Gepäck im Kopf

Sag mal, der Rucksack da: Wem gehört der?

Weiß ich nicht.

Und wie lange steht der schon dort?

Keine Ahnung! Wenn du nicht ohne Unterlass auf dein Telefon gestarrt hättest seit wir eingestiegen sind, wüsstest du es. Smombie!

Kannst du bitte aufhören, offizielle Jugendsprache zu benutzen? Du bist über 30.

Ich müsste keine offizielle Jugendsprache benutzen, wenn du dich nicht verhalten würdest wie ein sozial degenerierter Teenager.

Aber findest du das nicht komisch?

Was?

Dass der Rucksack hier steht? Herrenlos? In einer vollen U-Bahn, mitten in der Rush Hour?

Kannst du bitte aufhören, 80er-Jahre-Sprache zu benutzen? Ich meine: Obwohl du über 30 bist?

Kannst du mir bitte antworten?

Nein!

Nett von dir.

Nein, ich meine: Ich finde das nicht komisch. Da hat jemand seinen Rucksack abgestellt. Fertig.

Aber wer?

Vielleicht die Frau da, mit den blonden Streichholzhaaren? Diese biegsamen Brillenbügel, diese schmalen Lippen – die sieht sportlich aus, der würde ich so einen Rucksack zutrauen. Ist ja so ein Outdoor-Rucksack, oder?

Naja, so ein Pseudo-Outdoor-Rucksack. Damit man ihn kauft, wird er mit aufregenden Abenteuern in der Wildnis beworben und wenn man ihn gekauft hat, will man ihn wegen seines Preises, doch lieber weich in den Schrank legen. Guck mal die Schuhe der Frau an. Wie sauber die sind! Niemals würde die zulassen, dass ihr Rucksack den siffigen Boden eines U-Bahn-Waggons auch nur streift.

Aber sie hat keine andere Tasche dabei.

Trotzdem. Der Rucksack gehört bestimmt dem Typen da in der schwarzen Lederjacke.

Ausgeschlossen. Der ist dermaßen stylo, der würde unter keinen Umständen so einen piefigen Pseudo-Outdoor-Rucksack aufsetzen.

Findest du den heiß?

Was? Ich sage nur, dass sein Outfit kein Zufall ist. Dieser enge flaschengrüne Pulli ist an sich schon eine Style-Rakete. Aber dazu noch die farblich passenden Chelsea-Boots zu finden, würdest du jedenfalls nicht schaffen.

Was für Boots?

Siehste? Der ist jedenfalls so verliebt in sich, dass er sich niemals etwas antun würde.

Er muss sich ja nichts antun wollen. Kann ja sein, dass es ihm reicht, uns etwas anzutun. Vielleicht steigt er gleich aus, schreibt seinem Rucksack eine SMS und – Boom!

Was soll das denn bringen?

Ich tippe mal auf: Tod und Verwüstung?

Ja, aber die kommen doch nur ins Paradies, wenn sie selbst auch sterben. Sonst sind sie ja keine Märtyrer, oder? Heißt das auch Paradies bei denen? Machen die das überhaupt um ins Paradies zu kommen?

Die machen das aus Hass auf unseren gottlosen Lebensstil.

Ich glaube die machen das aus Neid und Rache. Für die sind wir die reichen, geizigen, egozentrischen, ignoranten Hedonisten. Wir denken, wir seien die Guten. Aber das denken die auch. Von sich.

Der Typ in der Lederjacke sieht aber selber egozentrisch und hedonistisch aus. Oder? Gockel.

Jedenfalls sieht er nicht danach aus, als würde er sich für Jungfrauen interessieren.

Aber wem gehört der Rucksack dann? Jeder weiß doch, dass man sein Gepäck nicht unbeaufsichtigt herumstehen lassen soll. Ist das nicht sogar verboten?

Ich wage zu bezweifeln, dass Terroristen ihre Rucksäcke brav auf dem Rücken behalten würden, wenn es verboten wäre sie abzustellen. Außerdem beaufsichtigen wir das Gepäck doch sehr aufmerksam.

In Köln haben schon Kofferbomben gestanden!

Aber das ist zehn Jahre her und die Dinger sind nicht explodiert. Außerdem war das am Hauptbahnhof. Wir sitzen hier in der U7 nach Spandau. Nur Steglitz könnte noch weiter von Terrorismus entfernt sein.

Dass die sich jetzt wo Paris so gut gesichert ist, andere Hauptstädte für ihre Anschläge suchen, ist dir wohl noch nicht in den Sinn gekommen? Madrid hatten sie schon, dort passt man jetzt auf. In London das Gleiche. Berlin mit seinen vielen Touris und dem ganzen Hype ist der perfekte Ort. Vielleicht ist der Terrorist ja schon ausgestiegen. Oder der Rucksack gehört dem Jungen mit dem Ziegenbärtchen da drüben.

Der interessiert sich bestimmt für Jungfrauen, aber nicht für Bomben. Das ist ein Zocker. Siehst du die glasigen Augen und die blasse Haut? Der ist nicht oft draußen. Und wehe, du kommst mir jetzt mit der Vermutung, dass er sich tagelang durch Ego-Shooter geballert hat, um hier in drei, zwei, eins Amok zu laufen. Der ist nett. Der ist kein Monster.

Würde ja reichen, wenn er ein gehirngewaschener Erfüllungsgehilfe wäre.

Du bist der gehirngewaschene Erfüllungsgehilfe!

Ich?

Vor 15 Jahren hättest du dich angesichts dieses Rucksacks gefragt, wo das nächste Fundbüro ist. Heute bist du kurz davor, das SEK zu alarmieren. Du bist der einzige, der in dieser U-Bahn angesichts eines allein reisenden Rucksacks Panik schiebt.

Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, alle fragen sich das.

Das Mädchen dort spielt Candy Crush. Die fragt sich gar nichts. Die hat sich schon sehr lange nichts mehr gefragt. Aber du könntest ja mal fragen. Steh auf, räuspere dich und frag einfach.

Ob Terroristen an Bord sind?

Wem der Rucksack gehört!

Ich mach mich doch nicht lächerlich.

Vielleicht rettest du unser aller Leben.

Du machst dich lustig über mich!

Vielleicht ein bisschen.

Hast du denn keine Angst?

Überhaupt nicht.

Wir sind zweimal in der Woche am Hauptbahnhof. Jeweils zur Hauptverkehrszeit. Und am Wochenende fahren wir mit S- und U-Bahn quer durch Berlin. Es ist ja fast fahrlässig, da keine Angst zu haben.

Genau. Sagt ja schon das Wort. Wer keine Angst hat, fährt lässig. ‘Tschuldigung.

Mal sehen, ob du noch so lachst, wenn sie dich erwischt haben.

Es ist Energieverschwendung Angst zu haben. Wir haben Angst, weil sie uns einen evolutionären Vorteil geboten hat. Diejenigen die Angst hatten, haben sich besser vor gefährlichen Situationen geschützt und sind dementsprechend seltener draufgegangen.

Na also. Deswegen muss man Menschenansammlungen meiden. Wie diese hier zum Beispiel.

Aber Terroranschläge sind Überraschungen. Auf Überraschungen ist man nicht vorbereitet, andernfalls wären es keine. Wenn ich mich also vor allen Situationen schützen wollte, die mir heute gefährlich werden können, müsste ich mein Leben aufgeben und als Selbstversorger in die brandenburgische Prärie ziehen. Und da muss ich mich dann vor Wölfen fürchten.

Es würde doch vielleicht reichen, in eine etwas kleinere Stadt zu ziehen.

Naja. Norden in Ostfriesland wäre mit seinen knapp 30.000 Einwohnern jedenfalls schon zu groß. Norden gehört laut CIA zu den Top-5 der potentiellen Anschlagsziele. Die haben ein wichtiges Unterseekabel dort.

Und Potsdam?

Ist das dein Ernst? Den perfektesten Ort für ihre Anschläge haben die Idioten schon gefunden. Und getroffen: Deinen Kopf. Komm, wir müssen raus.

17. Juni

 Tag: 18. Juni

Zeit: Neun Uhr

Ort1: halb geöffneter Türeingang eines Reihenhauses.

Ort 2: geschlossenes Wohnzimmer, darin: stark abgenutzte Sitzgarnitur der 30siger Jahre; schwarzer Tisch mit gehämmerter Messingplatte und passendem Raucherset und Siegel; schwarze Uhr mit gehämmertem Ziffernblatt; brauner Bücherschrank mit Kunstzeitschriften in verschiedenen Sprachen; hellblauer, rechteckiger Hifi-Glastisch mit Fernseher; achtarmiger Holzleuchter mit Messingbeschlag an dem eine Fliegenrolle hängt; eine passende Stehlampe aber mit modernem Lampenschirmbezug; verblasste halblange Gardinen und grau-gelbe Stores dazu grüne Auslegware; diverse Bilder, keine Fotos; auf Putz gelegte Stromleitungen; vergilbte Tapete mit Blütendekor, teilweise löchrig; Berliner Ofen mit weißer Sitzbank davor.

Gesprächs-Person 1: Frau Charlotte Martha Banner, eine 72jährige Frau, leicht ergraute und zu einem Dutt gebundene Haare, lebt seit der Verhaftung ihres Mannes (August 1945) und der späteren Flucht ihrer Tochter (27.6.1961) mit deren einzigen Sohn in dem stark reparaturbedürftigen Haus. Kleidung: cremefarbene Spitzenbluse/bunte Schürze/schwarze geputzte Schuhe/ leicht beschädigte Strumpfhose/kein sichtbarer Schmuck/ungeschminkt. Stimme: tief, wenn sie sich ärgert, fast männlich.

Sie wird anfangs die Arme in die Hüften stemmen. Später wird sie auf der Dielentreppe sitzen und die Hände vor die Augen pressen.

Gesprächs-Person 2: Herr Torsten Banner, ein 26 jähriger Mann, schlank, groß, lange, gelockte rote Haare, ungekämmter Mittelscheitel, Sommersprossen, Ausbildung im VEB Bauhandwerk, Abteilung Reko, tätig als Tischler, erfolglose Studienbewerbungen für Architektur in Berlin-Weißensee und Rostock, Malerei in Dresden, Formgestaltung in Halle. Kleidung: Feinrippunterhose/ kaputte Jesuslatschen/ ansonsten unbekleidet/ silberner Ohrring/ Halslederband mit silbernem Kreuz/ Holzring an linker Hand/ Stimme: kindlich, manchmal, wenn er sich aufregt, fast stimmbruchhaft.

Er wird anfangs die Arme über den Kopf kreuzen und breitbeinig auf seiner Lieblingsstelle auf dem Sofa sitzen. Später wird er unentwegt an Nase, Hals, Brust und die Knie kratzen.

Gesprächs-Person 3: Herr Rolf Lang (Name laut Ausweis), ein ca. 45jähriger Mann, klein, schlank, dennoch kräftig, nordischer Hauttyp, blond, akkurat gekämmte Haare, Seitenscheitel, Beruf unbekannt, Kleidung: helles gestreiftes Hemd/ offene cremefarbene Lederjacke/ beigefarbene Kordhose/ dunkelbraune glatte Lederschuhe/ dunkelbraune Handgelenktasche/ schmaler Ehering. Stimme: klar, manchmal, wenn er sich aufregt, dröhnend bis einschneidend.

Er wird anfangs die Arme über der Brust kreuzen. Später wird er aufstehen, im Zimmer umherlaufen, wahllos Bücher und Gegenstände in die Hand nehmen und wieder hinstellen.

Gesprächs-Person 4: Herr Ronny Kurz (Name laut Ausweis), ein ca. 22jähriger Mann, groß, schlaksig, südländische Hauttyp, schwarze, glatte, lange Haare, Beruf unbekannt, Kleidung: dunkelblaues T-Shirt/ halb geschlossene Jeansjacke/ sehr enge Schneejeans/weiße Mokassins/ Aktenmappe aus Kunstleder/ silberne Halskette mit Kreuz. Stimme: unbekannt, da er während des gesamten Besuches kein einziges Wort sprechen wird.

Er wird die gesamte Zeit wortlos auf das Papier starren und in krakeliger Handschrift das Protokoll schreiben.

 

Meine Herren, Sie wünschen…

Frau Banner, wir möchten uns mit ihren Enkel unterhalten!

Sie sind,… meine Herren?

Frau Banner, wir sind Freunde Ihres Enkels.

Freunde? Aha, soso!

Frau Banner, bitte zweifeln Sie nicht an unserer Freundschaft?

Wundert Sie das, meine Herren?

Frau Banner, warum misstrauen Sie uns?

Meine Herren, die Freunde meines Enkels haben nie geputzte Schuhe. Nur wenn ich sie putze, sehen so blitzblank aus, wie bei Ihnen. Und sind es geputzte Schuhe, dann sind es meist nicht seine Freunde. So einfach ist das! Reicht Ihnen das als Antwort, meine Herren?

Frau Banner, wir kommen sozusagen als gute Freunde!

Außerdem, meine Herren, sind seine Freunde nicht so akkurat gekleidet. Die haben weder gebügelten Hemden, noch gekämmte Haare. Und diese albernen Handgelenktaschen… die kenne ich auch von keinem seiner Freunde. Nur kaputte Rucksäcke, meine Herren! Nur kaputte Rucksäcke…

Frau Banner, können wir trotzdem mit ihren Enkel reden?

Meine Herren, das ist im Moment nicht möglich!

Warum?

Weil mein Enkel im Moment ein Standbad nimmt!

Ein Standbad, Frau Banner?

Mein Gott… er wäscht sich, meine Herren!

Ah, Standbad?

Meine Herren, falls es Ihnen entgangen sein sollte, wir haben heute Sonntag! Und da gehen ich und mein Enkel zum Gottesdienst. Ich dachte, das wäre Ihnen hinlänglich bekannt? Wenn die Herren sich einen Moment gedulden wollen, ich kann meinen Enkel fragen, ob er fertig angekleidet ist. Torsten, Torsten, kommst du mal? Hier stehen zwei Herren mit Armgelenktasche, die sagen, Sie seien Freunde von dir. Hast du neuerdings neue Freunde?

Schick die Schnurchelheinis weg! Meine Freunde wissen, dass ich sonntags zuerst in die Kirche und danach in die Jugend gehe! Nur rote Socken und Ladendiebe belästigen brave Leute zum Sonntagvormittag! – Warte, Oma, ich schau selber nach den Schnurchelnasen! – Wer seid ihr? Ihr könnt´ gleich wieder abdampfen!

Herr Banner, wir wären an einem freundschaftlichen Gespräch interessiert.

Um diese Zeit? Nur Schnurchelnasen und Ladendie…

… und Ladendiebe, Herr Banner, wir wissen, das haben Sie eben gesagt. Hier unsere Ausweise! Wir wollen Ihnen ein paar Fragen stellen. Je eher Sie mit uns kooperieren, umso schneller können Sie in ihre Kirche gehen. Falls Sie nicht mit uns kooperieren, müssten wir Sie bitten mitzukommen!

Na, das ist ja ein Ding! Kommen Sie… Kommen Sie rein! – Muss ich Sie überhaupt reinlassen?

Her Banner, Sie sollten! Wir danken Ihnen für Ihre Mithilfe!

Wollen Sie sich setzen? Was habe ich denn nun wieder Schlimmes gemacht? Habe ich etwa während des Schlafes eine Bank mit wertvollem DDR-Geld ausgeraubt? Ich kann Ihnen versichern, dass ich garantiert Besseres zu tun hatte…

Wir denken, dass Sie sehr genau wissen warum wir hier sind! Wir interessieren uns für Aussagen, die Sie uns zu dem Vorfall geben werden!

Hallo? Ich versteh´ nur Bahnhof! Welche Antworten? Welcher Vorfall?

Wir glauben einen konterrevolutionären Spruch von Ihnen gelesen zu haben!

Was? Von mir? Ne Konterrevolution! Na Super. Da wüsst´ ich aber ´was von! Wann soll denn die stattfinden? Ach, da wär´ ich doch gern dabei!

Herr Banner, bleiben Sie sachlich! Dafür ist ihre Situation zu ernst! Wir wissen sehr genau, wer im Einzelnen alles hinter der staatsfeindlichen Aktion steckt. Wir denken aber, dass Sie uns das sicherlich jetzt freiwillig erzählen werden. Nur so können Sie ihre missliche Lage verbessern! Herr Banner, wir geben Ihnen jetzt die Chance das wiedergutzumachen! Nutzen Sie diese! Wir bieten sie Ihnen nur ein einziges Mal!

Was wollen Sie mir wieder anhängen? Ich weiß von keinem Text! Ihre Konterevolution, die findet doch nur in Ihren Köpfen statt. Alles nur Erfindung, alles nur Schikane!

Wir sind zu einer anderen Meinung gekommen! Wir sind uns sicher, dass Sie mit der kriminellen Aktion, etwas zu tun haben. Geben Sie den Widerstand auf. Nur wir helfen Ihnen mit heiler Haut davonzukommen. Sicherlich sind Sie da einfach nur reingerutscht. Und in so einem besonderen Fall würden wir Ihnen gern aushelfen. Wir sind wie gesagt keine Unmenschen.

Mit welcher Sache? Womit? Ich bin… ich bin nirgendwo… ich weiß gar nicht… nichts! Lassen Sie mich in Ruhe!

Sie verstehen uns sehr gut! Sagen Sie uns etwas über den Text und die Anstifter… Leugnen bringt doch nichts, Herr Banner. Sie wissen sehr wohl, was wir meinen! Außerdem wollen Sie doch heute noch in Ihre Kirche. Da sollten Sie keine Zeit verlieren. Wir hören Ihnen aufmerksam zu! Beginnen Sie, Herr Banner! Beginnen Sie!

Verdammt nochmal, welcher Text? Ich, ich…ich besitze nicht einmal eine Schreibmaschine! Da müssen Sie sich irren. Ich habe überhaupt nichts gemacht, das müssen Sie mir glauben. Das können Sie alles nachprüfen, alles. Ich habe nichts gemacht!

Glauben ist wohl eher Ihre Sache, Herr Banner! Uns interessiert vielmehr: Besitzen Sie Wandfarben? Haben Sie Pinsel?

Was soll die Frage? – Ja !

Sie geben also zu, schon einmal Wandfarben und Pinsel gekauft zu haben?

Ja, natürlich… andere auch. –Sie wohl nicht?

Wir interessieren uns für Ihre Farben und Ihre Pinsel. Wo haben Sie die Farben gekauft? Wann? Allein oder mit anderen? Wieviel?

Das weiß ich doch nicht mehr. Manchmal brauche ich Farben für´s Haus.

Sehen sie, Somit sind Sie zu Recht unser Hauptverdächtiger. Und die Farben und Pinsel mit denen Sie die Schmiererei gemacht haben, die werden wir auch noch finden. Oder wollen Sie behaupten, dass Sie keine Farben und Pinsel hier im Haus deponiert haben?

Ja, aber… das, das ist doch gar nicht mein Haus!

Aber Sie wohnen hier! Oder irren wir uns? Sie sind doch Herr Torsten Banner! Weisen Sie sich aus!

Was? Sie wollen zum Sonntagmorgen… jetzt meinen Ausweis hier im Wohnzimmer sehen? Schikane, Ich habe aber doch gar nichts gemacht! Überhaupt nichts! Wirklich nichts! Lassen Sie mich endlich in Ruhe. Bitte! Bitte!

Haben wir uns undeutlich ausgedrückt oder wollen Sie sich einer staatlichen Ausweiskontrolle widersetzen? Dann müssen wir Sie sofort mitnehmen.

Nein, natürlich nicht, aber ich bin doch in der Unterhose…

Aber was, Herr Torsten Banner? Was? Wir möchten sofort Ihren Ausweis sehen, Herr Banner! Jetzt holen Sie ihn! Sofort! Den haben Sie stets bei sich zu tragen!

Den muss ich holen. – Bitte, bitte, hier ist der Lappen!

Geht doch Herr Banner! Geht doch! Warum dieser zwecklose Widerstand, der führt doch zu nichts! Wir behalten ihren Ausweis. Reine Vorsichtsmaßnahme! Wir sind bemüht, Ihnen den Ausweis nach unserem Gespräch zurückzugeben. Das liegt ganz allein bei Ihnen! Sie helfen uns bei unseren Fragen und wir geben Ihnen danach den Ausweis zurück. Sie wissen, ohne den Ausweis dürfen Sie nicht weggehen. Also, lassen Sie uns jetzt rasch unsere Fragen abarbeiten. Und denken Sie daran, Sie wollen heute noch in Ihre Kirche gehen, wir nicht! Also, halten wir fest: wir wissen, Sie haben jede Menge Farben und Pinsel in dem Haus, in dem Sie amtlich gemeldet sind. Wir halten weiterhin fest: die Schmiererei wurde in Ihrer Straße unweit Ihres Hauses an einer Mauer gemalt. Und wir halten fest: die Schrift an der Wand ähnelt doch sehr Ihrer Schrift. Wir haben Fotos. Die Beweise zusammenzuführen ist für uns eine Kleinigkeit. Was haben Sie uns dazu zu sagen, Herr Torsten Banner?

Spinn´ ich! Was ist denn das für´n Scheiß´?

Antworten Sie einfach nur auf unsere Fragen. So schwer sind die doch gar nicht! Wir meinen die Schmierereien am Spezialhandel der sowjetischen Streitkräfte. Das ist kein Zufall, Herr Banner! Herr Banner, Sie haben sich das sehr genau überlegt!

Sie meinen den Spruch an der vergammelten, halb eingefallenen Wand?

Sehen Sie, Herr Banner, wir wussten, dass Sie ganz genau wissen, warum wir hier sind. Sie leugnen also nicht mehr. Prima, sehr gut, dass Sie sich für uns entschieden haben! Vertrauen sie uns weiterhin! Nur wir wissen wie Sie aus dem Schlamassel rauskommen!

Welchem Schlamassel? Den Spruch, den blöden Spruch, den, den hat doch jeder gesehen! Der ist doch harmlos, völlig harmlos, den, den, den, den kennt doch jeder!

Na, dann fragen wir mal anders: Was haben Sie denn gelesen? Was hat dort gestanden?

Das, was alle Anderen an dem Morgen auch gelesen haben!

Und was haben die anderen Leute gelesen?

„Nieder mit dem antiimperialistischen Schutzwall! – Brücken bauen statt Mauern“

Aha? Das haben Sie gelesen, Herr Banner? Und warum haben sie das geschrieben? Wollten Sie uns damit provozieren? Wer hat Ihnen geholfen? Wurden Sie vom Westen gesteuert? Was haben die Ihnen gezahlt? Wir wissen, dass ihre Mutter im Westen lebt.

Ich habe überhaupt nichts geschrieben… überhaupt nichts! Wirklich, ich… ich war das nicht! Das können Sie mir nicht so einfach an die Backe nageln!

Herr Banner, so einfach nageln wir Niemanden etwas an die Backe. Sie selbst haben uns doch eben gestanden, dass Sie das gelesen haben!

Ja, wie alle anderen auch!

Was die Anderen gelesen haben, können Sie doch gar nicht wissen. Wann haben Sie denn das gelesen?

Als ich auf Arbeit gehen wollte.

Uns interessiert: an welchen Tag und zu welcher Uhrzeit? So genau wie möglich, Herr Banner!

Am 17. Juni , so gegen halb fünf?

Halb fünf? Oder etwas früher? Oder doch etwas später?

Nein, nein halb fünf!

Halb fünf, das wollen wir mal so aufschreiben. Was uns weiterhin interessiert Torsten: Hast du jemanden gesehen?

Ich habe niemanden gesehen!

Ich denke, das haben alle anderen gelesen? Du willst jemanden decken? Wer waren die Anderen?

Weiß nicht, eine Frau und…

Wie sah die Frau aus? Wir interessieren uns sehr dafür. Beschreib´ sie so genau wie möglich!

Weiß nicht!

Erinnere dich! Du willst doch heute noch in deine Kirche!

… jung… blond… Locken… gelbe Strickjacke… weißer Rock, kurz, sehr kurz… mehr, mehr weiß ich nicht!

Gut, dein Geständnis wollen wir mal so notieren! Und der Mann, wie sah der aus?

Älterer Herr… schlank, kariertes Hemd… Aktentasche, ja eine Aktentasche!

Was für eine Aktentasche, Wie alt war der Mann? Wo wohnt er? Passen Farben zum Beschmieren der Wände in die Tasche?

Lederaktentasche… braun… eine dunkle…. ja, eine dunkle Hose. Ich habe da nicht darauf geachtet. Ich glaube, er wohnt in der Wilhelm–Pieck-Alle, in der eins. Manchmal sehe ich ihn auch mit seiner Frau im Konsum.

Gut, das Geständnis wollen wir mal so notieren. Was uns besonders interessiert: Waren noch andere Bürger zu dieser Zeit auf der Straße? Haben weitere Bürger diese Schmierereien gelesen? Das waren doch Schmierereien? Nicht wahr, Herr Banner? Torsten? Torsten?

Weiß ich nicht. Ja, ja natürlich waren das… ich weiß nicht, ich glaube, ich denke, das ist, das war doch nur ein harmloser Spruch von, von Wolf, Wolf Bier…mann…

Herr Banner, Sie und wir wollen diesen Asozialen Elementen, die nur die Zerstörung unserer sozialistischen Heimat wollen, keine handbreit Land geben. Der Meinung sind Sie doch auch! Oder?

Ich, ich… ich, wissen Sie, ich… ich…

Oder? Herr Banner!

Ja!

Na also! Dein spätes aber vernünftiges Geständnis wollen wir so notieren. Was uns aber noch dringend interessiert ist: Hat außer dir, der Frau und dem Mann noch jemand die antisozialistische Schmiererei am Spezialhandel der sowjetischen Streitkräfte gelesen? Torsten, du weißt, du bist zur Mithilfe bei der Aufklärung eines staatsfeindlichen Verbrechens verpflichtet. Sonst machst du dich strafbar. Und dann können wir dir nicht mehr helfen. Da endet unsere Freundschaft!

Ich… ich weiß. Ich habe niemanden außer die beiden gesehen. Wirklich. Ich habe Sie Ihnen doch so genau wie möglich beschrieben. Und wo der Mann wohnt, das habe ich Ihnen doch auch gesagt.

Gut. Sie haben also keine weiteren Bürger gesehen, Herr Banner? Sehr gut. Hier haben Sie Ihren Ausweis wieder. Und wenn Sie sich beeilen, schaffen Sie es noch in Ihre Kirche.

Danke, ich bringe, ich… ich bringe Sie, wenn Sie wollen… bringe ich Sie noch zur Tür!

Lieb von dir, Torsten. – Ach, zum Schluss unseres freundschaftlichen Besuches haben wir noch eine kleine Frage. Sagen Sie mal, wenn Sie die Schmiererei gelesen haben – und das haben Sie ja eben gestanden – warum haben Sie diese staatsfeindliche Hetze nicht umgehend angezeigt? Herr Banner, das ist Mithilfe zu konterrevolutionären Aktionen. Sie wissen, darauf steht mehrjährige Haftstrafe!

Ich hatte das nicht so als… verstanden… eher… verstanden… so wie Völker… verständigung unter Bruder… ländern. Ich weiß doch auch nicht… na so wie… wir das in der Schule gelernt haben, dass wir alle Gesellschaftsschranken… ab… also niederreißen. Tut mir leid. Das tut mir alles wirklich…

Da wir aber als deine neuen Freunde gekommen sind, bieten wir dir, lieber Torsten, eine Chance. Deswegen werden wir in den nächsten Tagen nochmal auf dich zukommen. Und was den kleinen Freundschaftsbesuch heute anbelangt: Das hat niemanden zu interessieren!

Frau Banner, bleiben Sie auf der Treppe sitzen, wir wollen Sie auf den Weg in ihre Kirche nicht länger aufhalten. Wir finden allein heraus. Vielen Dank.