Der Achtinfame – Der Mutmacher

Der Achtinfame

Infam können die Menschen sein, doch sind sie es stets einmalig, nicht aber achtmalig. So entschied sich der Achtinfame achtfaltig, und nicht einfältig dazu, die Zahl ACHT zu seiner liebsten Zahl zu machen. Um ein Marmeladenbrot zu bestreichen, benötigte er stets acht Striche. Reiste er weit, so packte er seinen Koffer achtmal um. Auch unterschrieb er stets achtmal, das sah dann so aus als hätte er nur einen besonders dicken Stift gewählt, um Dokumente zu beglaubigen. Denn glauben konnte er sich stets, soweit er alles achtmal tat.
Auch bemühte er sich seit jeher acht Freundinnen zu seinem Freundeskreis zu zählen, und wenn eine ging, so kam eine andere dazu, denn es mussten schon acht sein. Vor einer Woche hatte er acht vollzählig, da kam eine andere Freundin hinzu. Doch der Achtinfame wusste was zu tun war. Immer. Und so weiß er es auch jetzt und tötet sie achtmal.

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Der Mutmacher

Der Mutmacher hat sein Gewerbe noch nicht eintragen können. Heutzutage sind die Behörden sehr streng.
Am Mut seiner Mitbürger feilt, schraubt und sägt er. Ist der Mut einmal fertiggestellt, so liegt es an ihm, ihn an den Mann oder an die Frau zu tragen. Denn Mut trägt nicht jeder. Mut steht nicht jedem.
Doch es ist mühsam Menschen zu finden, die bereit sind Geld für Mut auszugeben. Dabei fehlt es doch gerade an ihm, um den Mut zu erwerben. Die Menschen sind so dumm.
So stellt er sich an die dunklen Ecken, die hellen Gassen, die verstaubten Straßen und die vollen Märkte… all das für ein bisschen Einkommen mit dem ältesten Gewerbe der Welt.
Mut verkaufen.

Von wegen Arbeit

Ich sitze in meinem Arbeitszimmer an meinem Arbeitsplatz und will arbeiten. Du sitzt mir mit baumelnden Beinen auf der Schulter und grinst. Du hast recht: Ich arbeite nicht und ich werde heute nicht arbeiten, denn ich bin müde, ich bin fahrig und ich will es zu sehr.

Als ich mich letzten Sonntag nach dem Mittagessen zum Arbeiten zurückziehen wollte, sagtest du – die Spülbürste in der einen und den schmutzigen Teller in der anderen Hand: „Das ist Arbeit. Abwaschen ist Arbeit. Kartoffeln schälen. Einkäufe übers Band ziehen. Aber wenn du Arbeiten sagst, meinst du Schreiben. Schreiben ist doch keine Arbeit.“

Wie heute saß ich daraufhin eine Stunde an meinem Arbeitsplatz in meinem Arbeitszimmer und schrieb nicht. Ich war beleidigt, ich war wütend und ich fand, dass du unrecht hattest: In einem einzigen Jahr schreibe ich einundsechzig Artikel und vierzehn Kurzgeschichten. Für einige davon, brauche ich mehrere Wochen, auch wenn du ihnen das nicht anmerkst. Ich lektoriere einen fremden Roman und fange einen eigenen an. Ich versichere dir, dass das sehr wohl Arbeit ist. Nur jemand, dessen Schreiben sich im Verfassen von Eingaben und im Anlegen von Einkaufslisten erschöpft, kann finden, Schreiben sei keine Arbeit.

Dies sagte ich dir, als ich mein Arbeitszimmer aufschloss, mitten in dein freundliches Gesicht. Aber statt dich zu empören, hast du dich auf den Esstisch gesetzt, die Pantoffeln einige Zentimeter über dem Parkett baumeln lassen und erklärt: „Wenn man arbeitet, arbeitet man für ein Resultat: saubere Teller, Kartoffelklöße, Geld für die Miete. Aber wenn du schreibst? Du schreibst doch nicht, damit du fertig wirst. Das würde auch gar keinen Sinn machen, denn überhaupt mit dem Schreiben anzufangen ist ja dein freier Wille. “
Nachdem ich dich an meinem Fingern abzählend darüber belehrt hatte, dass es 1.) „Sinn ergeben“ und nicht „Sinn machen“ heißt und dass Sinn 2.) eine Erfindung der Menschheit ist und der freie Wille – das war 3.) – nach dem Stand der Forschung auch, ging ich eine Stunde mit der Hündin spazieren oder sie mit mir, denn ich war es, der ihr hinterher trottete. Ich ärgerte mich, ich fror und mir gefiel nicht, dass du Recht hattest: Wenn ein Text am Sonntag fertig ist, dauert die Freude darüber bis ungefähr Mittwoch. Sie verblasst wie das Erholtsein nach einem Urlaub. Sie geht auf oder über in: Aufstehen, Hunderunde, Erwerbsarbeit, Hunderunde, Abendessen, Fernsehen, Hunderunde, Schlafen. Dagegen hilft: Schreiben. „Ich schreibe fürs Schreiben!“, zeterte ich, „Denn der Weg ist das Ziel!“ Meine Hündin blieb ratlos stehen und drehte sich langsam nach mir um. Das Stöckchen flog weiter als sonst.

„Du verstehst nicht, was ich tue.“, sagte ich beim Schuhe ausziehen statt Hallo.
„Aber du verstehst es? Hast du Kuchen mitgebracht?“
„Und ob. Gilt für beide Fragen.“

„Darf ich?“ wolltest du wissen, als wir saßen. Ich dachte, du meintest den Kuchen und nickte irritiert, aber nein, du meintest das Wort; auch gut, bitte. Ich ertrug, wie du das Schreiben als mein Hobby bezeichnetest und es mit anderen Hobbies, zum Beispiel dem Modelleisenbahnbau verglichst, für den man eben Muse und Konzentration brauche. Ich schwieg, als du Worte wie „Fantasiereisen“, „Rollenwechsel“ und „Erlebnisbewältigung“ aussprachst, aber ich stöhnte, als du mir die banale Suche nach Applaus unterstelltest, was mitnichten damit zu tun hatte, dass ich mich ertappt fühlte, sondern lediglich damit, dass ich hart auf einen Kirschkern biss.

Freilich, das zu hören gefiele mir nicht, fuhrst du fort, aber wenn ich diese Wahrheit endlich annehmen könnte, wäre ich bestimmt entspannter und müsste mich nicht länger mit täglichen Schreibzeitfenstern quälen, sondern schriebe nur noch dann, wenn mir danach wäre. Das würde meinen Texten sicher nicht schaden; nichts gegen meine Texte, die würden dir gefallen, aber vielleicht gelte in Fachkreisen auch hier Qualität vor Quantität.

Allerdings, aber das wisse ich hoffentlich, würden mich bessere Texte auch nicht zu einem besseren Menschen machen; ich sei ein guter Mensch, auch ein wertvoller, dass müsse ich niemandem beweisen. Du beispielsweise liebtest mich ja nicht wegen meiner Texte, vielmehr – ich dürfe dir das nicht übel nehmen – würde dir die ewige Schreiberei zuweilen einiges an Toleranz abverlangen.

Ich spuckte den Kirschkern auf den Teller damit es klirrte und danach endlich Ruhe war. Erschrocken sahst du mich an. Ich hielt deinen Blick; wer zuerst zwinkert hat verloren; du zwinkertest, ich gewann, ich gewinne immer.

Heute gewinnst du: Ich streiche dich von meiner Schulter, klappe den Rechner zu, schließe mein Arbeitszimmer ab und lasse mir ein Bad ein.

„Und was ist mit den Geschichten?“, fragte ich dich am letzten Sonntag, nachdem auch ich die Augen nicht mehr offen und die Lippen nicht mehr geschlossen halten konnte.
„Welche Geschichten?“, wolltest du wissen.
„Na, die von dem Vögelchen, das in meiner Jackentasche lebt, zum Beispiel.“
„In deiner Jackentasche? Ein Vogel? Erzähl!“