielmehr: Besitzen Sie Wandfarben? Haben Sie Pinsel?

Was soll die Frage? – Ja !

Sie geben also zu, schon einmal Wandfarben und Pinsel gekauft zu haben?

Ja, natürlich… andere auch. –Sie wohl nicht?

Wir interessieren uns für Ihre Farben und Ihre Pinsel. Wo haben Sie die Farben gekauft? Wann? Allein oder mit anderen? Wieviel?

Das weiß ich doch nicht mehr. Manchmal brauche ich Farben für´s Haus.

Sehen sie, Somit sind Sie zu Recht unser Hauptverdächtiger. Und die Farben und Pinsel mit denen Sie die Schmiererei gemacht haben, die werden wir auch noch finden. Oder wollen Sie behaupten, dass Sie keine Farben und Pinsel hier im Haus deponiert haben?

Ja, aber… das, das ist doch gar nicht mein Haus!

Aber Sie wohnen hier! Oder irren wir uns? Sie sind doch Herr Torsten Banner! Weisen Sie sich aus!

Was? Sie wollen zum Sonntagmorgen… jetzt meinen Ausweis hier im Wohnzimmer sehen? Schikane, Ich habe aber doch gar nichts gemacht! Überhaupt nichts! Wirklich nichts! Lassen Sie mich endlich in Ruhe. Bitte! Bitte!

Haben wir uns undeutlich ausgedrückt oder wollen Sie sich einer staatlichen Ausweiskontrolle widersetzen? Dann müssen wir Sie sofort mitnehmen.

Nein, natürlich nicht, aber ich bin doch in der Unterhose…

Aber was, Herr Torsten Banner? Was? Wir möchten sofort Ihren Ausweis sehen, Herr Banner! Jetzt holen Sie ihn! Sofort! Den haben Sie stets bei sich zu tragen!

Den muss ich holen. – Bitte, bitte, hier ist der Lappen!

Geht doch Herr Banner! Geht doch! Warum dieser zwecklose Widerstand, der führt doch zu nichts! Wir behalten ihren Ausweis. Reine Vorsichtsmaßnahme! Wir sind bemüht, Ihnen den Ausweis nach unserem Gespräch zurückzugeben. Das liegt ganz allein bei Ihnen! Sie helfen uns bei unseren Fragen und wir geben Ihnen danach den Ausweis zurück. Sie wissen, ohne den Ausweis dürfen Sie nicht weggehen. Also, lassen Sie uns jetzt rasch unsere Fragen abarbeiten. Und denken Sie daran, Sie wollen heute noch in Ihre Kirche gehen, wir nicht! Also, halten wir fest: wir wissen, Sie haben jede Menge Farben und Pinsel in dem Haus, in dem Sie amtlich gemeldet sind. Wir halten weiterhin fest: die Schmiererei wurde in Ihrer Straße unweit Ihres Hauses an einer Mauer gemalt. Und wir halten fest: die Schrift an der Wand ähnelt doch sehr Ihrer Schrift. Wir haben Fotos. Die Beweise zusammenzuführen ist für uns eine Kleinigkeit. Was haben Sie uns dazu zu sagen, Herr Torsten Banner?

Spinn´ ich! Was ist denn das für´n Scheiß´?

Antworten Sie einfach nur auf unsere Fragen. So schwer sind die doch gar nicht! Wir meinen die Schmierereien am Spezialhandel der sowjetischen Streitkräfte. Das ist kein Zufall, Herr Banner! Herr Banner, Sie haben sich das sehr genau überlegt!

Sie meinen den Spruch an der vergammelten, halb eingefallenen Wand?

Sehen Sie, Herr Banner, wir wussten, dass Sie ganz genau wissen, warum wir hier sind. Sie leugnen also nicht mehr. Prima, sehr gut, dass Sie sich für uns entschieden haben! Vertrauen sie uns weiterhin! Nur wir wissen wie Sie aus dem Schlamassel rauskommen!

Welchem Schlamassel? Den Spruch, den blöden Spruch, den, den hat doch jeder gesehen! Der ist doch harmlos, völlig harmlos, den, den, den, den kennt doch jeder!

Na, dann fragen wir mal anders: Was haben Sie denn gelesen? Was hat dort gestanden?

Das, was alle Anderen an dem Morgen auch gelesen haben!

Und was haben die anderen Leute gelesen?

„Nieder mit dem antiimperialistischen Schutzwall! – Brücken bauen statt Mauern“

Aha? Das haben Sie gelesen, Herr Banner? Und warum haben sie das geschrieben? Wollten Sie uns damit provozieren? Wer hat Ihnen geholfen? Wurden Sie vom Westen gesteuert? Was haben die Ihnen gezahlt? Wir wissen, dass ihre Mutter im Westen lebt.

Ich habe überhaupt nichts geschrieben… überhaupt nichts! Wirklich, ich… ich war das nicht! Das können Sie mir nicht so einfach an die Backe nageln!

Herr Banner, so einfach nageln wir Niemanden etwas an die Backe. Sie selbst haben uns doch eben gestanden, dass Sie das gelesen haben!

Ja, wie alle anderen auch!

Was die Anderen gelesen haben, können Sie doch gar nicht wissen. Wann haben Sie denn das gelesen?

Als ich auf Arbeit gehen wollte.

Uns interessiert: an welchen Tag und zu welcher Uhrzeit? So genau wie möglich, Herr Banner!

Am 17. Juni , so gegen halb fünf?

Halb fünf? Oder etwas früher? Oder doch etwas später?

Nein, nein halb fünf!

Halb fünf, das wollen wir mal so aufschreiben. Was uns weiterhin interessiert Torsten: Hast du jemanden gesehen?

Ich habe niemanden gesehen!

Ich denke, das haben alle anderen gelesen? Du willst jemanden decken? Wer waren die Anderen?

Weiß nicht, eine Frau und…

Wie sah die Frau aus? Wir interessieren uns sehr dafür. Beschreib´ sie so genau wie möglich!

Weiß nicht!

Erinnere dich! Du willst doch heute noch in deine Kirche!

… jung… blond… Locken… gelbe Strickjacke… weißer Rock, kurz, sehr kurz… mehr, mehr weiß ich nicht!

Gut, dein Geständnis wollen wir mal so notieren! Und der Mann, wie sah der aus?

Älterer Herr… schlank, kariertes Hemd… Aktentasche, ja eine Aktentasche!

Was für eine Aktentasche, Wie alt war der Mann? Wo wohnt er? Passen Farben zum Beschmieren der Wände in die Tasche?

Lederaktentasche… braun… eine dunkle…. ja, eine dunkle Hose. Ich habe da nicht darauf geachtet. Ich glaube, er wohnt in der Wilhelm–Pieck-Alle, in der eins. Manchmal sehe ich ihn auch mit seiner Frau im Konsum.

Gut, das Geständnis wollen wir mal so notieren. Was uns besonders interessiert: Waren noch andere Bürger zu dieser Zeit auf der Straße? Haben weitere Bürger diese Schmierereien gelesen? Das waren doch Schmierereien? Nicht wahr, Herr Banner? Torsten? Torsten?

Weiß ich nicht. Ja, ja natürlich waren das… ich weiß nicht, ich glaube, ich denke, das ist, das war doch nur ein harmloser Spruch von, von Wolf, Wolf Bier…mann…

Herr Banner, Sie und wir wollen diesen Asozialen Elementen, die nur die Zerstörung unserer sozialistischen Heimat wollen, keine handbreit Land geben. Der Meinung sind Sie doch auch! Oder?

Ich, ich… ich, wissen Sie, ich… ich…

Oder? Herr Banner!

Ja!

Na also! Dein spätes aber vernünftiges Geständnis wollen wir so notieren. Was uns aber noch dringend interessiert ist: Hat außer dir, der Frau und dem Mann noch jemand die antisozialistische Schmiererei am Spezialhandel der sowjetischen Streitkräfte gelesen? Torsten, du weißt, du bist zur Mithilfe bei der Aufklärung eines staatsfeindlichen Verbrechens verpflichtet. Sonst machst du dich strafbar. Und dann können wir dir nicht mehr helfen. Da endet unsere Freundschaft!

Ich… ich weiß. Ich habe niemanden außer die beiden gesehen. Wirklich. Ich habe Sie Ihnen doch so genau wie möglich beschrieben. Und wo der Mann wohnt, das habe ich Ihnen doch auch gesagt.

Gut. Sie haben also keine weiteren Bürger gesehen, Herr Banner? Sehr gut. Hier haben Sie Ihren Ausweis wieder. Und wenn Sie sich beeilen, schaffen Sie es noch in Ihre Kirche.

Danke, ich bringe, ich… ich bringe Sie, wenn Sie wollen… bringe ich Sie noch zur Tür!

Lieb von dir, Torsten. – Ach, zum Schluss unseres freundschaftlichen Besuches haben wir noch eine kleine Frage. Sagen Sie mal, wenn Sie die Schmiererei gelesen haben – und das haben Sie ja eben gestanden – warum haben Sie diese staatsfeindliche Hetze nicht umgehend angezeigt? Herr Banner, das ist Mithilfe zu konterrevolutionären Aktionen. Sie wissen, darauf steht mehrjährige Haftstrafe!

Ich hatte das nicht so als… verstanden… eher… verstanden… so wie Völker… verständigung unter Bruder… ländern. Ich weiß doch auch nicht… na so wie… wir das in der Schule gelernt haben, dass wir alle Gesellschaftsschranken… ab… also niederreißen. Tut mir leid. Das tut mir alles wirklich…

Da wir aber als deine neuen Freunde gekommen sind, bieten wir dir, lieber Torsten, eine Chance. Deswegen werden wir in den nächsten Tagen nochmal auf dich zukommen. Und was den kleinen Freundschaftsbesuch heute anbelangt: Das hat niemanden zu interessieren!

Frau Banner, bleiben Sie auf der Treppe sitzen, wir wollen Sie auf den Weg in ihre Kirche nicht länger aufhalten. Wir finden allein heraus. Vielen Dank.

Mein Hase

Du bist wach. Du bist allein. Du streckst dich. Du öffnest Facebook. Drei deiner Freunde haben ihr Profilbild geändert. Zwei tragen jetzt Mützen. Einer fährt Ski. Ansonsten keine Neuigkeiten. Keine neuen Likes. Keine neuen Nachrichten. Du rollst durch die alten. Alle gelesen. Alle beantwortet. Du checkst deine E-Mails. Zwei Newsletter. Viermal Spam. Du drückst sechs Mal Entfernen. Du öffnest den Chat. Keiner deiner Favoriten ist online. Du hast große warme braune Augen.

Ich reibe den Schlaf aus meinen und krümle die Körner auf den Teppich. Meine Augen brennen. Das ist einfach nicht mein Biorhythmus. Ich greife zu meiner Kaffeetasse. Sie ist leer. Ich müsste aufstehen und neuen Kaffee aufsetzen. Das geht jetzt nicht. Ich will nichts verpassen. Ich schlage mir die Hände ins Gesicht. Ich ohrfeige mich. Adrenalin macht wach. Ich will jetzt wach sein. Du bist wach. Was machst du?

Du greifst zu deinem Telefon. Keine neuen SMS. Keine Benachrichtigungen. Du rollst durch dein Adressbuch. Du könntest jemanden anrufen. Aber wen? Die Hälfte der Leute hat in den letzten acht Wochen keine Rolle in deinem Leben gespielt. Du löschst ein paar von denen. Du blätterst durch deinen SMS-Eingang. Du liest alte Nachrichten. Du löschst ein paar von denen. Du könntest jemandem schreiben. Aber wem? Oder was? Du kaust auf deinen Lippen. Lass das! Du gehst zum Fenster und legst deine Stirn an die Glasscheibe. Was siehst du?

Ich öffne eine neues Nachrichtenfenster und schreibe dir: „Guten Morgen.“ Wen soll ich als Absender nehmen? Ich lasse es. Stattdessen angle ich die letzte Zigarette aus dem Päckchen. Ich muss neue holen. Ich suche mein Feuerzeug. Ich suche den Aschenbecher. Ich habe keinen Kaffee. Ich raste aus. Ich klemme die Zigarette ohne Feuer zwischen meine Lippen. Ich schmecke trotzdem Rauch. Ich sollte lüften. Ich brauche frische Luft. Du brauchst frische Luft.

Du solltest rausgehen. Nimm dein Handy mit. Dann bin ich beruhigt. Es dämmert schon. Du warst noch nicht draußen. Aber es regnet und du willst nicht raus. Du kriegst eine neue E-Mail. Dein Foto-Netzwerk. So gelingen tolle Schnappschüsse bei tristem Frühlingswetter. Du klickst die Benachrichtigung weg. Du steckst dir eine Zigarette an. Du hast noch massig Zigaretten. Feuerzeug und Aschenbecher liegen griffbereit. Typisch für dich. Du atmest weißliche Schwaden aus. Du bist blass wie ein Geist. So gelingen tolle Schnappschüsse vor Ihrem Rechner. Ich möchte auch eine Zigarette rauchen.

Ich lasse meinen Kopf zwischen meine Knie fallen. Mein Rücken schmerzt. Ich finde mein Feuerzeug hinter einem meiner Monitore. Ich finde meinen Aschenbecher unter dem Tisch. Ich muss tagsüber ein paar Minuten eigenickt sein. Ich kann mich nicht erinnern ihn runtergeschmissen zu haben. Ich strecke meine Beine unter den Tisch. Mit den nackten Füßen schiebe ich die Asche zu einem Haufen zusammen. Ich stecke mir die Zigarette an. Der Filter ist schon ganz aufgeweicht. Ich inhaliere. Wir rauchen eine Zigarette zusammen. Ich muss aufräumen. Morgen früh. Wenn du wieder schläfst.

Du gehst zum Kühlschrank. Du kniest Dich davor. Du hast einen schönen Hintern. Du nimmst das Saure-Gurken-Glas heraus. Viel mehr Auswahl ist nicht. Seit einer Woche warst du nicht einkaufen. Mit den Fingern angelst du in der Brühe. Du nimmst eine Gabel aus dem benutzten Geschirr. Du spießt die Gurke auf und isst sie. Du hast Appetit auf Erdnussbutter. Du hast die Erdnussbutter gestern alle gemacht. Du hast keine Vorräte. Nicht mal Nudossi. Null Überblick hast du. Du läufst zur Süßigkeiten-Schublade. Du findest Gummibärchen. Du magst keine Gummibärchen. Du magst jetzt was Richtiges.

Dein Telefon vibriert. Whopper-Menü heute im Angebot. Milchshake für einen Euro. Du hebst die Augenbrauen. Du lächelst. Du drehst dich und kratzt dich am Hals. Du überlegst. Du entscheidest. Du willst ein Whopper-Menü. Du schlüpfst aus deinem Schlafshirt und lässt es auf den Boden fallen.

Ich halte die Luft an. Deine weiße Haut! Deine Schulterblätter! Deine Hüften! Du verschwindest zum Kleiderschrank. Ich raufe mir Haare. Ich muss daran ziehen. Ich brauche einen Reiz. Bitte nimm das rote T-Shirt! Deine Brust in dem Roten T-Shirt! Du kommst mit dem roten T-Shirt zurück. Ja! Es ist soweit. Heute! Du ziehst Dich an. Deine Schenkel! Deine Waden! Ich muss mich anziehen! Deine Hosen sind eng geworden. Dir steht das. Meine Hosen haben Gummibund. Du wirst mich sowieso nicht bemerken.

Du suchst Deine Schuhe. Du findest Deine Schuhe nicht. Ohne Schuhe kannst du nicht raus. Das passt dir gut. Du willst nicht nach draußen. Willst du nie. Aber du bist hungrig. Dann fällt es dir ein. Deine Schuhe stehen vor der Tür. Du hast sie dort stehen lassen. Sie waren nass und schmutzig geworden. Neulich. Meine Schuhe stehen vor dem Bett. Aber ich brauche eine Jacke. Ich kann nicht im Unterhemd vor die Tür. Ich rase durch meine Wohnung und suche meine Jacke. Ich finde sie auf dem Kochfeld. Ich kam hungrig nach Hause neulich und hatte die nasse und schmutzige Jacke vor dem Kühlschrank ausgezogen. Ich schlüpfe hinein. Ich hole meine Schuhe. Ich gehe an meinen Platz um sie anzuziehen. Wo bist du?

Du kommst aus dem Bad zurück und gehst zur Wohnungstür deines Apartments. Du legst dein Auge an den Spion. Du trittst einen Schritt zurück. Du zögerst. Du trittst wieder zur Tür. Du wartest. Du lehnst dich mit dem Rücken an deine Tür und knallst deinen Hinterkopf dagegen. Du ziehst deine Jacke aus. Du kaust an deinen Nägeln. Als wärest du nicht in Sicherheit! Du lässt dich aufs Sofa fallen. Was ist los?

Du schaltest den Fernseher ein. Dein Fernseher hat Zugriff auf dein Netzwerk. Wie ich. Eine dicke Frau legt Karten. Du nimmst dein Telefon aus der Tasche. Du wählst die eingeblendete Nummer. Du willst nach deiner Zukunft fragen? Wie albern! Du hörst sowieso nicht zu! Die Nummer ist besetzt. Du legst auf und stützt den Kopf auf deine Hände.

Du hast Sehnsucht. Ich habe Sehnsucht. Aber du hast einen Vorteil: Dich gibt es. Ich habe auch einen Vorteil: Du bist naiv. Du hättest die Bilder nicht herunterladen sollen. Nicht auf deinen Rechner und nicht auf dein Handy. Man öffnet keine Dateien von fremden Männern. Du wolltest den Mann kennen lernen. Aber so einen Mann gibt es nicht. Jetzt habe ich dich kennen gelernt. Und ich werde Dich treffen. Heute. Ich schalte deinen Fernseher aus. Du staunst. Du nimmst die Fernbedienung in die Hand. Du kratzt dir irritiert dich irritiert hinter dem Ohr. Du siehst niedlich aus. Die liest die schwarze Mattscheibe als Zeichen. Du erinnerst dich an deinen Hunger.

Du kommst zurück zum Schreibtisch und greifst nach deinem Portmonee. Du zählst dein Geld. Es müsste reichen. Findest du auch. Du gehst wieder zur Tür. Du lauschst ins Treppenhaus. Du fährst dir durch deine braunen Locken. Der Hase traut sich nicht aus seinem Bau! Mein Hase! Du schnappst dir den Schlüssel von der Kommode und traust dich doch. Mit einem Ruck öffnest du die Tür. Zügig fällt sie hinter dir ins Schloss. Bravo! Ich brauche noch ein paar Sekunden. Die Stille in deinem Apartment fesselt mich. Ich sehe es so selten leer. Dein Bau.

Ich stürze ins Treppenhaus und haste die Treppen hinunter. Du wirst den Lift nehmen. Dein Weg ist viel kürzer. Du wirst vor mir da sein. Vor der Haustür atme ich kurz durch. Haltung! Am besten die eines Niemand. Ich höre meinen Puls nicht mehr. Ich betrete die Straße. Der Wind kitzelt hinter den Ohren. Ich schüttele mich. Ich reiße mich zusammen. Der Regen platscht mir auf die Kopfhaut. Das ist erniedrigend. Draußen läufst du ganz anders. Deine Schritte sind größer und fester. Dein Gang ist eine Pose. Deine Pose amüsiert mich. Bald bin ich dicht hinter dir. Ich würdige dich keines Blickes. Du öffnest die Tür zum Restaurant. Du hältst sie mir nicht auf. Du würdigst mich keines Blickes. Ich bin dir zu alt und zu dick. Das hast du klipp und klar geschrieben. Warum solltest du mich treffen? Das hast du geraderaus gefragt. Ich hätte keine Chance. Du bist hungrig. Ich bin hungriger. Ich bin cleverer. Du hattest keine Chance.

Du stehst vor mir in der Schlange. Du bist größer als ich dachte. Kräftiger. In der Kapuze deiner Jacke liegen ausgefallen Haare. Ich reiße mich zusammen. Ich trete näher an dich heran. Du suchst nach dem Sonderangebot auf den Angebotstafeln. Der Erfinder des Sonderangebots steht hinter dir. Ich versuche dich zu riechen. Ich rieche Bratfett. Ich trete noch näher. Der Gedanke dich zu riechen erregt mich. Du hast dich heute noch nicht deodoriert. Aber ich muss mich zusammenreißen. Du bist dran. Deine Stimme ist leise und belegt. Ich mag deine Telefonstimme lieber. Du traust dich nicht nach dem Sonderangebot zu fragen. Du kramst umständlich Münzen aus deinem Kleingeldfach. Ein 2-Euro-Stück rutscht dir aus den Händen und fällt auf den gefliesten Boden. Ich könnte mich Bücken und es dir aufheben. Du würdest mich ansehen. Du würdest Danke zu mir sagen. Vielleicht würdest du lächeln. Ich kann nicht.

Du bückst dich und hebst das 2-Euro-Stück selbst auf. Du siehst dich nervös um. Ich richte meinen Blick auf den Boden. Ich atme tief aus. Ich ärgere mich. So habe ich mir das nicht vorgestellt. Die Verkäuferin fragt „Zum Mitnehmen?“. Du nickst. Sie wirft den Burger und die Pommes in eine Papiertüte. Den Milchshake stellt sie daneben. Sie faltet die Papiertüte zu und schiebt sie über den Tresen. Du greifst danach. Ich sammle mich. Ich atme tief ein. Du drehst dich um und läufst auf mich zu Richtung Ausgang. Ich nehme meinen Mut zusammen. Ich mache einen Schritt in deinen Weg. Deine Schulter stößt gegen meine. Du rempelst mich an. Deine Schulter ist fest. Du riechst salzig. Ich höre meinen Puls wieder. Du bleibst stehen. Du siehst mich an. Du hast verboten große warme braune Augen. Du hebst deine Augenbrauen. Ich reiße mich zusammen. Ich sage Entschuldigung. Du legst die Hand an meinen Oberarm. Ich zucke. Du sagst: „Kein Problem.“ Mir dreht. Die Verkäuferin fragt: „Bitte?“. Ich kann deinen Blick nicht halten und sehe zur Verkäuferin. Du kannst meinen Blickt nicht halten und siehst zur Tür. Ich sage: „Das gleiche nochmal.“ Du läufst los. Zurück in deinen Bau. Ich sehe dir nicht nach. Du gehst. Ich bleibe.

kiew, 22. februar 2014

sag es nur niemandem, aber gestern kam ein pegasus
auf den maidan. der zarkowitsch flüchtete darauf,
hisste die flügel ´gen krim, doch die dichter
& demonstranten bemerkten es nicht, staunten beschäftigt
auf das schlaraffenbankrott.
die kinder beworfen mit schokolade, während frauen auf blauer flamme kochen &
die männer die eisenfaust beim schopfe packen.
der schokoladenkönig, gas-snegurotschka und dr. faust beanspruchen den thron.
nur mephisto ja, den freut´s,
reitet hinaus aus der hölle, reißt flügel aus und feixt.
dort vorne läuft die korruption.

Deutschlandhalle

Sie öffnete den Mund, streckte ihre Zunge heraus, legte die Tablette auf die Zungenspitze und spülte sie mit einem Glas Wein herunter. Sie atmete tief ein, nahm die zweite, der in Reihe gelegten Tabletten vom Tisch und schluckte auch diese. Sie mochte weder den Weißwein, den sie im letzten Jahr zu ihrem Geburtstag vom Zivi geschenkt bekommen hatte und den sie anfangs vereinzelt vor dem Zubettgehen, später beim Mittagessen und seit einigen Wochen regelmäßig auch zum Frühstück trank, noch die Tabletten die sie unter dem Bett ihres Sohnes im Jugendzimmer gefunden hatte und die sie seit seiner Flucht fast täglich probierte. Sie öffnete wieder den Mund, schluckte eine weitere Tablette herunter und hoffte, das die Wirkung des Weines und die beruhigende Wirkung der Tabletten heute besonders schnell einsetzten. Sie nahm die Geburtstagskarte vom Küchentisch, drehte sie auf den Kopf und flüsterte: “Jetzt bin ich einundachtzig Jahre und einen Tag alt!“. Sie legte die Karte zurück auf den Tisch, griff die schwere Armbanduhr ihres Schwiegervaters und hob sie vor ihre Augen. Sie küsste auf das beschädigte Glas und lächelte. Sie streichelte mit beiden Daumen über die zerkratzte Oberfläche, roch an ihr und glaubte die wohlriechende Haut ihres Schwiegervaters zu spüren. „Elf Jahre“, flüsterte sie auf das Glas,“ Elf Jahre hast Du jeden Handgriff, den ich hier in der Küche gemacht habe, von dem hohen Sofa unter dem Fenster mit vielen Komplimenten beobachtet. Elf Jahre habe ich Dich dafür bekocht und gepflegt!“ Sie verglich die Zeit auf der goldenen Uhr, auf dem bunten Küchenwecker und dem weißen Zifferblatt des Kirchturmes: es war viertel Zwölf. Sie knöpfte die gemusterten Dederonschürze auf, zog sie aus und faltete sie über die Stuhllehne. Sie streifte ihre beiden dünnen Eheringe vom Finger, hielt sie vor ihre Augen, überflog die kaum lesbaren Gravuren und legte sie auf das Kopfkissen des Sofas. Seit der Schwiegervater auf diesem Sofa verstorben war, vermied sie, sich darauf zu setzen oder wenn sie von ihren Hausarbeiten müde wurde, darauf zu legen. Sie saß viel lieber auf der hellblauen Sitzfläche des Küchenstuhles, an dessen Griffen lederne Handtaschen und Plastikbeutel klemmten und über dessen Lehne sich in den Jahren Schürzen aufgetürmt hatten. Sie konnte auf diesem Stuhl stundenlang zu den drei Kinderbildern im Buffet schauen. Sie konnte, wenn es dabei dunkel geworden war, ohne ein einziges Wort an dem Tag gesprochen zu haben aufstehen und ins Bett gehen. Sie öffnete wieder die Augen und sah sich prüfend in der Küche um: der Mülleimer war geleert, der Fußboden gewischt und gebohnert, die Gardine gewaschen und gestärt, die Gläser poliert und zu exakten Reihen in den Schränken verstaut, das Gas abgestellt, die Wohnungstür verschlossen. Sie stand auf, ging zum Buffet und schob den Stecker des Radios in die Steckdose. Seit Jahren schaltete sie mit diesem Trick den Kasten mit den vielen Knöpfen an und aus. Sie hörte Applaus aus dem Lautsprecher. Sie stellte das Radio leise. Seit sie in einer Dokumentation sich als HJ-Mädchen in der Deutschlandhalle wild applaudierend wiedererkannt hatte, mochte sie weder politische Reden noch das widerliche Geräusch des Applauses zu Partei-oder Brigadeveranstaltungen. Sie fühlte sich seit diesem Tag um ihre wunderbaren Erinnerungen von Damals betrogen und konnte bis heute nicht verstehen, dass er das, was die über ihn behaupteten, zugelassen hatte. „Wir haben viel erreicht, meine sehr verehrten Damen und Herren“ klang die Frauenstimme zur Festtagsrede zum 65. Jahrestag der Republik. „Angela“, sprach sie zur Skala des Radios schauend, “Angela“, so hätte meine Tochter ursprünglich heißen sollen. Sie strich sich die nicht vorhandenen Falten aus ihrem Kleid und ging zurück zum Tisch. Sie sah auf das vergilbte Weiß der Tapete und hörte für Sekunden wieder die schrille Stimme ihres verstorbenen Ehemannes, der beim Einzug in diese Wohnung auf dem Weiß aller Decken und Wände bestanden hatte. Sie zuckte zusammen, beugte sich für einen Moment nach vorn und sah aus dem Fenster zu jener Stelle am Haus, an der er über die Jahre ihre Dinge zerschlagen hatte. Sie stand auf und ging ins Schlafzimmer. Sie stellte sich an das Fußende der Betten, streckte die Händen auf die frisch bezogene Wäsche und streichelte über das Lieblingsmuster ihres Ehemannes, das sie am Morgen aufgezogen hatte: weißer Stoff mit blauen Wolken. Sie ging an sein Kopfkissen, betrachtete das Wolkenmuster und verließ, wie er es von ihr stets gefordert hatte und wie sie es seit jeher gewohnt war, auf Zehenspitzen das Schlafzimmer. Sie schloss mit einem Zeigefinger, den sie zwischen Türblatt und Rahmen schob, die Tür und ging zurück in die Küche. „Unsere Republik hat sehr viel erreicht, meine sehr verehrten Damen und Herren“, klang die freundliche Frauenstimme aus dem Lautsprecher. „Wir leben in einem Land, das jedem Wohlstand und Sicherheit garantiert!“ Applaus! Sie schlich noch einmal zur Schlafzimmertür, öffnete sie leise und warf sie mit einem Krachen zu. Sie ging zurück in die Küche und hörte wie der Applaus verstummte. „Im Namen der Bundesrepublik gratuliere ich Ihnen allen, meine sehr verehrten Damen und Herren“ Sie stellte das Radio, aus der die freundliche Frauenstimme klang, laut und sah in die Kindergesichter, die aufgereiht im Küchenbuffet abgelichtet standen. Sie zog die Schublade auf und holte die rote Wäscheleine mit dem Seemannsknoten heraus. Sie tastete über den Knoten den sie von ihrem Großen gelernt hatte und den sie seit Monaten vor dem Buffet stehend fast täglich übte. Sie hatte dabei sehr oft an die denen schönen Abende denken müssen, an denen der Große Seemannsgeschichten erzählte, die damals alle bezweifelten und die sie gegen jeden Zweifler heftig verteidigte. Sie erzählte noch Jahre danach ihrem Mann, der wenige Wochen nach seiner Pensionierung eines Morgens im Bett liegen geblieben war, diese wunderschönen Geschichten. Sie erzählte diesem Ehemann, der keine dunklen Farben ertrug, der stets eine Schaufel, eine Flasche Wasser, etwas Essen und eine Taschenlampe unter dem Bett liegen hatte, an jeden Morgen und an jeden Abend diese Geschichten, um ihn endlich wieder zum Aufstehen zu bewegen. Selbst mit dem Tag, an dem sie allein in dem Bett  lag, erzählte sie sich diese Geschichten und ertappte sich, wie sie diese oder jene Begebenheit durch neue Inhalte variierte. Sie erzählte die Geschichten ihres ältesten Sohnes, wenn sie im Bett liegend an diesen denken musste, manchmal so oft und so laut, dass sie glaubte, dieses lachende Gesicht im Küchenbuffet aus dem Schiff herausholen zu können. Sie legte die rote Wäscheleine in die Schublade zurück und schob die Lade zu. Sie ging zum Tisch, setzte sich auf den Stuhl, seufzte und wischte mit der flachen Hand über die giftgrüne Wachsdecke mit den pinkfarbenen Pusteblumen. Sie mochte weder die Farben noch die neumodischen Formen. Sie hatte anfangs kleine, später große Einrichtungsgegenstände in den Farben und Formen, die ihre Tochter liebte, gekauft, um, wenn sie endlich einmal käme, sie damit beeindrucken zu können. Sie schob eine weitere Tablette, die das letzte Kinderbild tütenweise unter der Matratze zurückgelassen hatte auf die Zungenspitze,  goss mit einen kräftigen Schwung Weißwein in ihr Glas, spülte die Tablette herunter und hoffte wieder, dass die wohltuende Wirkung der letzten Wochen und Monate heute besonders schnell einsetze. Sie lachte. „Wie beim Arzt“, sprach sie belustigt zu den Kinderbildern! Sie sah zu dem dritten Kinderbild und war sich immer noch nicht sicher, ob sich der Jüngste noch auf der Flucht vor den schlechten Freunden befand, ob er eine Offizierskarriere wie der Große begonnen hatte, oder ob er…. Sie lallte: „Ein guter Junge bist du, ein Guter, du bist der Beste von allen. Bestimmt bist du auch Offizier geworden, wie der Große!“ Sie öffnete das Kuvert mit den vielen Geldscheinen die sie über die Jahre von ihrem ältesten Sohn geschickt bekommen hatte und war sich für einen Moment nicht sicher, ob es für ein ordentliches Begräbnis reichen würde. Sie spürte wie die Tabletten des Jüngsten endlich zu wirken begannen. Sie griff nach den verbliebenen zwei Tabletten, drehte die Zunge heraus und warf belustigt eine der beiden in den Mund. Sie hob die zweite in die Luft, küsste sie laut, schob sie zwischen ihre Zähne und biss darauf. Sie schlürfte mit offenem Mund Weißwein. Sie würgte und brach die beiden Tabletten wieder heraus. Sie beugte sich nach vorn und tastete nach den Tabletten. Sie nahm sie in die Hand, wischte sie trocken, schob sie wieder in den Mund und schluckte sie mit dem Rest Wein herunter. Sie hörte wie die Kinderbilder im Buffet zu sprechen begannen: Das erste Bild rief: Mama, wo ist mein Lexikon; Das zweite weinte: Mama, meine Farben sind alle; Das dritte rief: Mama, ich habe wieder eine Fünf und einen Eintrag bekommen. Sie hielt sich die Ohren zu und sah wie die lachenden Kinderbilder sich übereinander schoben. Sie hörte wie die Bilder durch ihre verschlossenen Ohren im Kinderchor sangen: „Mama, wir haben Hunger, Hunger, Hunger; wir haben Hunger, Hunger, Hunger; wir haben Hunger, Hunger, Hunger; wir haben Durst!“ Sie riss die Hände von den Ohren und drückte sie vor ihre Augen. „Wir haben aus unserer Vergangenheit gelernt und sind jetzt ein in aller Welt geachteter Staat, meine sehr verehrten Damen und Herren“, hörte sie die freundlich klingende Frauenstimme aus dem Lautsprecher sagen. Applaus! Sie hob ihren Arm. Sie schüttelte den Kopf. Sie presste beide Hände wieder auf ihre Ohren. Sie starrte auf den grauen Fliesenboden und sah ihren Ehemann aus einer der Fliesen mit einer Schaufel herausklettern. Sie drehte den Kopf ruckartig zur Seite, blickte hinüber zum hohen Sofa unter dem Fenster und sah den Schwiegervater in seiner hochdekoriert Uniform. Sie ging zum Fenster, setzte sich auf das Sofa und fühlte wie er seine weiche, wohlriechende Hand mit der schweren, goldenen Armbanduhr, die er aus dem Krieg mitgebracht hatte unter ihr Sommerkleid schob. Applaus! Sie stand auf und ging zurück zum Tisch. Sie hörte aus dem Applaus eine kräftige Stimme rufen “Mein Sohn, mein Sohn ist ein jämmerlicher Versager. Applaus. Wir Deutschen lassen uns vom Iwan nicht unterkriegen. Applaus. Wollt ihr den totalen Krieg? Stürmischer Applaus. Du hättest mich, mich und nicht diesen elenden Volksverräter heiraten sollen!“ Sie hörte den Applaus verstummen und die Hymne in der Deutschlandhalle erklingen. Sie stand auf, hob noch einmal die Hand nach oben und winkte. Sie öffnete die Augen und verglich die Zeiger auf der Kirchturmuhr, auf dem Küchenwecker und der Armbanduhr. Sie spürte zwei kräftige Glockenschläge auf ihrer Stirn; sie spürte den Sekundentakt in ihren Ohren; sie spürte das Armband um ihrer Brust. Sie nahm die Hand herunter und ließ sich auf die hellblaue Sitzfläche des Stuhles zurückfallen. Sie beugte sich über die grüne Wachsdecke, griff die Armbanduhr und presste sie wie den Orden, den sie damals von ihm bekommen hatte, zwischen ihre Handinnenflächen. Sie formte ihre Lippen zu einem Kuss. Sie holte tief Luft und atmete zufrieden aus.

Der Damalige

Der Damalige weiß ganz genau, wie es früher zuging. Deswegen kauft er vereinzelt vorhandene Vorräte aus alten Lagerbeständen und liest politische Bücher von Verlagen vergangener Zeiten.

Springt der Damalige von der durchgelegenen Feldliege auf, schiebt er zu Beginn des Tages eine Kassette mit zackiger Militärmusik in den Radio-Recorder oder legt eine Schallplatte mit beliebten Schlagern aus der guten alten Zeit auf den Plattenspieler. Er marschiert ins Bad, putzt die Zähne mehrere Minuten mit Elkadent-Creme, wäscht seinen schlanken Oberkörper mit Nautic-Seife und rasiert über den kaum vorhandenen Bart mit dem stumpfen bebo-sher-Gerät. Im Laufschritt rennt er ins Zimmer zurück, zieht das weiße Turnhemd mit dem aufgenähten Staatsemblem an und hebt schwere Hanteln für die Körperertüchtigung. Von den Übungen hellwach, setzt er sich an den Frühstückstisch und liest die Junge Welt und das Neue Deutschland. Und bis auf den Wetterbericht glaubt er seinen Zeitungen jede darin abgedruckte Nachricht. Er isst Burger-Knäckebrot mit Nudossi-Brotaufstrich, knabbert Filinchen mit Fruchtmarmelade und schlürft zwei große Tassen Trink-Fix. Tagesgestärkt verlässt er die Wohnung und stolziert einmal um den ungepflegten Innenhof des Wohnblockes. Feierlich stellt er sich vor der verrosteten Teppichstange auf und entrollt die Flagge der Internationale. Mit viel Mühe bläst er die Trompete. Werden die Fenster geöffnet, rennt er zur nahe gelegenen Garagenanlage. Ist sein Motorroller wegen fehlender Einzelteile wieder zerlegt, eilt er im Stechschritt und viel zu spät die Straßen entlang bis zur Krankenpflegeschule. Sieht er den Pförtner am Schlagbaum stehen, geht er ihm so weit als möglich aus dem Weg. Kann er ihm nicht entweichen, winkt er ihm verlegen den Sozialistischen Gruß entgegen. Hört der Pförtner diese Worte, ruft er den Damaligen einen ahnungslosen Spinner, eine elende rote Socke oder einen völlig verwöhnten Westbalg. So als würde er die Beleidigungen des Pförtners nicht mitbekommen, spurtet der Damalige schnellen Schrittes ins Klassenzimmer. Und obwohl er weiß, dass die anderen Pflegeschüler seit Jahren von seinem übertriebenen Kollektivgefühl genervt sind, grüßt er auch sie mit einem zünftigen Kammeradengruß. Verpetzt ihn ein Schüler deswegen bei der Mutter Oberin, beschimpft er ihn als üblen Vaterlandsverräter und rührt ihm das Abführmittel Regulax heimlich ins Essen. Gibt ihm hingegen eine ältere Krankenschwester Tipps für die Grundpflegeprüfung oder flüstert ihm die Lehrerin Informationen ins Ohr, dass eine junger Kollege eine Leistungskontrolle anstrebt, lobt er die Frauen gönnerhaft als beherzte Agentinnen der gerechten Sache, schenkt ihnen abgelaufene Schlager-Süßtafeln und Märchenriegel oder legt ihnen verbeulte Medaillen in die Taschen und Mäntel. Einmal in der Woche wartet der Damalige als selbst ernannter Gruppenratsvorsitzender bei Club-Cola und Rotgardistenmusik im Keller der Krankenpflegeschule vergebens auf Neumitglieder für die von ihm gegründete FDJ-Gruppe. Und er ist sehr stolz, einer verfassungsfeindlichen Vereinigung anzugehören, die nichts weiter zum Ziele hat, als das Lebensglück aller Menschen zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang wird gemunkelt, dass er einen Fluchtkoffer im Krankenhaus und einen in der Wohnung bereithält.

Hat der Damalige wieder handgeschriebene Zettelchen mit Zitaten aus dem Kommunistischen Manifest auf Stühle, in Gesangsbücher oder gar auf den Altar in der Kapelle angeklebt und will ihn die Oberin deswegen bestrafen, schickt sie ihn von Station zu Station und lässt ihn lästige Botengänge verrichten sowie Schwerkranken Gottes gütige Worte verkünden. Im Namen des Auftrages geht er eifrig mit der Bibel unterm Arm die langen Flure entlang und ballt die Ernst-Thälmann-Faust für jedermann gut sichtbar zum Gruß. Und so mancher ältere Patient steht bei diesem Anblick stramm oder schiebt erschrocken das Gehbänkchen in die Ecke und erleidet einen schweren Herzanfall. Sieht der Damalige auf dem Rückweg ins Klassenzimmer in den überfüllten Warteräumen Patienten in gut erhaltener Ost-Originalkleidung sitzen, schleicht er mehrfach um sie herum, verstrickt sie in wortreiche Gespräche und begleitet sie mit allerhand freundlichen Hilfereichungen ins Patientenzimmer. Bettelnd verfolgt er sie anschließend in den Garten und dreht mit ihnen Runde um Runde bis sie sichtbar entnervt das gewünschte Kleidungstück vor ihm stehend ausziehen und frierend übergeben. Seit Neuesten wird wiederholt von Fällen berichtet, dass auf der Intensivstation Malimo-Bademäntel spurlos verlorengingen.
Steht der Damalige in der Kantine und hört er den Kassierer am Buffet aufgeregt seine wirren Wahrheiten an die neugierige Mitarbeiterschaft verteilen, unterbricht er ihn ungeduldig und fragt im forderndem Tone nach nahrhaften Ostspeisen. Verneint der Kassierer das Anliegen, oder meint er, dass er diese Speisen gar nicht kenne oder fragt er misstrauisch ob sie überhaupt genießbar seien, nennt der Damalige ihn vor allen Anwesenden empört einen hundsgemeinen, hinterhältigen Konterrevolutionär. Tags darauf kann man den Damaligen beobachten, wie er ihm mit Duosan-Rapid die Kasse verklebt oder den Sitz mit Chemisol-Kleber einreibt.

Geht der Damalige nach einem anstrengenden Kampftag mit geschwellter Brust aus der Krankenpflegeschule, rennt er zu einer der unzähligen Haushaltauflösungen, stürmt die Treppenanlage zur Wohnung des Verstorbenen empor, drängelt sich zwischen all den anderen Interessenten nach vorn und ersteigert ungesehen die Altbestände, um auch diese wertvollen Produkte des Sozialismus vor der Müllkippe zu bewahren. Sieht er auf dem Weg dorthin ein ehemals messeprämiertes Glasserie-oder Gastronomiegeschirr aus einer seltenen Herstellungsreihe in der Auslage eines Geschäftes, stürzt er erregt hinein. Minutenlang drückt er die kostbaren Stücke an die Brust, dreht sich euphorisiert im Kreise und küsst oder streichelt sie fortwährend. Begeistert verwickelt er den verdutzten Verkäufer in leidenschaftliche und ellenlange Fachgespräche. Und so manches Mal hat er dabei dem im Nachhinein verärgerten Verkäufer eine museumsreife Rarität zum Selbstkostenpreis abgeschwatzt. Hat er das Gesehene vom gestohlenen Geld aus der Brieftasche eines Privatpatienten gekauft, läuft er im Marschschritt nach Hause und stellt es wie eine Karl-Marx-Büste in eine der wenigen noch freien Ecken oder Regale. Sodann setzt er sich an die Erika-Reiseschreibmaschine, zündet sich eine Duett-Zigarette nach der anderen an und arbeitet den Stapel unzähliger Beschwerden sorgfältig ab. Geduldig schreibt er ausführliche Änderungsvorschläge an die Intendanten der ARD, wenn für längere Zeit keine Schwarz-Weiß-Filme vom Fernsehfunk der DDR gezeigt wurden. Empört verfasst er leidenschaftliche Appelle an verschiedene Westfirmen, wenn diese wieder die Produktion einer beliebten Ostware einstellen. Und manchmal schreibt er auch bitterböse Proteste an die Stadtverwaltung, wenn sie seiner Meinung nach wieder völlig zu Unrecht den Straßennamen eines verdienten Stalinisten ändern. Sind die Briefe verfasst, beendet er sie stets mit sozialistischen Grüßen und klebt alte Briefmarken darauf. Danach setzt er sich an den Rechner und sucht fieberhaft im Internet nach Jahressätzen des Neuen Deutschland und der Jungen Welt. Um sich von der Fleißarbeit zu erholen, kocht er zwei Tassen starken Rondo-Kaffee in der Kaffeeboy-Maschine, gießt Bitterlemon ins Limonadenglas und legt eine Dokumentation über die großen sozialen Erfolge der DDR in den Videorecorder. Zufrieden schläft er bei den Sozialistischen Erfolgen über flächendeckende Kindertagesplätze, medizinische Versorgung und das Wohnungsprogramm auf der Doppellbettcouch Dagmar als zukünftiger Staatsratsvorsitzender ein. Weckt ihn die Kuckucksuhr, zieht er sein blaues FDJ-Hemd über und legt den Stapel liebevoll gefertigter Handzettel mit den vielen Vorteilen einer neuen DDR in den dicken Armee-Rucksack. Wahllos verteilt er sie auf Straßen und Plätzen und vor Schulen an verdutzte Passanten und an die neugierige Schülerschaft.
Kommt er nach der Agitation über eine sozialistische Zukunft erschöpft nach Hause, zieht er die Jesuslatschen aus und badet stundenlang mit einem Pionierlied auf den Lippen in Badusan. Läuft am Abend ein beliebter Fernsehfilm der DDR, lädt er seine Freundin oder gleichgesinnte Genossen in die vollgestellte Wohnung ein. Im Wohnzimmer lümmeln sie auf der breiten Sesselgarnitur aus dem Politbüro, kochen Gulasch mit Makkaroni in Töpfen aus dem Kulturministerium, trinken Sekt aus Gläsern vom Amtssitz der Staatsicherheit und naschen Gebäck aus Glasschalen von Wandlitz. Gemeinsam sehen sie begeistert die künstlerischen Leistungen der verstorbenen Schauspieler und knabbern Unmengen Knusperflocken und Halloren-Kugeln.
Beschläft der Damalige nach solch einem Abend seine Freundin auf der ehemaligen Ruheliege von Erich Mielke, flüstert er ihr als Ansporn zu höheren Liebesleistungen Kampflosungen aus dem Vaterländischen Kriege abwechselnd in die Ohren. Darf sie irgendwann nach den vielen Losungen endlich eingeschlafen, verlässt er auf Zehenspitzen und in voller Kampftruppenmontur die Wohnung. Geübt schraubt er Straßenschilder von Geächteten über neue Namen, führt stolz Kontrollen an Kreuzungen durch, inspiziert Autokinos oder entrollt Transparente mit SED-Parolen auf alterschwachen Dächern. Ab und zu setzt er sich auch in Gaststätten und belauscht begierig die konsumkritischen Meinungen der Anwesenden ab. Und bis weit nach Mitternacht notiert er eifrig deren Gedanken über den im Absterben befindlichen Kapitalismus in seinen knallroten Schulhefter.
Kommt der Damalige mit der unerschütterlichen Gewissheit für die gerechte Sache unterwegs zu sein wieder in den verschmutzten Wohnblock, wirft er die tagesgenaue Junge Welt und das Neue Deutschland in den kaputten Briefkasten. Er schleicht in die Wohnung, stellt den Ruhla-Wecker und legt sich neben seine Freundin. Dankbar steckt er ihr einen seiner zahllosen Orden an das Nachthemd. Neben ihr liegend, überlegt er beim Schimmer des Metalls ob es nicht an der Zeit wäre, eine neue Einheitspartei zu gründen. Er schließt die Augen und ist sich sicher, dass die sozialistische Idee niemals untergehen darf. Um das zu verhindern, ist er aus der Wohngegend seiner reichen Eltern mit den nörgelnden Nachbarn zu den Ausgestoßenen des Kapitalismus gezogen. Außerdem hat er seine Wohnung liebevoll mit Alltagsgegenständen aus der DDR vollgestellt, damit diese ihn immerzu an den großen Traum der Menschheit erinnern.
Fährt der Damalige in den Ferien endlich in den Urlaub, wandert er zum Verdruss seiner Freundin, den antifaschistischen Schutzwall mehrfach auf und ab, steigt begeistert auf Armeekontrolltürme oder spielt leidenschaftlich Passkontrolle an einem der vielen verlassenen Grenzübergänge.

Würde man den Pförtner nach dem Damaligen befragen, würde er die rechte Hand zur Faust ballen um sie danach flach über den nicht vorhandenen Scheitel zu wischen. Anschließend würde er an der Oberlippe kratzen und im oberösterreichischen Dialekt aus dem Kapital zitieren. Weiterhin würde er mit nicht ernst gemeinter Stimme versprechen, die gestohlenen Teile aus dem Pitty-Motorroller reumütig wiederzugeben.

Was willst du trinken?

Was sollen die Wahlprogramme auf meinem Tisch? – Willst du etwas trinken?

Sag, was hälst du von der CDU? Kann man die wählen?

Meinst du die Merkel mit den runter hängenden Mundwinkeln und der immer gleichen, langweiligen Frisur? Meinst du die, die blind SMS schreiben kann? Meinst du die, die damals ihre Brüste in der Oper raushängen ließ? – Willst du ein kleines Bier?

Was hältst du vom Bildungsvorschlag der SPD?

Meinst du den Steinbrück mit der Randlosbrille, der immer so unecht grinst? Meinst du den, der die fetten Vortragshonorare kassiert und dabei den teuren Rotwein trinkt? Meinst du die Heulsuse mit dem Stinkefinger? – Oder doch lieber Schnaps?

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statt Glückwünschen

Statt Glückwünschen sage ich euch heute, sage ich jedem Einzelnen von euch, sage ich Dir:

Du wirst scheitern.

Es wird Dir nicht gelingen, Deine in jahrelanger Lehre erworbenen Fertigkeiten zum Erhalt und zur Entfaltung unserer Freiheit einzusetzen, denn dieser Einsatz ist kräftezehrend und frustrierend. Stattdessen wirst Du Deinen Scharfsinn, Deine Gewandtheit, Deinen Eifer bereitwillig eintauschen gegen Augenmasken und Ohrenstöpsel, um in den leidenschaftslosen Halbschlaf des Unterhaltenwerdens und Beschäftigtseins herabzusinken, in dem sich Dein Umfeld außerhalb dieser Institution längst befindet.

Das ist nicht meine Schuld, wahrlich: Ich versuchte, was in meiner Macht stand, Dich zu einem wachen, mündigen, mutigen Menschen zu bilden – und ich vermeide an dieser Stelle ganz bewusst das Wort Bürger, weil das Wort Bürger unwillkürlich einen Bezug zum Staate herstellt, der unser Staat sein will, der bei Lichte betrachtet aber Teil, wenn nicht gar Urheber der Ideologie des selbstbezogenen Wohlfühlens ist, welcher auch Du erliegen wirst. Nein, ich knüppelte Dich nicht ins Normalmaß hinein.

Aber Du wirst das tun. Allmählich, schulterzuckend, ohne Not. Du wirst kein Wort darüber verlieren, zumal es dankbare Alternativthemen gibt: eine Regierung von Konzernmarionetten, eine Hochkultur auf Rummelplatzniveau und das Wetter, dass in diesem Jahr die tollsten Kapriolen schlägt.

Aber falls Du darüber reden musst, gut vorbereitet und hübsch zurecht gemacht auf einem Klassentreffen; aus heiterem Himmel am Frühstückstisch, dereinst mit Deinen pubertierenden Nachkommen; oder weil Du mir nichtsahnend auf der Straße begegnest, als klapprige Greisin, weil ich Dir aufgelauert habe, weil ich Dich geradezu gestellt habe, so dass Du mir erschrocken und mit roten Wangen gegenüberstehst und um Atem ringst, und mehr noch um Worte, während Du beim einleitenden Geschwätz, das ich Dir der Überraschung halber gewähren werde, verzweifelt nach einer Ausrede suchen wirst, die die lackbeschichtete Einkaufstasche in Deiner Rechten rechtfertigt und die Fernbedienung für die Zentralverriegelung Deines allradbetriebenen Straßenkreuzers in der Linken; wann immer Du also in die Verlegenheit kommen wirst, darüber sprechen zu müssen, wirst Du es schamlos herunterspielen, und wann immer Du gezwungen sein wirst, Dich zu erklären, weil da eine ist, die fragt und nicht locker lässt, wirst Du versuchen, Dich rauszureden.

Von der Nachfrage am Arbeitsmarkt wirst du sprechen, die jedem Kompromisse abverlangt, der erfolgreich sein will, obwohl Erfolg viel mehr bedeutet, als ein üppiges Salär, weil Erfolg in Zahlen oder Hierarchie-Ebenen nicht gemessen werden sollte, und wahrer Erfolg nur in der nachhaltigen Veränderung gesellschaftlicher Strukturen bestehen kann, wie Du betonen wirst, da Dir diese Parole aus Studientagen einfallen wird, während Du Dich freisprichst, und Dir auch einfallen wird, dass Du diese Parole einmal wie Deinen Namen im Munde geführt hast. Von den vielen Rechnungen, wirst Du sprechen, die schließlich bezahlt werden müssen, und für die Deine Eltern immer weniger bereitwillig das Portmonee geöffnet haben, je älter Du wurdest, was ihnen ja niemand verdenken kann, da es ihren ohnehin mickrigen Wohlstand zusätzlich schmälerte und ihr kleiner Wohlstand doch aber alles war, was sie hatten. Und auch von den bescheidenen und später dann weniger bescheidenen Wünschen wirst Du berichten, die ja ganz normal seien. Und obwohl Du Dir das heute nicht vorstellen kannst, wirst Du das Wort „normal“ ohne jegliches Problembewusstsein verwenden. Auch Du wolltest New York sehen und Südafrika. Auch Du wolltest ein Eigenheim und – Warum denn nicht? – einen Pool. Deine Wünsche waren nicht besonders; besonders war, dass Du in der glücklichen Lage warst, sie Dir erfüllen zu können. Teils als Belohnung für das Geleistete – ohne dabei zu spezifizieren, was das denn sein könnte – teils aber auch als Trostpflaster, mit Hilfe dessen Du Dich über die Unbarmherzigkeiten des Alltags hinwegzutrösten versuchtest: Überstunden, Steuererklärungen, die Alterung Deiner Haut.

Und hinter Deinem freundlichen Lächeln, das Du schauspielern wirst, und dessen einziger Zweck es sein wird, mich für Dich zu vereinnahmen, damit ich Dich nicht auf Deinen dicken Bauch anspreche oder auf den Kaschmir-Mantel mit dem Du ihn verhüllst, hinter diesem falschen Lächeln weggesperrt also, wird unter Asche ein schlechtes Gewissen flackern und ramponierte Traurigkeit.

Und beides wird sich aus Deiner Erinnerung speisen, aus Deiner Erinnerung an diesen augenblicklich verstreichenden Moment, der seiner Natur nach ein feierlicher sein sollte, und von dem Du erwartet hattest, dass ich ihn dafür nutzen würde, Dich zu den erzielten Leistungen zu beglückwünschen, Dir Mut zu machen, für das, was vor Dir liegt oder um Dich als neue Elite dieses Landes zu preisen.

Du wirst diesen Moment als einen Ankerpunkt in Deiner Biographie erinnern, an dem Du trotzig beschlossen hast, Du selbst zu bleiben, ausgefüllt von dem naiven aber liebenswerten Glauben, einerseits zu wissen, wer Du bist und andererseits überhaupt jemand zu sein, dessen Kern unveränderlich, klar umrissen und beschreibbar sei, und eben gerade nicht zu werden, wie die Anderen – wohlgemerkt, ohne Dir auch hier die Mühe zu machen, zu definieren, wer diese Anderen denn seien, und worin ihre unverzeihlichen Verfehlungen bestünden – sondern immerfort Deinen Idealen treu zu bleiben, also Deinem Versprechen, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen, einem Versprechen, dessen Blauäugigkeit und Albernheit sich Dir heute noch nicht erschließt, und sich Dir, so hoffe ich, viele Jahre lang noch nicht erschließen wird. Denn wenn es Dir nicht gelingt, Dich dauerhaft am Tropf der alltäglichen Zerstreuungen zu narkotisieren, wird Dich die Erkenntnis dieser Albernheit eines Tages treffen wie ein Schlag, dessen Härte und Schwung geeignet ist, was Du Dir aufbautest, einzureißen und Dich wach aber nackt auf ein neues, leeres Feld zu schleudern, so wie es mir selbst und anderen meines Kalibers geschehen ist.
Wenn mein Plan aufgeht, wirst Du diesen eben verstreichenden Moment, in dem Dich nur Deine Höflichkeit und die Konvention des Protokolls auf Deinem Stuhle hält, als einen Moment der Wut verinnerlichen, in dem Dir eine unsympathische, nicht nur desillusionierte, sondern in ihrer Arroganz regelrecht altersboshaft gewordene Lehrerin jegliche Standhaftigkeit abspricht und jeden Charakter; in dem sie Dir persönlich nicht nur die Fähigkeit, sondern gar den bloßen Willen zu Veränderung oder wenigstens zum Widerstand gegen das Bestehende abspenstig macht, in dem sie Deine ganze Generation zu einer Generation der gut ausgebildeten aber zu früh zu bequem gewordenen Mitläufer degradiert, die es sich gemütlich machen wird, im ererbten Wohlstand, und die diesen Wohlstand für nichts anderes verwenden wird, als sich abzuschotten, sich vollzustopfen, sich zu amüsieren und an die sich in einhundert Jahren niemand erinnern wird, weil diese Generation nichts vollbringen wird, das es wert sein wird, erinnert zu werden. Nichts, als sich verführen zu lassen, von den Versprechen der Technologie und des Besitzes, die unhaltbar sind und deren Preis zu hoch ist. Du bezahlst Technologie und Vernetzung mit der Fähigkeit zu präzisem Fragen und konzentriertem Denken. Du bezahlst Besitz mit der Fähigkeit, kompromisslos zu antworten und in der Konsequenz zu handeln. Du bezahlst Sicherheit mit Freiheit.

Ich hoffe inständig, dass diese Erinnerung wie ein Dorn in Deinem Fleisch sitzen wird, dessen Spitze trotzig schmerzt, wenn Du stehenbleibst und quälend sticht, wenn Du Dich setzt, damit Du fortkommst und wach bleibst und weitergehst, auf dass ich hernach aus Zeitungen, Ausstellungskatalogen, Theaterkalendern oder Wahlprogrammen erfahre, dass doch etwas aus Dir geworden ist, weil Dich der Trotz stur gemacht hat, weil Du vom Spott zäh geworden bist und weil Du ums Verrecken nicht werden wolltest, wie ich.

Dann werde ich mich rückhaltlos meiner Schmach hingeben, das verspreche ich. Denn dies ist die glücklichste Zukunft, die ich denken kann: Ich hätte doch viel erreicht.

Ich könnte heute in Ruhe und Dankbarkeit abtreten.

Kunstlederkoffer, weinrot, Reißverschluß defekt, Namensschild fehlt

darin:
1 Strickjacke, grün, stark abgetragen,
3 Blusen, weiß, rosa, grün, teilweise fleckig
5 Röcke, blau, grün, schwarz, grau, schwarz, verschmutzt
7 Paar Strumpfhosen, mehrfach gestopft
1 Strumpfhose, original verpackt
2 Paar Wollstrümpfe, getragen
1 Tagebuch, altrosa, samtbezogen, stark abgegriffen
2 Paar Ballettschuhe, weiß, purpurrot, unbenutzt
4 Paar Ballettschuhe, weiß, weiß, rosa, blau, löchrig
1 rechter Hausschuh, Kamelhaar, Sohle ausgetreten
1 rechter Straßenschuh, grünes Leder, Absatz fehlt
1 rechter Straßenschuh, ockerfarbenes Leder, mit Einlage, gut erhalten
1 goldfarbener Ehering mit Gravur „A M 12.1.44“ , stumpf
1 silberne Kette mit goldfarbenem Ehering mit Gravur „F M 12.1.44“, verbogen
1 goldfarbener Anhänger, grüner Stein, keine Abnutzungsspuren
53 Postkarten der Stadt Prag in Seidenpapier gehüllt, allesamt unbeschrieben
1 Reichskunstmedaille der Stadt Dresden, Verpackung fehlt, sehr gut erhalten
1 Medaille Held der Arbeit, Kunststoffetui, sehr gut erhalten
1 Ehrenmedaille der Stadt Leningrad, Holzkästchen mit Intarsien, sehr gut erhalten
1 Buch: Das Kapital, mit Textunterstreichungen, Randnotizen, Beschlagnahmevermerk, stark abgenutzt
1 Buch: Theorie des Ausdruckstanzes, Beschlagnahmevermerk, stark abgenutzt
12 Eintrittskarten, 32 Ballettkarten, 28 Opernkarten und 1 unbenutzte Kinokarte
1 hellbraunes Briefkuvert, DIN A5, darin:
1 Hochzeitsfotografie mit der Signatur 12.01.44
1 Kleinkindfoto, Rückseite Bleistiftvermerk „Ein lieber Gruß von der Landesheilanstalt Stadtroda“
1 ganzseitiger Zeitungsartikel, 1951, Uraufführung im Mariinskitheater, Leningrad, vergilbt
1 Aufführungsplakat, 1952 „Das Frühlingsopfer“ von Igor Strawinsky, Komische Oper, Ecken abgerissen
1 Stifte-Etui, braunes Kunstleder mit diversen Inhalt, abgenutzt
1 Damenbrille, Hornimitat, Bügel geklebt
1 Herrenbrille, goldfarben, gut erhalten
1 Brief an das Büro des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker, handgeschrieben, 1973, gut erhalten
1 Antwortschreiben, schreibmaschinegeschrieben, 1973, zerknittert
1 Brief an das Büro des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages, handgeschrieben, 1991, gut erhalten
1 Antwortschreiben, maschinegeschrieben, 1991, zerrissen, mehrfach geklebt
1 Brief an das Büro der Entschädigungsstelle für die Opfer der NS Regimes, handgeschrieben 1992, gut erhalten
1 Klarsichthülle mit einem Entlassungsformular der Haftanstalt Ravensbrück, 1942, Knitterstellen
1 Klarsichtfolie mit einem Entlassungsformular der Haftanstalt Hohenschönhausen, 1953, sehr schlecht erhalten, viele Klebestellen
1 vierseitiges Urteil über die Aufhebung eines Entmündigungsverfahrens von 1943,
Siegel der sowjetischen Militärverwaltung und Unterschrift 1945, Stempel des Bezirksgerichtes Dresden mit Unterschrift, 1946, handschriftlicher Rücknahmevermerk, Bezirksgericht Berlin, 1953, gut erhalten
1 Kommentierung des Grundgesetzes der BRD, zwischen den Buchseiten DM 900.- in druckfrischen Scheinen
DM 29,73 Münzgeld in einer Nivea-Dose
1 Pass, Deutsches Reich, Visaeinträge, Polen, Sowjetunion, Iran, Türkei, Frankreich, Algerien, Beschlagnahmevermerk 1942, Ecken abgeschnitten
1 Personalausweis der DDR mit dem Aufdruck „ungültig“, 1953, gut erhalten
7 Vorläufige Personalausweise der DDR für einen „Eingezogen Personalausweis“ mit verschiedenen Aufenthaltsbeschränkungen, Schlüsselabgabevermerk, allesamt abgegriffen
1 Personalausweis der BRD, 1992, ohne Visavermerk, unbenutzt
1 Schwerbehindertenausweis des Amtes für Familie und Soziales der Stadt Dresden, 1995, mit dem Vermerk „unbefristet“, sehr gut erhalten
1 Mitgliedsausweis der KPD, Beschlagnahmevermerk 1938, Seiten fehlen, schlecht erhalten
1 Mitgliedsausweis der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, mit Auflösungsanordnung, 1953, Stempel der Polizei Stadt Dresden, mehrfach geklebt
1 Schachtel Veronal, Inhalt vollständig, Verpackung sehr stark abgegriffen