Die Lichtberufene

Die Lichtberufene hat es sich zur Aufgabe gemacht Helligkeit in ihre Mitmenschen zu bringen. Dabei ist sie sich durchaus bewusst, dass  die Aufgabe sie eines Tages überfordern könnte und sie diese mit ihrem Leben bezahlen würde. Dennoch ist sie weiterhin zum schweren Amt der Lichtbeschaffung bereit. Notfalls wird sie in einem glorreichen Akt der Selbstauflösung, ihren Körper in strahlend weißes Licht umwandeln, um auch dem letzten Zweifler mit ihrem überreinen Leibeslicht zu säubern.

Wacht die Lichtberufene am Morgen auf, beträufelt sie ihren Körper mit Nymphenquellwasser und tupft die blasse Haut mit einem tibetischen Bergseeschwamm ab. Sie legt sich auf ihre handgeknüpfte Matte und nimmt die kühle Morgenluft mit einer speziellen Technik der geliebten Amazonas-Ureinwohner in sich ein. Ist sie damit fertig, absolviert sie diverse Yogaübungen, die sie einst im indischen Goa eifrig studierte. Schließlich beendet sie ihr Morgenritual mit Meditationen eines mehrhundertjährigen Meisters aus der inneren Mongolei. Von den vielen Übungen energetisch aufgepummpt, hüpft sie wild durch ihre selbst gefertigte Gartenlaube, die an einer alten, sagenumwobenen Ruine steht. In einem geweihten Hemd schlendert sie in die kleine Küche und trinkt dünnen Dinkelbrei, schlürft ein Schälchen grünen Tee und ein großes Glas saure Stutenmilch. Zum Schluss dreht sie sich um die eigene Achse und nimmt einen winzigen Schluck konzentriertes Edelsteinwasser vorsichtig zu sich. Anschließend holt sie ihre beiden Lederkoffer und befüllt sie mit unzählingen Tinkturen, Salben, Pasten und Globuli. Bevor sie jedoch ihren Laube im Wildgarten verlässt, setzt sie sich auf den alten Altarblock, den sie einst aus der Ruine herübergewuchtet hat, spreizt die Beine und stützt ihre Arme gegeneinander auf die Schenkel. Dabei schließt sie fest die Augen und kreist mit dem Kopf langsam im Urzeigersinn. Die Nasenspitze schiebt sie im Sekundentakt in jede Richtung ihres Körpers und prüft gewissenhaft ob ihre Organe,  Muskeln und unzähligen Gefäße gesund sind und das Blut gleichmäßig zirkuliert. Erst danach fühlt sie sich mit neuen, lichtreichen und übernatürlichen Kräften aufgeladen, die sie im Tagesverlauf gern an alle Bedürftigen dieser Welt abgeben möchte.

Schon auf dem weiten Weg zur Arbeit, legt die Lichtberufene in der Straßenbahn weinenden Wickelkindern ihre Hand auf die Stirn, streut funkelndes Edelsteinpuder in ihre verschlafenen Gesichter oder streicht schimpfenden Eltern Elfenpaste auf ausgefranzte Lippen. Ist sie damit  fertig, überreicht sie beim Aussteigen der staunenden Straßenbahnfahrerin wie immer kostenfrei ihre Liblingstinktur.

Kommt die Lichtberufene nach den ersten Guttaten im Krankenhaus an, befragt sie allmorgendlich den ungläubigen Pförtner nach seinen vielen Alterswehwehchen. Abwehrend wiederholt er stets seine Meinung, dass die Lichtberufene von allen Teufeln besessen sei und endlich im Patientenpark öffentlich und mit anschließendem Umzug verbrannt werden müsse. Erfolglos fällt sie ihm ins Wort und bietet ihm wieder und wieder ihren reichhaltigen Kofferinhalt an. Und stets verlangt er zur Strafe Dienstkarte und Personalausweis, vergleicht beides umständlich, tätigt diesen und jenen Rückruf, bevor er sie schimpfend ins Krankenhausgelände passieren lässt.

Die Lichtberufene kommt schon lange nicht mehr mit gebeugtem Rücken auf Station. Seit sie nach einer nicht näher bekannten Fernreise über Monate krank in ihrem Bett Fieberträumend zugebracht hatte, geht sie nur noch lächelnd und rückengerade durch die endlos wirkenden Krankenhausflure. Sie grüßt freundlich jeden den sie sieht, bleibt kurz vor ihm stehen und gibt dem Gegrüßten die Möglichkeit mit ihr ins Gespräch zu kommen. Verpasst der Begrüßte seine morgendliche Chance, verbeugt sie sich demütig und mit einem leicht angedeuteten Lächeln, nickt kurz mt dem Kopf und begrüßt ohne jedwedes Ärgernis den Nächsten. Auch bei ihm bleibt sie für einen Moment stehen. Mit den Jahren hat sich die Lichtberufene ein recht gutes Gefühl antrainiert, welcher der Mitarbeiter lichtarm ist und ihre Beleuchtung dringend benötigt. Bedankt sich der Lichtsuchende, legt sie ihre Hände fast berührungsfrei um seine, atmet tief in sich hinein und gibt mit einem einzigen Atemzug einen Teil ihrer angespeicherten Nachtwärme  stoßartig ab. Danach löst sie ihre Hände von seinen und geht freudig  in die Apotheke. Unbemerkt schiebt sie ihre prall gefüllten Koffer unter ihre Arbeitsfläche, schnappt sich die Bestelllisten der Stationen und sortiert mit missmutigen Bemerkungen die Medikamente in die jeweiligen Stationskisten. Ist sie damit fertig, schaut sie sich vorsichtig im Apothekenraum um und vertauscht diese und jene Flasche gegen eine aus ihren beiden Kofferinhalten. Mit Freude verändert sie danach die Etiketten oder die Dosierungsanweisung. Fühlt sie sich bei ihren Änderungen beobachtet, geht sie auf die Herrentoilette und bereichert die Medikamentenbestellungen  mit ihren jeweiligen Zutaten. Dabei wird die Lichtberufene nicht selten von der Reinigungsfrau gestört, die junge Ärzte bei ihren Selbsterzählungen belauscht. In solchen Momenten, setzt sich die Lichtberufene auf den Toilettendeckel, nimmt ihre beiden Koffer auf den Schoß, umgreift sie panisch, zieht die Beine an und wartet bis die schwatzhaften Ärzte und die neugierige Reinigungsfrau wieder verschwunden sind. Kommt sie in die Apotheke zurück und gehen die Kollegen in die Frühstückspause, befüllt die Lichtberufene deren Medikamentenbestellungen mit ihren speziell zubereiteten Edelsteinsalben, Blutgruppenpasten und Krötentinkturen, die sie voller Hingabe nachts zuvor für alle Patienten gefertigt hat. Sie schnappt die schweren Medikamentenkisten, wuchtet sie auf den Wagen und fährt sie höchstpersönlich auf jede Station. Dabei versucht sie mit den Patienten ins Gespräch zu kommen. Geschickt fragt sie, ob sie dieses oder jenes Medikament vertragen und ob die Beschwerden zurückgegangen seien. Auch Ärzten empfiehlt sie beiläufig ihre wundersamen Heilerfolge. Bevor sie jedoch die Stationen wieder verlässt, schleicht sie von Zimmer zu Zimmer und schiebt frisch operierten Patienten Kräuter in die Wunden, träufelt Tinkturen in ihre offen stehenden Münder, gibt diverse Edelsteinwässer in die Infussionsflaschen oder reibt Blütensud auf deren Haut. Wenn nötig führt sie auch Beschwörungsrituale ihrer lateinamerikanischen Kollegen an den Sterbenden aus. Und die Lichtberufene ist sich sicher, dass nur ihre heilsamen Worte dem geheilten Patienten neues Leben eingehaucht haben.

Ist die Lichtberufene mit ihrer umfangreichen Medikamentenlieferung auf den Stationen fertig, geht sie unter argwöhnischen Blicken des Pförtners in den Patientenpark und spricht Heilsuchende für ihre nächtlichen Sitzungen an. Hat sie eine ergiebige Anzahl von Lichtarmen erreicht, stellt sie sich zufrieden in die Parkmitte, breitet die Arme aus, hebt den Kopf in den Himmel und prüft mit einem selbst gebauten Energieanzeiger ihre verbliebene Restenergie. Ist sie der Meinung,  dass sie zu wenig Licht für den Tag in sich trägt, wiederholt sie ihre morgendlichen Rituale und befüllt sich mit neuer Energie. Von diesen neuen Kräften beseelt, geht sie geradewegs in die Leichenhalle des Krankenhauses. Auch dort versucht sie bei den frisch Verstorbenen therapeutisch tätig zu werden. Dabei streitet sie allzu oft  mit dem Seelsorger um die Toten. Und nicht selten ziehen beide so heftig an den steifen Leibern, dass diese mit einem Knall zu Boden fallen und Lichtberufene beleidigt die Leichenhalle verlässt und die Tür hinter sich zuwirft.

An solchen Tagen rennt die Lichtberufene wütend in den Kopierraum des Krankenhauses  und vervielfältigt besonders viele Exemplare ihrer  Zeitschrift. Hundertfach legt sie diese um die Krankenhauskapelle oder um das Büro des Seelsorgers aus.

Kommt die Lichtberufene nach Hause, bewirft sie sich mit Erde um die ganze Kraft der Natur zu spüren. Danach schüttelt sie die Erdklumpen ab, spült ihren Körper in klarem Bergkristallwasser und badet anschließend stundenlang in einem warmen Karfunkelbad. Dabei blättert sie, genüsslich die Beine über den Badewannenrand hängend, in Reisebüchern von entfernten Kulturen. Anschließend gießt die Lichtberufene das kostbare Badewasser in die vielen Vogeltränken, die sie sorgsam um ihre Gartenlaube als Schutzmauern gegen unliebsame Geister aufgestellt hat. Somit gibt sie auch den Vögeln die Möglichkeit etwas von ihrem Lichtwesen abzubekommen.

Legt sich die Lichtberufene am Abend erschöpft ins Bett, betet sie für alle Lichtlosen dieser Welt. Mit der Gewissheit ihren Apothekerberuf für etwas Sinnvolles zu verwenden, atmet sie noch einmal tief in ihre großen Lungen ein. Sie küsst innig ihren Glücksstein und schiebt ihn behutsam zu den anderen unter das breite Kopfkissen. Kraftvoll kaut sie danach an ihrer speziellen Schlafkrautmischung. Ist die Lichtberufene eingeschlafen, träumt sie unruhig und wirft ihren schlanken Körper im Bett umher. Lebhaft träumt sie, dass sie alle  Verstorbenen vom verärgerten Seelsorger aus der Leichenhalle mit einem Lächeln überreicht bekommt, oder den schimpfenden Pförtner endlich von ihren vielen Tinkturen überzeugen kann. Träumt sie hingegen von den beiden Autoritätspersonen gleichzeitig, atmet sie besonders heftig ein und aus. In solchen Momenten füllt die Lichtberufene luftschreibend einen mehrseitigen Gewerbeantrag aus, um ihre Lichtapotheke im Krankenhauspark eröffnen zu dürfen.

Der Lobesfischer

Der Lobesfischer lässt sich von allen und jedem aufs Herzlichste bewundern. Dabei zählt er die ihm entgegengebrachten Hymnen nach ihrer Art, der Zeit, ihrer Intensität und der Zuhörerschaft aufmerksam mit. Haben die Bewunderer ihr Lob vollbracht, lagert der Lobesfischer alle ihre dargebrachten Huldigungen fein säuberlich in seinen endlos scheinenden Kopfspeicher, den er sich seit frühesten Kindertagen mühselig aufgebaut hat.

Schon in der Nacht springt der Lobesfischer nach kurzer Schlafzeit aus dem Bett und putzt Fenster, Treppenflure und Gehwege der arglos schlummernden Hausbewohnerschaft. Kommt der Lobesfischer scheinbar ausgeruht zur Arbeit, stellt er sich in die breite, hell erleuchtete Empfangshalle des Krankenhauses und hilft ungefragt umhereilenden Ärzten, wartenden Patienten oder orientierungslosen Besuchern. Hat er das ersehnte Lob endlich vernommen, atmet er erleichtert aus. Er schließt die Augen und lächelt (klein)kindhaft über das ganze Gesicht. Noch mit geschlossenen Augen zieht er den wortgewaltigsten Lober fest an sich heran, schlingt beide Arme um seinen Hals und hält ihn an sich gedrückt. Ist er sich endlich Gewiss, auch an diesem Tage von allen gelobt zu werden, lässt er den Umarmten abrupt los und rennt mit ausgestreckten Armen durch die schmalen Stationsgänge, an überfüllten Wäscheschränken und offenen Essenwagen vorbei, springt in hohem Bogen über den Wischeimer der verdutzten und schimpfenden Reinigungskraft, bis er auf seiner Station angelangt ist. Überschwänglich beginnt er die ihm zugewiesene Arbeit. Er schnappt sich einen Stapel Schüsseln und betritt mit einem Jauchzen das Patientenzimmer. Er öffnet das Fenster und wedelt frische Morgenluft hinein. Er geht von Bett zu Bett und begrüßt die verschlafenen Patienten mit einem ihnen genehmen Kompliment. Da er sich deren Sonderwünsche allesamt vom Vortage genauestens eingeprägt hat, stellt er ihnen Wasser in der gewünschten Temperatur ans Bett, erkundigt sich nach den jeweiligen Vornamen der Enkeln, deren Fotos auf den Nachttischen stehen und bewundert die Kinderbilder, die an den weißen Wänden mit Pflaster schief aufgeklebt hängen. Verweigern ihm die Patienten das ausstehende Lob, massiert er kräftig deren Nacken oder streichelt sanft über ihre Fußsohlen. Haben sie danach das benötigte Lob immer noch nicht preisgegeben, beginnt er die Patienten rigoros aufs Neue zu waschen. Erst wenn der letzte Patient laut und überdeutlich seine große Anerkennung ausgeliefert hat, verlässt der Lobesfischer beglückt das Zimmer. Schnell eilt er ins nächste Zimmer, denn auch dort gilt es dicke Lobe abzufischen, bevor sie andere Mitarbeiter bekommen. Ist er mit dem zweiten Zimmer fertig, eilt er zum dritten, vierten und fünften. Und nicht selten überredet er Mitarbeiter ihm die Pfegschaft gut lobender Patienten abzugeben.

Beginnt die Frühstückspause, geht der Lobesfischer ins Schwesternzimmer und malt die Daten aller Patienten mit Buntstiften in die Kurven ein. Er beschriftet in Feinschrift Blutentnahmenetiketten, stellt akkurat Apothekenflaschen in die Schränke oder untersucht Urinproben. Und nur wenn ihn die Stationsschwester auf Knien bettelt, lässt er seine Arbeit ruhen und kommt widerwillig und von ihr mit Lobhuldigungen überschüttet und angetrieben, in den überfüllten Pausenraum. Er nimmt seinen Seemannssack aus dem Spind und holt die mittelalterlichen Kuchenspezialitäten und exotischen Gerichte heraus, die er aufwendig in der Nacht angefertigt hat. Diese reicht er stumm aber mit einem beobachtenden Blick der murmelnden Mitarbeiterschaft. Bedanken sich die Mitarbeiter, packt er die restlichen Stücke sofort zusammen und bietet sie mit dem gleichen beobachtenden Blick auf anderen Stationen oder der großen Empfangshalle an, bis auch diese Mitarbeiter sich schmatzend und mit übervollem Mund bedanken. Dabei merkt er sich genau, welche Speise welcher Mitarbeiter besonders belobigt. An manchen Tagen soll es vorkommen, dass Mitarbeiter ihre Bewunderung über das Gebackene verweigern. In diesen Momenten nimmt er ein zweites, drittes und wenn es ihm sinnvoll erscheint, ein viertes Packet zur Hand und stellt es den Lobverweigerern vor die Nase, bis auch sie endlich das überfällige Lob an ihn herausbringen. Notfalls bebäckt er sie über Tage, über Wochen und Monate.

Sind alle Speisen aufgezehrt, streut er die restlichen Krümel auf die Straße, in den Krankenhausgarten oder auf eines der unzähligen flachen Fensterbretter. Dort wartet der Lobesfischer bis der Hund des Pförtners zufrieden mit dem Schwanz wedelt, die Katze der Pförtnersfrau um sein Bein schnurrt oder der Spatz aufgeregt tschilpt und Kreise über seinem Kopf fliegt. Hat er den dankbaren Tieren ihr Lob entlockt, knöpft er die obersten Knöpfe seines Hemdes weit auf und schlendert erwartungsvoll in den Krankenhausfluren umher. Glaubt er, dass einer der neuen Patientinnen sich für ihn interessiert oder ihm einen Liebesbrief zukommen lassen will, bleibt er kurz stehen und öffnet weitere Knöpfe seines stets dünnen Hemdes auf. Er streckt seine muskulöse Brust heraus, die er sich eigens für diese Momente hart über die Jahre antrainiert hat. Auf Zehenspitzen umrundet er die Patientin und verwickelt sie in diffuse Gespräche, in denen er zur Abwechslung loben muss. Dabei nähert er sich der Interessierten geschickt, dass er ihr ausreichend Gelegenheit verschafft, ihren Brief, von ihm scheinbar unbemerkt, in eine seiner breiten Hemdstasche einzuwerfen. Hat er ein Lob von der ahnungslosen Patientin erhalten oder spürt er deren dicke Post in der Tasche, zwinkert er ihr demütig zu. Denn auch ihr Lob ist ihm äußerst wichtig, und er achtet es, obwohl er mit den Sehnsüchten der Patientin nichts anfangen kann.
Ist er mit seinem Stationsdienst fertig, nimmt er lange Einkaufslisten von mehreren Mitarbeitern entgegen und erledigt sie auf dem Heimweg.

Kommt der Lobesfischer nach Hause, klappert er mit dem fetten Schlüsselbund bis einer der aufgeschreckten Hausbewohner die Tür öffnet und sich für die funkelnden Fensterscheiben, die polierten Flurböden oder den gefegten Gehweg mehrfach und mit kleinen Aufmerksamkeiten bedankt. An Tagen, an denen kein Hausbewohner sich bedanken will, klopft und poltert er so lange im Hause herum, bis die gesamte Bewohnerschaft aus ihren Wohnungstüren eilig zusammentrifft und ihm mehrstimmig ein Ständchen singt. Mit einer Verbeugung nimmt er den Dank an, schließt schnell die Tür hinter sich zu und legt sich zufrieden auf das Sofa. Mit aller Welt zufrieden, streckt er die Beine nach den vielen Anstrengungen des Tages von sich. Bei einem großen Glas Milch liest er genüsslich die Liebesbriefe, die er von der schüchternen Patientenschaft zugesteckt bekommen hat, langsam und laut vor. Hat er sich wieder und wieder an den wunderbaren Worten berauscht, wischt er aufgeregt den Michschaum vom Mund. Sorgsam spricht er die Brieftexte auf Band um sie an Tagen, an denen er sich ungeliebt fühlt, in seinen Quadrosoundboxen, bei voller Lautstärke und gegen den pochenden Protest der Hausbewohner, wieder und wieder abhören zu können. Noch nie ist ihm beim Abhören der Texte der Gedanke gekommen, eine der unzähligen und netten Briefeschreiberinnen endlich und persönlich kennen zu lernen. Vielmehr verzückt den Lobesfischer die bloße Vorstellung auch von ihnen hemmungslos begehrt zu werden. Hat er die Briefe auswendig gelernt, springt er vom Sofa und steckt sie in den Reißwolf, damit kein Anderer sein Lob verwenden kann. Er geht in die Küche und beginnt mit den vielfältigsten Vorbereitungen des kommenden Tages. Er sucht seltene Rezepte in alten Kochbüchern und kocht mit unbekannten Kräutern, die er von fremdsprachigen Händlern auf dem Wochenmarkt gekauft hat. Ist er damit fertig, bastelt er komplizierte Geschenke. Bei alledem hat er stets das Telefon im Blick, denn er könnte einen der häufigen Anrufe verpassen, in denen er inständig gebettelt wird, einen Zusatzdienst auszuüben. Für nichts in dieser Welt würde er auch nur eines dieser Telefonate verpassen, sichern sie ihm doch tagelanges, wenn nicht gar wochenlanges Lob seiner aufgeregten Stationsschwester, der besorgten Oberin oder der aufmerksamen Ärzte. Und seit Jahren ist es ihm völlig egal, wann er endlich freie Tage erhält oder in Urlaub fahren kann.

Am Abend, wenn alle Behältnisse mit frisch gebackenem Kuchen, mit rafiniert gewürzten Suppen oder mit knackigen Salaten aufgefüllt sind, legt sich der Lobesfischer tagesmüde ins Bett. Er hält beide Hände an die Wangen und streichelt sich sanft mit kleinen Kreisbewegungen über das Gesicht. Er schließt die Augen und ruft alle ausgesprochenen Lobe einzeln und detailliert auf. Abermals spricht er sich die auswendig gelernten Briefe laut vor und macht das Tschilpen der Spatzen nach. Zum Schluss flattert er mit den Armen und wedelt sich über die Beine. Er bündelt das Lob des gesamten Tages fest zusammen und atmet es mit tiefen Atemzügen weit in seine Lungenflügel ein. Zufrieden stopft der Lobesfischer sein Kopfkissen zusammen, schiebt den Arm unter die Daunen und drückt sein Ohr darauf. Er legt sich auf die Seite und rollt den schmalen Körper zusammen. Mit dem oberen Ohr bewacht der Lobesfischer Nacht für Nacht das Telefon.

Stoppelmanns Zähne

„Guten Tag!“, sagte sie. Das gehörte zu ihrem Job. Und nur die Besten konnten das so, dass es die Kunden auch glaubten. Sie konnte das, wenn sie etwas gegen ihre Kopfschmerzen genommen hatte. In den sechs Jahren, die sie hier war, hatte sich noch keiner über sie beschwert.

Der Stoppelmann nickte, schwieg aber. Manchmal murmelte er etwas. Aber er sprach nie. Sie mochte ihn, er wusste das. Wann immer sie in einer Kassenbox saß, wenn er alles beisammen hatte, zahlte er bei ihr. Oft wollte sie ihn fragen, wie er heißt, damit sie ihn beim nächsten Mal mit Namen begrüßen könnte. Aber eine Frage von ihr hätte eine Antwort von ihm verlangt. Sie respektierte seine Grenze. Job ist Job.

Dabei meinte sie es gut mit ihm. Sie wollte ihm eine Zahnärztin empfehlen. Eine liebe Omi, zu der sich sogar ihr Vater getraut hatte. Die war ganz vorsichtig und redete nicht viel. Der Vater musste da zwar hundertmal hin, aber danach konnte er wieder ungeniert lachen. Und er hatte doch immer so gern gelacht.

Damit die Zähne schön weiß blieben, würde sie dem Stoppelmann später auch den Trick erklären. Sie hatte ihn von der Frau in der Apotheke. Von der, die ihr immer ihre Kopfschmerztabletten verkaufte. Weil sie so oft in die Apotheke ging, dachte die Apothekenfrau wahrscheinlich, sie wären Freundinnen. Warum sonst hätte sie ihr letzte Woche den Trick verraten? Jedenfalls: Mit dem hätte es ihr Vater geschafft, seine schlechte Angewohnheit zu überwinden. Und der Stoppelmann könnte es so auch schaffen.

Er vertraute ihr. Nur bei ihr kaufte er sechs Schachteln auf einmal. Und bei keiner anderen Kollegin legte er gleich zwei Flaschen Pfefferminzlikör aufs Band. Sie beobachtete das vom Backstand, wenn sie dort aushalf. Selbst bei ihr versteckte er die Flaschen unter einer Zeitung, die sie geschickt nur soweit anhob wie nötig, um die Strichcodes zu scannen.

Stoppelmanns Frau musste auch Kassiererin gewesen sein. Sie musste ihm erzählt haben, wie im Pausenraum über Kunden gesprochen wird. Mit seinen zur Entschuldigung hochgezogenen Schultern bat er sie, kein schlechtes Wort über ihn zu verlieren. Und auch den Ladendetektiv nicht auf seine Manteltaschen anzusetzen. Scharf wie ein Terrier war der. Sie versprach es mit einem Zwinkern. Lang genug, damit er es als verständiges Nicken lesen konnte. Kurz genug, um nicht als Schäkerei missverstanden zu werden. Dienst ist Dienst.

Stoppelmanns Frau war schon ewig weg. Der Länge seiner Haare nach zu urteilen, mindestens drei Jahre. Vor einer Weile hatte er wohl eine Freundin in Aussicht. Da hat er ein paar Mal Pralinen gekauft. Ist aber nichts draus geworden. Jetzt kaufte er wieder Knackwurst. So oder so, ihr war er zu alt. Und außerdem: Einen Mann mit schlechten Zähnen küsst keine Frau gern, auch keinen lieben. Da war sie sich mit ihrer Mutter einig. Obwohl sie einen Ehemann nicht wegen schlechter Zähne verlassen würde, wie ihre Mutter. Dass verspricht man sich doch, wenn man heiratet: dass man sich immer hilft. Sie würde ihren Ehemann einmal gut behandeln.

Als der Stoppelmann plötzlich vormittags zum Einkaufen kam, war ihr gleich klar, dass er bald knapp bei Kasse sein würde. Geld ausgeben in der Zeit, in der andere es verdienen, geht nicht gut. Mit den trockenen Schwielen an seinen Händen verschwanden auch die Euros auf seinem Konto. Sie sah das an seinen Einkäufen. Nudeln, Dosenfleisch, Ketchup.

Wie ungerecht das war! Der Stoppelmann war so fleißig! Wie viele Male war er mit putzverkrusteten Hosen einkaufen gewesen? Die waren bestimmt nicht beim Kaffeetrinken schmutzig geworden. Jeder, der seinen verzerrten Mund sah, wenn er sich den Rucksack mit den schweren Flaschen auf den Rücken wuchtete, musste doch kapieren, dass er nicht mehr als Maurer arbeiten konnte. Mit so einem kaputten Rücken! Als Maurer! Sie hätten ihm eine andere Arbeit geben müssen, im Büro, irgendwas, oder als Anstreicher. Aber nichts!

Vielleicht haben sie ihn auch rausgeschmissen, weil sie dachten, er trinkt. Solche Idioten! Haben die ernsthaft geglaubt, er braucht den Pfeffi, damit es dreht? In der Arbeit? Unter der prallen Sonne? Dummköpfe! Wie soll jemand gerade Mauern hochziehen, wenn er besoffen ist?

Ihr Vater hatte ihr damals erklärt, warum man Pfefferminzlikör trinkt. Aus drei Gründen: Erstens will man den schlechten Geruch überdecken. Kaputte Zähne stinken und man kommt nun mal nicht überall durch, stumm wie ein Fisch. Zweitens will man die Zahnfleischentzündungen desinfizieren. Die heilen nur, wenn sie keimfrei sind. Weiß jeder! Drittens will man, dass es nicht mehr weh tut. Wer mal richtige Zahnschmerzen hatte, weiß, dass man alles macht, um sie loszuwerden. Aber wie sollte sie ihm helfen, wenn sie ihn nicht zum Antworten zwingen wollte? Sie musste nachdenken. Aber ihr Kopf!

Mittlerweile kaufte er die Wurstpackungen mit den roten Sonderetiketten und das geschnittene Graubrot in Plastiktüten. Dabei hatten sie am Backstand in der Filiale jeden Tag eine andere Sorte in der Aktion, die leckerer war als seine. Und gesünder. Und billiger, immerhin 60 Cent. Am liebsten würde sie ihn mal fragen, wieso er das macht. Aber er würde ja nichts antworten. Seine Zähne mussten schlimm aussehen. Sie erinnerte sich an die ihres Vaters. Sie verstand seine Scham. Aber wie ihre Mutter, verstand sie absolut nicht, warum Männer ihr Geld so verplempern.

Als er neulich Schweinelende von der Bedientheke aufs Band legte und Wildlachs aus der Eiswürfelkühlung und den teuren Spreewald-Pfefferminz, wollte sie ihm schon gratulieren, zur neuen Arbeit. Mit einem strahlenden Lächeln, nicht mit Worten, natürlich. Dann aber bemerkte sie den blassen Streifen an seinem Ringfinger. Und als sie sah, dass auch die Silberkette um seinen Hals verschwunden war, wurde sie sauer. Während der Stoppelmann die 12,40 € aus seinem Portmonee kramte, erkannte sie das dünne hellblaue Quittungspapier im Geldscheinfach. Es war vom dicken Pfandleiher am Steinweg. Er gab es aus für die wertvollen Dinge, die er sich borgte und dann verscherbelte.

So ein Mistkerl! Den silbernen Anhänger ihrer Omi hatte er verhökert, obwohl der Vater ihm den nur geliehen hatte. Und auch die Granat-Ohrringe waren futsch, als sie sie am Zahltag abholen wollte. Dem Pfandleiher gönnte sie keinen weiteren Reibach, der war fett genug.

Während sie das Wechselgelt für die 15 Euro abzählte, die ihr der Stoppelmann gegeben hatte, nahm sie ihren Mut zusammen. Sie griff den Kuli für die Kartenzahlungen und riss den Kassenzettel von der Rolle. Auf die Rückseite kritzelte sie:

Frau Dr. Oettmeier
Kurt-Eisner- Ecke Kochstraße
Dienstags ab 8 Uhr.

Zusammen mit den Münzen streckte sie ihm den Zettel entgegen: „Ich möchte, dass Sie heute ihren Kassenbon mitnehmen.“

Der Stoppelmann sah sie aus großen Augen an und nickte. Sie zwinkerte noch einmal. Langsam nahm er den Kassenzettel. Wie sie das freute! Wenn dann bald alles wieder in Ordnung ist, mit seinen Zähnen, würde sie ihn beiseite nehmen und ihm den Trick verraten.

Sie würde sagen: „Und wenn sie morgen früh aufstehen, dann lassen Sie die Flasche Pfefferminz einfach zu. Sie brauchen sie jetzt nicht mehr, mit ihren schönen Zähnen. Also müssen Sie die Gewohnheit loswerden, so sparen Sie viel Geld.“ Sie würde ihm eintrichtern, sich vorzunehmen: „Heute trinke ich keinen Pfefferminz. Nur heute nicht. Morgen darf ich wieder. So viel ich will. Aber heute? Nö, heute will ich nicht. Heute lasse ich es. Wird ja kein Problem sein, es einen Tag zu lassen.“ Und sie würde sagen: „Dann lassen sie es. Verstehen Sie? Sie lassen es! An diesem Tag. Und am nächsten Tag“, würde sie kichern, „Am nächsten Tag machen sie es einfach genauso. Und dann wieder. Und so können Sie sich selbst überlisten. Nach ein paar Tagen haben sie den Likör vergessen. So einfach ist das.“

Der Stoppelmann hatte den Bon gefaltet und sorgsam vor die Quittung des Pfandleihers gesteckt. Als er sein Wechselgeld aus ihrer Hand sammelte, sah sie ihn an. Mit geschlossenen Lippen lächelte er, bevor er seinen Einkaufswagen in Richtung Ausgang schob.

Der Vergangenheitstreue

Dem Vergangenheitstreuen fällt es schwer, das Ticken von Uhren auszuhalten. Egal, wo er das gleichmäßige Geräusch vernimmt, ob auf Bahnhöfen, in Wohnzimmern oder Küchen, wird er unruhig und beginnt sich unwohl zu fühlen. Sieht er Mitarbeiter mit einer mechanischen Uhr am Handgelenk, geht er ihnen sofort aus dem Weg. Und muss er doch mit ihnen ein dringendes Fachgespräch führen, schätzt er die Lautstärke des Geräuschs der Uhrenmarke und stellt sich in sicherer Entfernung auf. In aller Kürze bespricht er mit ihnen das Notwendigste. Außerdem ist es dem Vergangenheitstreuen unangenehm Menschen zu beobachten, die immerzu in ihre dicken Kalender schauen, um nach etwaigen Terminen zu suchen, denn das Festlegen von Zeit ist ihm zuwider.

Kommt der Vergangenheitstreue auf Station, bitten ihn die Schwestern zum allmorgendlichen Kaffee um auch mit ihm private Erlebnisse ausführlich austauschen zu können. Da ihm dieses Angebot stets peinlich ist, lehnt er kopfschüttelnd und mit leiser Stimme ab. Noch nie soll es jemanden im Krankenhaus gelungen sein, dem Vergangenheitstreuen ein persönliches Gespräch zu entlocken, egal auf welcher Station er sich befand.

Vielmehr beginnt er nach der unangenehmen Frage unverzüglich mit der Arbeit, denn nur so ist er sich gewiss, dass er das Verstreichen von Zeit überhaupt nicht bemerkt. Dabei führt er routiniert jeden einzelnen Handgriff, den er während seiner Ausbildung erlernt hat, in Zeitlupengeschwindigkeit mit ein und derselben Genauigkeit Tag für Tag aus. Selbst Feiertage oder gar sein Geburtstag sind für ihn kein Grund irgendeinen seiner Handgriffe zu ändern. Neueste Arbeitsmethoden weiß er gekonnt zu umgehen. Und nur, wenn die Stationsschwester ihm mit Abmahnung oder gar Kündigung droht, benutzt er widerwillig und mit raschen Handbewegungen den modernen Infussiomanten, cremt die neue, unbekannte Wundsalbe auf die vereiterte Haut, verwendet die hochmoderne Antidekubitusmatratze und krakelt die Pflegedokumentation in die standardisierten Tabellen der Kurven. Hat hingegen die Stationsschwester über das Wochenende frei oder befindet sie sich auf einen ihrer unzähligen Auslandsreisen, nutzt er die Tage, um vergnügt seine alte Arbeitsweise anzuwenden.

Würde man den Pförtner des Krankenhauses an einem dieser Tage fragen, wie sich der Vergangenheitstreue in diesem Moment fühlt, würde er sein schönstes Lächeln aufsetzen und sagen, dass es diesem stillen, undurchschaubaren Jungen mit dem stets flüchtig-suchenden Blick, heute blendend gehe und er ihm viele solcher schönen Tage wünsche.

Hat die Mittagspause begonnen, geht der Vergangenheitstreue nicht wie andere Schwestern schwatzend in die Kantine, sondern schleicht in die abgedunkelten Patientenzimmer und bringt die welkenden Blumensträuße an sich. Seine Großmutter mochte nur frisch gepflückte. Unbemerkt wirft er die fast frischen Blumen in den Müll, geht in den kleinen Laden vor dem Krankenhaus, der ihn schon seit Jahren großzügig Rabatte gewährt und lässt vergleichbare Sträuße binden. Und nur wenn es die Blumensorte nicht gibt, kauft er einen bunten Strauß seiner Wahl und behauptet gegenüber den verschlafenen Patientinnen, dass ein sehr netter, unbekannter Besucher diesen Strauß abgegeben und den alten mitgenommen habe. Ist er mit dem Blumentausch fertig, fährt er zu seiner täglichen Runde ins Archiv der Anmeldung. Er nimmt den Nachschlüssel, den er sich durch ein vorgetäuschtes privates Gespräch mit der aufdringlichen Mitarbeiterin erschlichen hat und prüft akribisch die Aufnahmelisten der Patientinnen. Ist er damit fertig, geht er in den Garten und beobachtet das Goldfischpaar im Becken. Er holt die bunte Brotdose aus seinem Beutel und isst das dick bestrichene Butterbrot und den Riegel Vollmilchschokolade.

Kommt er nach dem Dienst nach Hause, legt er sich im Kinderzimmer auf sein Bett und betet ausführlich bis er für kurze Zeit einschlafen kann. Wacht er von einen seiner unschönen Träume auf, taumelt er erschöpft ins Schlafzimmer, um nach dem Bett seiner Großmutter zu sehen. Findet er ihr Bett unbenutzt, geht er in die Küche und greift aus dem defekten Kühlschrank die lauwarme Himbeerlimonade. Geräuschvoll trinkt er sie in einem Zuge aus. Mit verschlossenen Augen wartet er minutenlang auf ermahnende Worte. Bleiben auch an diesem Tage die geliebten Ermahnungen aus, setzt er sich an den weiß gestrichenen Holztisch, den der unbekannte Großvater seiner Großmutter zur Verlobung geschenkt haben soll und streichelt über das karierte Wachstuch. Aufmerksam nickt er dem weißen Stuhl mehrfach zu. Mit einem freudigen Lächeln springt er auf, stellt den Porzellanfilter auf die Kanne, steckt das Nylonsieb darauf und gibt vier gehäufte Löffel Kaffee hinein. Vom Emaillewaschbecken holt er Wasser und erhitzt es im verkrusteten Tauchsieder. In kleinen Schlucken brüht er kräftigen Kaffee. Wortlos stellt er die flache Teetasse mit dem blassen, goldverzierten Schnörkelmuster vor den Stuhl exakt auf den dunkelbraunen Kreis des Tischtuches. Er stellt die Keksdose, die Milch und die Zuckerschale neben den Kaffee. Von der Flurgarderobe holt er eilig die dicke Sonntagsausgabe der Tageszeitung, die er seit elf Jahren zusammengelegt im oberen Schubfach liegen hat. Er setzt sich neben den weißen Stuhl und liest langsam und deutlich alle Artikel der Zeitung laut vor, die er sich über die letzten elf Jahre eingeprägt hat.

Geht die Sonne unter, wäscht er im Halbdunkel das wenige Geschirr des Tages ab und erzählt vom Stationsalltag. Gründlich putzt er die Küche und die restlichen Räume der Wohnung. Ist er davon müde, geht er ins Kinderzimmer, legt sich auf das schmale Bett und schiebt die großen Kopfhörer auf die Ohren. Er schaltet die Hobby-Funkanlage ein und lauscht den Polizeifunk ab. Dabei versucht er nicht einzuschlafen. Bemerkt er, dass er müde wird, schlägt er zur Strafe mit der flachen Hand auf die Wangen. Und nur wenn die Wangenschläge seine Müdigkeit nicht beenden, piekt er mit der Kanüle in die Fingerkuppen.

Am Morgen zieht der Vergangenheitstreue die Kopfhörer von den Ohren. Übermüdet geht er in die Küche ans Waschbecken, rasiert sich gründlich ein Milchgesicht und wäscht widerwillig den Oberkörper ab. Er geht ins Schlafzimmer der Großmutter, greift wahllos im Wäscheschrank seine abgetragenen, unmodernen Sachen heraus und zieht sie schweigend an.

Auf der Fahrt in die Klinik beobachtet der Vergangenheitstreue aufmerksam alle Passantinnen, die ihr ähnlich sehen. Ab und zu fallen ihm für Sekunden die müden Augenlider zu und er träumt, dass er nach Feierabend einen frisch gepflückten Strauß Blumen auf dem Küchentisch vorfindet, den würzigen Duft von leckeren Kohlrouladen auf dem Absatz des Treppenhauses einatmet, mit ihr eine Riesenschüssel grüne Klöße formt und anschließend Puddingreste aus der alten Kristallschüssel lecken darf, während sie mit nicht ernst gemeinten Worten schimpft. Hat er den Kohlrouladenduft in der Nase, reißt er abrupt die Augen auf und gibt sich eine Ohrfeige. Hastig springt er vom Sitz auf, schaut unruhig aus dem Fenster und beobachtet wieder die Gehwege, Straßen und Kreuzungen. Und nur noch selten greift der Vergangenheitstreue nach der Notbremse.

Der Schönredner

Den Schönredner schmerzt nichts so sehr wie ein beängstigendes Wort. Dringt es an sein Ohr, setzt
er seine gesamte Sprachkunst darauf, es unschädlich zu machen und gegen ein edleres zu ersetzten.
Nichts hält ihn davon ab, das Leid, dass aus dem Wort erwächst, bis in den entferntesten Winkel des
Krankenhausgeländes zu verfolgen.

Schon am Morgen betritt der Schönredner mit Lobeshymnen die Station. Er blättert in den
Krankenakten und gibt wohlwollende Worte über den Fortgang der Behandlung. Und selbst die
kleinste Differenz in der Fieberkurve löst in ihm einen Sturm der Bewunderung hervor. Geht der
Schönredner zur Visite, überlegt er minutenlang vor der Krankenzimmertür, welche Worte er dem
Patienten zu Gehör gibt. Unsicher läuft er auf und ab, kramt in seinen vielen Zetteln und wiederholt
wieder und wieder die wichtigen Wendungen. Oft hält er beide Hände auf den Bauch oder die Stirn.
Und nur, wenn es ihm nicht gelingt, zur Ruhe zu kommen, rennt er auf die Toilette, schließt sich
ein, winkelt die Beine an und hofft so, die Unsicherheit zu überwinden. Dabei zieht er immer und
immer wieder die Spülung und erzählt beim Rauschen des Wassers, welche Wünsche er mit sich
trägt. Neuerdings beschleicht ihn das Gefühl, dass die Putzfrau ihn des Öfteren belausche.

Beginnt die Visite und der Chefarzt gibt dem im Bette Liegenden harsche Worte oder erklärt ohne
Umschweife unschöne Diagnosen, hört der Schönredner aufmerksam zu und kommentiert das
Gesprochene mit sanften Gesten. Spricht der behandelnde Arzt gar von einer unheilbaren Krankheit
oder kündigt er dem Patienten starke Schmerzen an, beschwichtigt der Schönredner beim Verlassen
des Zimmers den Patienten. Er flüstert ihm ins Ohr, dass das alles alte Therapieansichten sind und
die neusten, sozusagen druckfrisch, bei ihm auf dem Tische liegen. Sitzen die Schwestern
schwatzend am voll gedeckten Frühstückstisch, steht der Schönredner auf, schleicht zu dem
verunsicherten Patienten und entkräftet alle furchteinflößenden Worte. Er erklärt dem Verängstigten
den aktuellen Stand der Wissenschaft, bringt ferne Kongresse ins Spiel, lobt neuste Therapien und
feiert modernste Behandlungsmethoden. Und so manches Mal krempelt er die Ärmel hoch, schiebt
die Betten beherzt beiseite, zückt die Kreide, die er immer in seinem Assistentenkittel trägt, und
malt mit schwungreichen Bewegungen bunte Grafiken auf das Linoleum des Patientenzimmers.
Wortreich erklärt er die Lebenserwartung bei dieser und jener Erkrankung. Und es freut ihn
besonders, wenn er bei aussichtslosen Diagnosen eine höhere Lebenserwartung berechnen kann, als
allgemein für das jeweilige Alter üblich ist. Wüssten die Patienten durch Film und Fernsehen nicht,
was diese oder jene Erkrankung im Wesen bedeute, könnten sie durch seine Art leicht in
Versuchung geraten, eine ernste Erkrankung als Segen oder gar als Wohltat zu empfinden.

Kommt der Schönredner nach den unzähligen Überstunden nach Hause, blättert er in
medizinischen Fachzeitschriften und Lexika um die gehässigen Worte des Tages auszutauschen.
Hat er sie endlich gefunden, schreibt er sie mit kindlich großen Buchstaben auf das linierte Papier
und streichelt sanft über jedes der schön klingenden Worte. Dabei buchstabiert er sie immer und
immer wieder laut vor sich hin. Ist er damit fertig, faltet er den Zettel entlang der Linien zusammen
und steckt ihn in seine Schuhe, denn dort vergisst er ihn nie. Kann er hingegen die geeigneten
Worte nicht finden, sucht er fieberhaft in den Bänden, die er über die Zeit aus den Büchereien
dauerentliehen hat. In diesen kramt er fieberhaft, ob sich nicht doch ein unbekanntes, wohliges
Wort zwischen den alten verstaubten Buchseiten versteckt hält. Wird er nicht fündig, studiert er die
kostbaren Bücher, die ihm die Reinigungsfrau auf dem Stationsflur ab und zu unvermittelt übergibt.
Kann er sie auch dort nicht finden, telefoniert er verzweifelt bis in die frühen Morgenstunden mit
allen, die er kennt und die ihm noch helfen wollen. Und nicht selten fragt er bei einem der wenigen
Abendessen, die er mit seiner Freundin verbringt, nach dieser oder jener Wortverschönerung.

Küsst er seine Freundin, kommen ihm manches Mal unvermittelt Ideen, die ihn die Zunge zuweilen mehr
als nötig in ihrem Munde verharren lassen. Selbst beim Beischlafe, den er sich höchstens einmal pro
Monat verordnet, kommt ihn manch nützlicher Gedanke, den er umgehend, noch auf ihr liegend,
auf einen seiner vielen Zettel notiert. Sind die Zettel mit Worten angefüllt oder hat er sie verlegt,
kritzelt er die Buchstaben hastig auf die Haut ihres Bauches oder Rückens. Hat er endlich das
passende Wort gefunden, springt er am anderen Morgen glücklich ins Krankenzimmer, um es dem
Betroffenen mit ausgebreiteten Armen zu präsentieren.

Der Schönredner schläft unruhig. Jede Nacht träumt er von einem Regal, das bis in den Himmel
reicht und alle Wortschönheiten dieser Welt beinhaltet. Oftmals wird ihm im Schlafe schwindlig,
weil er wieder viel zu schnell mit dem Glaslift in die oberste Reihe des Himmelsregales gefahren
ist. Es ist ihm jedes Mal ein Graus, wenn eines der Bücher in die Tiefe hinabsinkt und er es mit dem
Lift wieder heraufbringen muss.

Der Schönredner ist bei Patienten und Personal beliebt. Er arbeitet übergründlich und vermittelt
seinem Gesprächspartner zudem das Gefühl, sich nie in Hektik zu befinden. Selbst die Verwaltung
kann sich trotz der massiven Kritik, die einige Chefärzte immer wieder gegen ihn hervorbringen,
seinem Wesen schwer entziehen. Sie hat ihm eine unbefristete Stelle in Aussicht gestellt.

Würde man den Pförtner nach ihm befragen, würde er die Narbe an der linken Augenbraue berühren
und sagen, dass das ein wirklich feiner Kerl sei, dem man einfach niemals böse sein könne, weil
er viel zu gut für diese verkackte Welt sei. Außerdem würde der Pförtner die Hände aufeinanderschlagen
und wiederholt sagen, dass er der Sohn wäre, den er sich immer von seiner Alten gewünscht
und nie bekommen habe. Und nahezu unhörbar würde er anfügen, dass er weiterhin für
ihn, wenn es sein müsse, den Dienstbeginn im Kontrollbuch korrigieren würde.

Der Altersscheue

Der Altersscheue fürchtet nichts so sehr wie seinen Geburtstag. Spricht einer seiner stets gutaussehenden Gesprächspartner unbedacht ein Wort aus, das mit Alterung in Verbindung steht oder auch nur gebracht werden könnte, hält der Altersscheue schreckhaft die Hand vor das Gesicht, tupft die vielen, dicken Schweißperlen von der gecremten und geschminkten Stirn oder steckt die lackierten Nägel seiner Zeigefinger tief in die Ohren. Wird in solch einem Gespräch zufällig sein tatsächliches Alter erkannt und trägt es der Entdecker nichtsahnend in die Welt, zittert der Altersscheue vor Wut. Er stößt mit den Füßen heftig gegen Betten oder tritt wahllos Wäschekisten ein, die in den Stationsfluren abgestellt sind. Noch vor Ort erklärt er lauthals den geschwätzigen Entdecker zu seinem Todfeind. Denn nichts verletzt ihn mehr, als der Verrat seines wirklichen Alters.

Der Altersscheue zieht jeden Morgen die dicke handgefertigte Silikonmaske, die er zur Straffung seiner Haut über Nacht trägt, vom Gesicht. Danach massiert er nach einer von ihm entwickelten Dehnübung die Haut bis er das Gesicht wieder bewegen kann. Ist er damit fertig, läuft er ins Bad, stellt sich auf die große Glaswaage, pustet mit aller Kraft die Luft aus seinen Lungenflügeln und zieht den Bauch ein. Dabei kneift er die Augen fest zusammen und streckt die Hände zur Baddecke. In Zeitlupe senkt er den Kopf und blinzelt auf die elektronische Anzeige. Ist er mit der Zahlenfolge auch hinter dem Komma zufrieden, atmet er hörbar Luft ein. Mit weit ausgebreiteten Armen hüpft er lächelnd von der chromgefassten Waage, klopft sich anerkennend auf die linke und rechte Schulter und tanzt ausgelassen durch die drei Zimmer seiner nach den neuesten Wohntrends eingerichteten Wohnung. Wieder im Bad angekommen, dreht er eine Pirouette und verbeugt sich gönnerhaft vor dem Spiegel wie vor jubelnden Publikum.

Um seinen Körper nach etwaigen Alterserscheinungen gründlich abzusuchen, knipst er den eigens installierten Halogen-Flutstrahler an und stellt sich in dessen breiten Lichtkegel. Er umgreift die große Standlupe und setzt zur besseren Kontrolle eine Juweliersbrille auf. Akribisch beginnt er Millimeter für Millimeter sein kosmetisch bearbeitetes Gesicht zu prüfen. Er schielt zwischen die gebleichten und reparierten Zähne und streckt die Zunge mit einem lauten „Bääh“ heraus. Mehrfach umrundet er dabei die obere und untere Zahnreihe, bis ihm die Zunge lahmt. Mit einem kräftigen Biss prüft er die korrigierten Lippen, ob sie noch prall genug für bevorstehende Abenteuer sind. Er nimmt die ägyptische Liebescreme, die er hinter dem Schrank in einem speziell eingebauten Versteck hält und die er stets nach einer streng geheimen Rezeptur nach Anweisung seiner Modezeitung fertigt. Hat er die Lippen gründlich eingecremt, beginnt er widerwillig die Fältchen auf der Stirn zu zählen. Verzählt er sich, was in neuester Zeit sehr häufig vorkommt, wiederholt er das Abzählen, dieses Mal mit halb geschlossenen Augen, bis er jedes Fältchen erfasst hat. Und nicht selten bricht er tränenüberströmt zusammen oder fällt beim Addieren der vielen Fältchen kurz in Ohnmacht und verletzt sich an der Badheizung oder seiner Lichtanlage. An solchen Tagen ist er krankgemeldet und schluckt massenhaft Vitamine und Aufbaupräparate.

Ist er endlich mit dem Fältchenzählen fertig, streckt er den Hals schwanenhaft nach oben und misst mit einem Präzisionszirkel das Doppelkinn ab und notiert die Zahl in einer Tabelle. Anschließend schneidet er schimpfend die kleinen Härchen aus Ohren und Nase. Danach schaut er verächtlich über und unter die Augen und schminkt alle Ränder kunstvoll zu. Ist er mit dem Zustand seines Gesichtes halbwegs zufrieden, greift er das Maßband und prüft den Bizeps und den Brustumfang. Um erneuten Entzündungen der vielen Einstichpunkte seines abgesaugten Bauchfettes zu vermeiden, schmiert er mit beiden Händen dicke Schichten Kamille-Gel auf die schmerzenden Stellen. Sind alle Körperpartien kontrolliert und sorgfältig eingecremt, sucht er zum Schluss auch im Genitalbereich nach Spuren seines Alters. Findet er graue Härchen, schreit er laut auf und reißt sie unverzüglich und ohne auf etwaige Schmerzen zu achten mit einer bereit liegenden Briefmarkenpinzette heraus. Hat er endlich alle Normalitäten seines tatsächlichen Alters entfernt, fotografiert er mit dem neusten Smartphone mehrfach alle Partien seines polierten und entgrauten Körpers. Mit einem zufriedenen Lächeln betrachtet er die einzelnen Bilder in der Fotogalerie seines großen Displays. Gern schnalzt und zwinkert er in die bespiegelte Glasfläche, wie er es früher oft bei den Groupies aus seiner Schülerband gemacht hatte. Damit ihm kein einziges Bild verlorengeht, rennt er ins Wohnzimmer und speichert sofort alle Bilder in einem extra dafür angelegten Ordner im Rechner, damit er sie am Ende des Jahres zu einer Videoanimation zusammenschneiden und ins Internet stellen kann. In den letzten Jahren, hatte er dafür viel Zuspruch erhalten. Ist er mit der umfangreichen Speicherung fertig, wackelt der Altersscheue zufrieden mit beiden Pobacken, ruft laszive Sprüche in den Flur und reibt sein Hinterteil kreisend an den gefliesten Badwänden. Mit einen kräftigen Trommelwirbel auf seinen Hintern beendet er die ausgiebige Morgenbetrachtung.

Fühlt sich der Altersscheue um mindestens fünfzehn Jahre verjüngt, schlendert er ins große Ankleidezimmer. Er öffnet den beleuchteten Wandschrank und sucht in den nach unzähligen Farben und Schnitten unterteilten Fächern und Schüben nach der passenden Tageskleidung. Mit einem anerkennenden Blick greift er nach der in Frankreich abonnierten aktuellen Modezeitschrift, die er in der zurück liegenden Nacht bis zur Erschöpfung immer und immer wieder durchgeblättert hat. Hat er die abgebildeten Kleidungsstücke gefunden, zieht er sie in Zeitlupe an und malt sich lebhaft Chancen aus, die ihm in dieser Kleidung zuteilwerden. Ist er angezogen, zieht er sich wieder in Zeitlupe aus, um sich danach erneut anziehen zu können. Besonders gelungene Outfits fotografiert er mit dem Smartphone und klebt sie an die Zimmerwände oder sammelt sie für sein jährliches Fotoalbum. Allzu oft vergisst er bei diesem ausgiebigen Ritual die Uhrzeit und muss mit seinem verrosteten Opel Calibra mit überhöhter Geschwindigkeit auf Arbeit fahren.

Kommt der Altersscheue am Morgen ins Krankenhaus, beobachtet er die Gestik und Mimik der Mitarbeiter die ihm zufällig in den Fluren begegnen. Verspricht ihm eine Körperbewegung oder ein Gesichtsausdruck oder Tick eine Verjüngung, macht er diese umgehend im nächsten Flur nach. Aber am liebsten schleicht er noch vor Beginn des Dienstes zum kleinen Raucherbereich der Krankenpflegeschule. Er schraubt die Deckenlampe heraus und stellt sich in die unbeleuchtete Ecke. Mit großen Augen betrachtet er die neuesten Accessoires an Nase, Ohren, Händen und Füßen der verschlafenen Schülerschaft. Bewundernd lauscht er jeden coolen Spruch, jede Bemerkung und jeden noch so fragwürdigen Sprachtrend der Rauchenden ab. Hat er genug Leichtigkeit und Zukunftsglauben eingesaugt, rennt er auf die Toilette und kneift sich in die verschwitzte Nase, damit er nicht wahnsinnig zusammenbricht. Ungeduldig notiert er alle Worte in sein dickes, ausgefranstes Hosenheft. Anschließend dreht er das Heft auf die Rückseite und beginnt alle Accessoires sorgfältig und detailliert mit Malstiften einzuzeichnen. Hat er alles notiert und skizziert, drückt er zur Erleichterung die Toilettenspülung und taumelt völlig erschöpft aber zufrieden auf Station.

Der Altersscheue arbeitet ungern mit Mitarbeitern zusammen, die älter sind. Soweit es möglich ist, läuft er ihnen mit schnellen Schritten davon, lässt ihnen gekonnt den leeren Fahrstuhl oder schnürt so lange an seinen Schuhen, bis die Mitarbeiter aus seinem Blickfeld verschwunden sind. Er ist sich sicher, dass jeder von ihnen viele verpasste Chancen, die er bedauert und unter denen er leidet, mit sich herumträgt. Ältere Patienten fertigt er zur Visite in sekundendschnelle und mit einem Dauermonolog im gereizten Tonfall ab, damit sie ihn in keinem Fall in Gespräche über Leiden, Alter oder unerfüllte Wünsche verwickeln können. Denn ihren sehnsüchtigen Blick, mit dem sie von ihren verlorenen Möglichkeiten berichten, kann er nicht ertragen. Nur wegen dieser Patienten lässt er sich krankschreiben und ruft täglich auf Station an, und kommt erst nach deren sicherer Entlassung wieder auf Arbeit zurück.

Kommt der Altersscheue nach dem Dienst nach Hause und hat er eine Andeutung über eine Verabredungen bekommen, rennt er sogleich zum Friseur und lässt sich die angesagteste Frisur schneiden und färben. Danach eilt er zur Kosmetik und erstreitet sich einen Termin außer der Reihe. Zum Schluss geht er zur Pediküre. Zuhause angekommen, verstreut er wahllos Kleidungsstücke von vorrangegangen Liebschaften in der gesamten Wohnung. Ab und zu legt er selbst verfasste Dankesbriefe auf den Nachttisch, klebt Küsschenzettel an den Badspiegel oder schreibt Anerkennungssprüche auf benutzte Höschen oder Bettlaken. Er dreht die Musikanlage auf und spielt CDs oder Videos von Musikgruppen, deren Namen er überhaupt nicht kennt, von denen er aber weiß, dass sie derzeit gehört werden. Wie zu Teeniezeiten strippt er ausgelassen vor dem Spiegel seiner Anbauwand. Er spreizt die Arme und spielt nackt aktuelle Stars aus Film und Fernsehen nach. In diesen Momenten schließt er die Augen und fühlt sich jung und in vergangene Zeiten versetzt. Erinnert er sich aber plötzlich an das faltige Gesicht seines hilflosen Großvaters, versteckt er sich unter dem Tisch und wartet bis die Erinnerung wieder verschwunden ist. Danach krabbelt er unter dem Tisch hervor, legt eine der unbekannten CDs in die Musikanlage und dreht den Regler bis zum Anschlag auf. Seine Lieblings-CDs hat der Altersscheue schon vor Jahren vorsorglich im Keller versteckt oder über Nacht heimlich in die Mülltonne geworfen damit sie auf keinen Fall sein wirkliches Alter verraten können.

Manni + Horst

Es ist 3:50 Uhr. Ein Montagmorgen im März. Aber es könnte auch ein Dienstag-, ebenso ein Donnerstagmorgen sein. Ihm war jeder Tag gleich.
Das Radio hatte eine Weckfunktion und 3:50 Uhr startete er mit der Sendung durch die Nacht in den Tag. Die Zigaretten der Vortage füllten den Aschenbecher bis an den Rand. Sie hinterließen eine Schwade kalten Rauches, die er genüsslich in sich aufnahm. Wenige Minuten später lag Mentolgeruch der Zahnpasta und Kaffeeduft in der Luft − oder besser gesagt in der Kabine.
Es war nicht sein eigener Truck. Seine Gedanken drehten sich ständig darum, wie lange der Sprit noch reichen würde, wann in die Waschanlage zu fahren sei, der nächste Ölwechsel nötig wäre und eine neue gelbe Plane beschafft werden müsste. Aber es war nicht sein Eigener, so sehr er es sich auch wünschte. Vielleicht war das so wie mit seinem Ziehvater. „So sehr ich es mir auch wünsche, du bist nicht mein Eigener!“, hatte der immer zu ihm gesagt, wenn er etwas angestellt hatte, er unglücklich gestürzt war und ein Loch in der Hose gehabt hatte oder er in Ohnmacht gefallen war, wenn zu viele Menschen an ihm zogen oder der Wind ungünstig stand.
Aber auch, wenn der Truck nicht ihm, sondern Herrn Horst gehört, so liebt er ihn trotzdem. Denn er war der Auffassung, das könne man – jemanden lieben, ohne ihn besitzen zu wollen. Seine Freundin − die Gabi − die liebt er. Aber gehören tut sie jemand anderem – nämlich Herrn Horst. Der kümmert sich auch immer darum, dass sie schick aussieht, zieht ihr Röcke an und aus und legt ihr an besonderen Tagen die Perlenkette um. Dann ist er eifersüchtig, aber ändern kann er es nicht. Er liebt sie eben.
Die Tür ging auf. „Guten Morgen Manni. Heute fahren wir die Gabi besuchen. Und ihr zwei Hübschen dürft dann die ganze Woche gemeinsam auf der Logistikmesse bleiben.“, sagte Horst und schwang sich auf seinen Sitz. Der Truck fuhr los. Horst pfiff ein Liedchen zur Radiomusik. Manni schwieg. „Na Manni, da hat´s dir wohl die Sprache verschlagen, was?“, grölte Horst und klopfte Manni freundschaftlich auf die Schulter aus Papier.

Die Lebensrechnerin

Die Lebensrechnerin zählt aufmerksam die Jahre und es entgeht ihr kein einziger Tag dabei. Unermüdlich berechnet sie im Archiv des Krankenhauses das Leben der Nachbarn, der Kollegen und der Patienten und trägt jede noch so kleine Information in ihre persönliche Sterbeliste ein. Selbst Daten, die sie über deren Angehörige im Vorbeigehen aufschnappt, verarbeitet sie am Abend begierig.

Liest sie in der Zeitung vom Ableben eines geschätzten Mitarbeiters oder hört sie in den Krankenhausfluren vom plötzlichen Tod eines Patienten, zuckt sie erschrocken zusammen und irrt durch die neonbeleuchteten Gänge, bis sie glaubt, endlich einen Informanten gefunden zu haben. Sofort beginnt sie, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Dabei vermeidet sie es stets tagespolitische oder gar soziale Ereignisse zu kommentieren. Auch hütet sie sich, mit Mitarbeitern des Personalrates zu sprechen, um nicht in interne Arbeitsrechtsstreitereien oder eine mögliche Kandidatur gebracht zu werden. Stellt sich der Informant ihrer Meinung nach stur, verstrickt sie ihn in konstruierte Fallbesprechungen, neue Therapieverfahren oder unklare Krankheitsbilder. Und nur wenn er nach diesen Versuchen immer noch keine Information hervorbringt, fragt sie nach der Uhrzeit und läuft entsetzt mit wehendem Kittel davon.

Hat sie endlich einen Informanten gefunden, der ihr Details über den Tod des Kollegen oder Patienten geben kann, hört sie ihm mit zusammengekniffenen Augen zu, presst beide Hände an ihre Schläfen, und versucht sich das Portrait des Verstorbenen vorzustellen. Krampfhaft überlegt sie, ob er beim letzten Zusammentreffen bereits an einer Erkrankung litt oder sonstige Anzeichen eines frühen Todes mit sich trug. Ist sie mit den Überlegungen zur Ursache fertig, atmet sie erleichtert aus und öffnet wieder die Augen. Oft fragt sie mit leiser Stimme den Informanten, ob die Todesart häufig vorkomme und was der Verstorbene zur Verhinderung hätte tun können. Beschwichtigt der Informant, dass die Erkrankung selten sei, atmet sie für alle gut hörbar aus und schlendert hüftschwingend, die dicken Krankenakten auf den Kopf tragend durch die Flure. Und es bereitet ihr eine große Freude schon auf dem Stationsgang gedanklich die Anzeige akkurat an der schwarzen Umrandung herauszuschneiden. Nicht selten ertappt sie sich wie ihre Hand die Schneidbewegungen langsam imitiert. Und oft wird sie deswegen von ihren Informanten argwöhnisch beäugt oder daraufhin angesprochen. Gibt hingegen der Informant zu verstehen, dass die Krankheit häufig vorkäme, oder das sie so gut wie nie behandlungsfähig sei, sucht sie fluchtartig die nächste Toilette auf und lässt minutenlang kaltes Wasser über ihre Haare und ihr blasses Gesicht laufen. Und nicht selten passiert es, dass sie von ungläubigen Herren beim Händewaschen angesehen wird oder dass sie ihre Krankenakten auf der Fensterbank zurücklässt.

Kommt die Lebensrechnerin nach einer solchen Nachricht nach Hause, schafft sie es kaum ihre Schuhe auszuziehen. Sie erstellt ohne etwas gegessen oder den Hut abgenommen zu haben in ihrer Straßenkleidung eine ausführliche Kartei mit den Lebensdaten des Verstorbenen. Sie sucht die jeweiligen Tabellen hervor und trägt alle Informationen mit verschiedenen Farben sorgfältig ein. In Fachbüchern vergleicht sie die Diagnose, Therapien und Lebenszahlen, addiert sie mit zitternder Hand und dividiert sie durch die Anzahl der einzelnen Lebenserwartungen. Den Gesamtwert trägt sie hastig und bis auf die zehnte Zahl hinter dem Komma in die Tabelle ein. Häufig wird ihr dabei schwindlig, dass sie erschöpft zu Boden sinkt. Und nur, wenn es ihr gelingt, ihre Lebenserwartung höher als die des Verstorbenen hervorzurechnen, kann sie auf den sonst üblichen Telefonruf des Notarztes verzichten.

Die Lebensrechnerin mag weder Haustiere noch Grünpflanzen. Sie wohnt in einer Wohnung mit stets polierten Parkett und geputzten Fliesen. Freunde empfängt sie selten, da ihr die aufwendige Reinigung nach jedem Besuch zu beschwerlich erscheint. Die Lebensrechnerin isst am liebsten Essen aus der Assiette oder aus dem Einweckglas und verbringt die meiste Zeit mit dem Studium von medizinischer Fachliteratur. In ihren freien Tagen absolviert sie ihre unzähligen Arzttermine. Und Urlaubsorte, die außerhalb Deutschlands liegen, kommen für sie überhaupt nicht infrage. Selbst Feierlichkeiten, zu denen sie manchmal eingeladen wird, verlässt sie prinzipiell noch vor dem Festessen mit der immer gleichen Bemerkung, es gehe ihr heute gar nicht gut.

Bevor die Lebensrechnerin am Abend ins Bett geht, durchdenkt sie nochmals ihre vielen Tabellen. Dabei geht sie gründlich vor, denn sie weiß, all zu oft ist sie wegen einer fehlenden Berechnung in der darauf folgenden Nacht erwacht, hat ihren verschwitzten Körper unruhig auf der klimatisierten Matratze hin und her gewälzt und ist, wenn nötig, aus dem Bett gesprungen und hat hastig die verschobene Berechnung nachgeholt. Und nicht selten ist sie bei dem Zusammentragen der fehlenden Lebenszahlen am Schreibtisch eingeschlafen und am anderen Morgen viel zu spät auf Arbeit erschienen.

Die Lebensrechnerin kennt keine Tagträume. Nachts träumt sie schlecht. In den vielen Albtraumphasen, die sie durchlebt, schreit sie lauthals die Namen aller Krankenschwestern, die dringend eine Kinderfrau für ihre unbeaufsichtigten Sprösslinge suchen, in die Dunkelheit. Selbst bei geschlossenen Fenster sind die langen Namensreihen, die sie bei ihren Stationsbesuchen von den Dienstplänen heimlich fotografiert, noch im benachbarten Viertel zu hören. Und es kommt vor, dass besorgte Bewohner bei ihr klingeln oder die Feuerwehr rufen.

Die Lebensrechnerin geht gern in ihren freien Tagen auf Friedhöfe. Oft nimmt sie die Kinder der Krankenschwestern mit um ihnen die Vergänglichkeit ihres jungen Lebens vor Augen zu führen. Sie spaziert mit ihnen zwischen den Grabreihen hin und her und fordert sie auf, je nach Größe oder Farbe des Steines, die entsprechenden Lebensdaten zu notieren. Anschließend addieren oder dividieren sie die Ergebnisse in ihren Schulheften. Fragen die Kinder, woran die Menschen unter den dunklen Steinen verstorben sind, entsinnt sich die Lebensrechnerin ihrer erfolgreichen Aufführungen im Schultheater und spielt den Kindern ausführlich das Ableben der Verstorbenen vor. Dabei röchelt und jammert sie so laut, dass auch sie selbst in Todesangst gerät. Manchmal beschweren sich vorbeigehende Besucher empört bei ihr oder dem ungläubigen Friedhofspersonal. Und oft wird von den Eltern der Kinder nach solchen langen Spaziergängen erzählt, dass ihre quirligen Sprösslinge in den darauf folgenden Tagen besonders schweigsam gewesen wären.

Die Lebensrechnerin hat viele Fehltage. Oft meldet sie sich früh, kurz vor Dienstbeginn, krank. Auch beklagen sich Ärzte und Verwaltungsmitarbeiter immer wieder, dass einzelne Krankenblätter oder gar ganze Akten für Tage, manchmal sogar Wochen unauffindbar seien.

Der Belieber

Nach dem Aufwachen dreht sich der Belieber auf die Seite seines großen Wasserbettes und betrachtet den Körper, an dem er die Liebesleistung der letzten Nacht vollzogen hat. Vorsichtig streichelt er das schlafende Gesicht, dass sich ein leichtes Lächeln entspinnt. Dabei denkt er mit Genuss an die verschiedenen Gesten, die das Gesicht in der zurückliegenden Nacht hervorgebracht hat. Und es ist ihm eine allmorgendliche Befriedigung, die gesamten Liebeleien noch einmal detailliert in Gedanken zu wiederholen. Ist er mit dem Gedankenspiel fertig, hebt er mit Schwung das seidene Bettzeug über den schlafenden Körper, dreht sich zurück auf den Rücken und betrachtet sich im Deckenspiegel. Er beugt sich über den schlafenden Körper und haucht ihm einen Kuss auf den Nacken. Vergnügt steht er auf und schlendert ins Bad. Vor dem Spiegel streckt er die fast haarlose Brust heraus und versucht, die Verspannung, die er sich regelmäßig in den Nächten zuzieht, mit einer eigens entworfenen Gymnastik zu lösen. Hat er in der zurückliegenden Nacht außerordentlich gewagte oder gar gefährliche Liebestaten vollbracht, stellt er sich am anderen Morgen auf den Kopf und schüttelt seinen Unterleib bis ihm das dicke Gemächt an die Stirn stößt. Anschließend lässt er sich wieder auf den Boden sinken. Zusammengekauert rollt er auf dem Badvorleger auf und ab. Fühlt er sich wieder entspannt, springt er in den blasengebenden Whirlpool, in dem er die Liebesspiele der Nacht für gewöhnlich beginnt. Danach stellt er sich wieder vor den Spiegel und rasiert die Haare von Gesicht und Brust. Zum Schluss massiert er sich die Schläfen.

Ist er mit seiner morgendlichen Toilette fertig, föhnt er seinen Körper trocken und kleidet sich vor dem großen Bücherregal im Flur an. Dabei greift er in die Buchreihen und sucht eine kleine Erzählung, einen bunten Bildband oder einen klugen Ratgeber, der zum Wesen der jeweiligen seiner Liebschaften passt. Hat er das Buch gefunden, zieht er es heraus, greift zu einem der vielen Stapel Seidenpapier und umhüllt es kunstvoll. Er geht zum alten Holzkästchen, holt eines seiner vielen samtbestickten Haarbänder und umbindet das Papier. Anschließend schleicht er ins Schlafzimmer. Behutsam legt er das Büchlein mit einem Kuss und dem ehrlichen Wunsche, dass es seiner Nachtbekanntschaft im weiteren Leben helfen möge, auf das aufgeschüttelte Kopfkissen. Er öffnet die dicke Silberkette, die er Tag und Nacht um seinen Hals trägt und zieht die Schere und den Schlüssel, die ihm beide im allnächtlichen Liebestaumel als Metronom dienen, heraus. Er schneidet den Schlafenden eine Strähne oder Locke vom Kopfe, steckt sie in einen farbigen Briefumschlag und beschriftet diesen. Dabei geht er jedes Mal gleichermaßen vor. Er vermerkt zuerst den Tag, danach die Stunden, die angewandten Liebestechniken, die Sehnsüchte der Beliebten und zum Schluss seinen Zufriedenheitsgrad. Ausgiebig beleckt er danach den Brief, verklebt ihn sorgfältig und legt ihn in sein Archiv in den Wandtresor. Stolz addiert er die Zahlenkombination des Tresors um einen weiteren Nenner, denn nur so bleibt er auf dem aktuellen Stand. Nachdem er den Tresor wieder verschlossen hat, hängt er den Schlüssel und die Schere um den Hals und geht in die Küche zum Kühlschrank. Er greift zu einer der wohltemperierten Flaschen Champagner, öffnet sie leise und füllt deren Inhalt in zwei Gläser. Genüsslich trinkt er das erste Glas auf das Wohlergehen der Bekanntschaft aus. Mit geschickter Hand pflückt er drei Blumen aus den breiten Pflanzkästen, die er eigens für diese Stunden angelegt hat. Die erste Blüte arrangiert er liebevoll in das eingefüllte Champagnerglas, welches für seine Nachtbekanntschaft bestimmt ist. Die zweite platziert er gut sichtbar vor dem Badspiegel. Die dritte steckt er sich in den Mund. Mit der Blüte im Mund kocht er Kaffee, füllt ihn in die Thermoskanne, stellt Butter, Käse, viel frisches Obst auf den Frühstückstisch und das Champagnerglas dazu. Erfreut an dem beginnenden Tag, steckt er die Blüte ins Revers, schließt leise die Wohnungstür und rutscht vergnügt das Treppengeländer hinunter.

Der Belieber erscheint stets gepflegt. Schon auf den Fluren des Krankenhauses grüßt er mit übergroßem Lächeln den verschlafenen Pförtner oder die unsichere Reinigungsfrau.
Der Belieber ist höflich und zuvorkommend. Trotz, dass er seit Monaten auf Station seinen Dienst absolviert, klopft er mehrmals leise an die Tür und wartet, bis die jeweilige Stationsschwester ihr schnoddriges Herein ruft. Er öffnet die Tür einen Spalt weit, schiebt zuerst seinen Kopf, danach den schlanken Hals mit der dicken Silberkette und der Schere und dem Schlüssel hindurch und lächelt in den Raum. Erst danach gibt er der Tür einen kräftigen Schwung und betritt das Aufenthaltszimmer. Mit einer angedeuteten Verbeugung grüßt er zuerst die Stationsschwester und nach ihr dem Range folgend alle weiteren Schwestern. Hat er die Begrüßung artig abgeleistet, begibt er sich an das Ende des Tisches und küsst die ungeduldig wartenden Schwestern oder Pfleger. Zum Schluss gibt er ausgewählten von ihnen einen kräftigen Händedruck, einen kleinen Klaps auf die Schulter oder einen unerwarteten Puffer. Aber auch hier hält er eine unsichtbare Reihenfolge ein, deren Wertfolge nur für Eingeweihte erkennbar ist und erarbeiten werden muss. Hat er die allmorgendliche Prozedur vollzogen, hält er einen klitzekleinen Moment inne und setzt sich auf einen der angeboten Plätze zwischen eine der unglücklichen Schülerinnen oder Schüler. Er öffnet eine Flasche Möhrensaft und trinkt diesen in einem einzigen Zuge aus.

Der Belieber arbeitet korrekt. Ohne zu zaudern führt er die ihm übertragenen Aufgaben aus. Und keine noch so ekelerregende Tätigkeit weist er zurück. Vielmehr kämmt er vorab nochmal sein rotblondes, glattes Haar. Er zieht einen seiner samtbestickten Haarschnüre aus der Hosentasche, die wie zum Zeichen seiner Anwesenheit im gesamten Krankenhaus verstreut liegen und bindet den Zopf zusammen. Allzu gern sammeln arglose Schülerinnen die scheinbar verlorenen samtenen Schnüre als heimliche Souvenirs. Und nicht selten streiten Büroangestellte mit den Reinigungsfrauen teilweise heftig um deren Besitz. Neuerdings hat man auch Schüler die albernen Schnüre aufheben sehen.

Kommt der Belieber am Nachmittag nach Hause, schläft er sich erstmal gründlich aus. Am Abend, wenn die Mitarbeiter in die Stadt gehen, steht er auf, macht Fünfzig Liegestütze, Hundert Seilsprünge und mehrere Serien Hantelheben. Anschließend duscht er seinen Körper mehrmals gründlich ab. Er gönnt seinem Haar eine Heil-und Pflegekur und seinem Gesicht eine Honig-Gurken-Maske. Ist er damit fertig, feilt, lackiert, bürstet und cremt er sich für die Nacht zurecht. Zum Schluss rasiert er sich mit einer Schablone in den Intimbereich ein chinesisches Glückszeichen oder eine indianische Liebesformel, die die Beliebten in der kommenden Nacht beeindrucken sollen. Danach kleidet er sich modisch an und wartet ungeduldig auf seinen allabendlichen Besuch. Unruhig schreitet er auf dem ausgetretenen Parkettboden auf und ab, kneift sich in die zusammen geballten Hände, zieht sich an den Ohren oder kämmt sich wieder und wieder das schulterlange Haar. Erst das kurze Leuten der Klingel lässt ihn von seinen Handbewegungen innehalten und zur Tür hasten. Mit einem entspannenden Lächeln öffnet er sie und genießt die kommenden Stunden.

Der Belieber ist für seine gründliche Körperarbeit weltbekannt. Hat er Liebeshungrige erst einmal in seinem Wasserbett, begreift und beliebt er sie ausgiebig und von allen Seiten kunstvoll und ohne Unterlass. Und keine noch so kleine oder verborgene Stelle bleibt von ihm unbetastet.
Ist der Belieber nach vielen Stunden mit seiner Körperarbeit fertig, massiert und küsst er die erschöpften, säuselt ihnen erotische Formeln in verschiedenen Sprachen in die Ohren und schwingt die seidene Bettwäsche über sie. Sind sie eingeschlafen, steht er unbemerkt auf und reinigt ihre Schuhe oder bürstet ihre Sachen aus. Dabei greift er in die verstreuten Kleidungsstücke und bringt die Geldtasche an sich. Vorsichtig öffnet er die diese und prüft gewissenhaft deren Inhalt. Hat er sich von der Geldmenge überzeugt, steckt er kleine Münzen oder Scheine hinein, damit die Beliebten am anderen Morgen wohlbehalten nach Hause fahren können. Stets achtet er darauf, dass die eingelegten Münzen oder Scheine an genau den Positionen platziert werden, an denen sich gleichwertige befinden. Ist er damit fertig, schiebt er die Geldtasche zurück, legt sich ins Bett, lächelt erschöpft in den großen Deckenspiegel und schläft von der ausgiebigen Arbeit zufrieden ein.

Wann haben Sie zum letzten Mal eine Erfahrung gemacht?

“Wann haben Sie zum letzten Mal eine Erfahrung gemacht?”

Berger zieht die Augenbrauen zusammen. Ein Schweißtropfen schafft den Weg und rinnt Richtung Auge. Der rote Rahmen seiner Brille spaltet Zuckowski optisch den Schädel. Trotzdem schiebt er das breite Gestell langsam wieder Richtung Nasenwurzel. Er verwendet dafür den Mittelfinger der linken Hand. Er hofft, dass ihr Unterbewusstes diese Geste richtig deutet.

“Herr Berger?”

“Am 22. Juni.” Er pustet sich eine Strähne aus dem Gesicht. “Ein Freitag.”

Zuckowski versucht ein gütiges Lächeln und legt den Kopf schief. Ihre blonden glatten Haare biegen sich auf den Schulterpolstern ihres hellblauen Blazers. “Die Frage zielte mehr auf die Art der Erfahrung ab.”

Der von seinen Wimpern gefilterte Schweißtropfen geht im Tränenfilm seines linken Auges auf. Obwohl es brennt, erlaubt er sich nicht zu blinzeln. “Sie haben nach dem Zeitpunkt gefragt.”

Bis auf die große Perle, die an einer silbernen Kette unter ihrem Ohrläppchen wackelt, verharrt sie völlig regungslos. Er findet Perlen pervers. Perlen sind Zysten, hat er gelesen. Muscheln bilden Sie unter größten Anstrengungen, um Fremdkörper unschädlich zu machen. Frau Zuckowski schmückt sich mit Zysten, denkt er.

Das Brennen in seinen Augen wird so stark, dass er sie fest zusammenkneifen muss. Jetzt erlaubt auch sie sich zu zwinkern. “Ist Ihnen warm, Herr Berger?”, ruft sie in betonter Überraschung.

“Am 22. Juni habe ich meinen engsten Geschäftspartner und besten Freund verloren.”

Ihre Lippen formen ein kindliches “Oh!”. Sie hält es, bis sie sicher ist, dass er die Fülle ihrer Lippen gebührend bewundert hat. „Soll ich die Klimaanlage einschalten?”, fragt sie dann.

“Das wird ihn mir nicht zurückbringen.” entgegnet er ohne Zögern.

Sie löst ihre übereinander geschlagenen Beine, erhebt sich, umrundet ihren gewaltigen Schreibtisch und geht an ihm vorüber zum Bedienelement für die Klimaanlage neben der Tür. Er findet es obszön, wie ihre nylonüberzogenen großen Zehen durch die Löcher an den Spitzen ihrer Schuhe luken. Ihrer Aufmerksamkeit für einen Augenblick entkommen, trocknet er sich das Gesicht mit dem Ärmel seines Jacketts.

“Viel besser!” lobt sie sich. Ihr schwarzer Ledersessel seufzt, als sie wieder in ihm Platz nimmt. „Wo waren wir?“

„Er fehlt mir.“ sagt Berger ernst. „Nicht wegen des Geschäfts. Der Laden ist zu. Er fehlt mir als Freund.“

„Das tut mir leid.“ Die Worte sind längst verhallt, aber ihr Kopf nickt noch verständnisvoll. Als sie begreift, dass Berger sie für immer wortlos weiternicken lassen würde, fragt sie: “Gibt es etwas, das Sie aus diesem Verlust mitnehmen können?”

Im Rahmen einer Geste, die sie für ein Lächeln hält, zeigt sie ihm ihre großen weißen Zähne.
Er versteht ihre Drohung und braucht einige Sekunden, sich seiner Furchtlosigkeit zu erinnern.

„Ja.” sagt er dann als hätte er einen spontanen Einfall. „Ich kann daraus lernen, mit künftigen besten Freunden nicht zu vögeln.“ Langsam beugt er sich über den Tisch zu ihr herüber. „Das macht viel kaputt, glauben Sie mir.”

Sie rutscht auf ihrem Stuhl hin und her. “Ich verstehe nicht recht, glaube ich.” Erst als sie zu ihrem metallenen Kugelschreiber greift, den sie vorhin wie einen Strich unter eine Rechnung auf ihre Gesprächsnotizen gelegt hatte, findet sie wieder Halt.

“Nein, sicher nicht.” bestätigt er. „Nur die wenigsten wissen, wie es ist für zwei Männer, von morgens bis abends an einem Projekt zu arbeiten und gemeinsam ein Geschäft aufzubauen. Das schweißt extrem zusammen. Da entwickelt sich aus einer Freundschaft eine Bruderschaft. Wenn man zusammen ist, ist einfach alles gut. Merkt man aber erst, wenn einer fehlt. Man kann sich nicht vorstellen, dass sich das alles in einer einzigen Nacht kaputtvögeln lässt.“ Er lehnt sich zurück und faltet die Hände hinter seinem Kopf. „Ist aber so.”

Sie starrt ihn an, als würde sie ein fremdartiges Insekt untersuchen.

“Es fing einfach an. Eines Tages ist mir aufgefallen, wie gut Matze riecht. Es war heiß in meiner Dachwohnung. Im Sommer ist es immer unerträglich heiß. Wir hatten den ganzen Tag nach einem Fehler im Code gesucht. Als ich ihn irgendwann fand, sprang er auf, kam zu mir herüber und drückte mich. Ich wusste ja, wie er riecht. Aber in diesem Moment war ich wie vom Blitz getroffen. Wie benommen.“

Sie ist wieder zu sich gekommen und schafft es, seinen Vortrag zu durchschneiden, obwohl er schneller spricht, als er denkt. „Herr Berger, was wollen Sie mir damit sagen?“

„Dass Sie ja nicht ahnen, wie sehr man die Macht der eigenen Gedanken unterschätzt!“ ruft er staunend. „Ich habe Matze seitdem als Freund oder Kollegen überhaupt nicht mehr ernst genommen. Ich habe ihn permanent sexualisiert. Plötzlich bemerkte ich die Haare auf seinen Unterarmen. Ich fing an, die Adern auf seinen Handrücken zu mögen. Seine runden, flachen Fingernägel. Heimlich studierte ich die Kontur seiner Brust in seinem offenen Hemd. Die Form seiner Lippen, wenn er darauf herum kaute, um sich besser konzentrieren zu können. Die Muskulatur seiner Schenkel, wenn er sich bückte, um uns Bier aus dem Kühlschrank zu holen. Seinen Arsch. Ich dachte, kucken ist in Ordnung. Er merkt es doch nicht. Kucken tut niemandem weh. Kucken tut gar nichts.“

Mit erhobenem Zeigefinger schiebt er ihre Replik zurück in ihren offenen Mund. Als wären es vier separate Sätze spricht er: „Das stimmt aber nicht.“ Und dann weiter: „Kucken kann total gewaltvoll sein.” Für einige Sekunden zieht er theatralisch die Mundwinkel nach unten, als hinge das Gewicht des letzten Satzes wie Blei an ihnen.

„Herr Berger!“, ruft sie entrüstet aber zu langsam. „Warum erzählen Sie das?“

“Weil Sie gefragt haben.” antwortet er verblüfft. “Sie wollten wissen, was meine letzte Erfahrung war. Bitte sehr, das ist sie.”

“Herr Berger.“ Erneut sucht sie auf ihrem Stuhl nach Haltung. Sie findet die einer Insektenforscherin, die einem 10jährigen erklären muss, warum sie für ihre Arbeit Hummeln tötet. „Mit dieser Frage wollte ich herausfinden, was Ihnen wirklich wichtig ist und wie stabil sie sind.”

“Weiß ich doch.“ antwortet er, als hätte sie versucht, ihm einen misslungenen Witz zu erklären. „Und mit meiner Antwort wollte ich Ihnen vermitteln, dass mir Matze wirklich wichtig war, dass es aber meine Libido war, die mich noch stärker“ er unterbricht, um für den Bruchteil einer Sekunde die Lippen zu schürzen „umtrieb.“

„Das“, sagt sie fest, während sie mit dem Kugelschreiber auf ihn zeigt, „ist Ihnen gelungen, Herr Berger.” „Eindrucksvoll.“ schiebt sie nach, um sich noch ein paar Sekunden Stille zu verschaffen.

„Wollen Sie wissen, wie’s weiterging?”, fragt er vorsichtig, nachdem sie ihre Waffe ratlos hat sinken lassen.

„Ich finde Ihr Verhalten sehr unpassend.” ruft sie, während sie die silberne Oberfläche ihres Kugelschreibers auf Fingerabdrücke zu untersuchen scheint.

„Also ja?”, hakt er freundlich nach.

„Herr Berger, Sie sind eigentlich nicht in der Position hier Fragen zu stellen.” Sie beginnt, den Stift am Saum ihres knielangen Rockes sorgfältig zu polieren.

„Oh!“, er verzieht das Gesicht, als hätte er auf etwas Saures gebissen.“ Das Wort eigentlich sollten Sie eigentlich nicht verwenden.“ Dann flüstert er: „Es untergräbt ihre Position.”

„Es geht hier nicht um meine Position. Es geht um Ihre.”, versucht sie mit fester Stimme.

„Und die würde ich Ihnen gern darlegen.”

Ein Wink mit der flachen Hand, erteilt ihm das Wort. „Bitte.”

Er schnalzt, als er seinen roten Faden wiederfindet. „Ich habe dann angefangen von Matze zu träumen. Also nachts. Also von Sex mit ihm.”

„Herr Berger!” Sie seufzt, lehnt sich zurück und verschränkt die Arme unter ihren großen Brüsten.

„Ich habe angefangen an ihn zu denken, wenn ich wichse.”

„Hören Sie sofort auf damit!” Sie schlägt mit beiden Handflächen auf die Glasplatte ihres Schreibtisches. Er erschrickt und erhöht sein Sprechtempo, als bliebe ihm nicht viel Zeit, alles zu erklären.

„Ich habe gedacht, das ist in Ordnung. Also, weil er davon ja nichts erfährt. Es ist aber nicht in Ordnung! Weil es mein Verhalten ihm gegenüber verändert hat. Es hat mein Verhältnis zu ihm verändert. Er war ein Freund, ein Bruder. Aber durch meine Gedanken wurde er zur Beute für mich. Ich habe ihn angelogen.“

Er schluckt. Sie untersucht mit gleichgültigem Blick die Deckenpaneele.

„Ich wollte ihm gefallen. Bevor er morgens kam, habe ich gebadet und mich rasiert. Manchmal habe ich eine Stunde lang vor meinem Kleiderschrank gestanden. Nebenbei habe ich mir überlegt, welche Geschichten ich ihm in den Arbeitspausen erzählen könnte, ganz beiläufig, um ihn zu beeindrucken. Mir ist überhaupt nicht aufgefallen, wie schäbig das war.” Langsam schüttelt er den Kopf.

„Wieso schäbig?” Die Insektenforscherin ist zurück in ihrem Gesicht.

Über ihr Unverständnis erschrocken sieht er sie ernst an. „Er war doch völlig arglos! Ich war sein Kollege, sein Kumpel! Er hielt mich für locker und aufrichtig. Für ihn war es ein Arbeitstag, für mich war es ein Date. Er kam unbewaffnet. Ich habe alle Register gezogen. Verstehen Sie denn nicht, wie hinterlistig das war?“

„Sie waren verliebt.”, sagte Sie schulterzuckend und mit einem verständigen Grinsen, das ihn ekelt.

„Ach Quatsch.“ Mit einer beiläufigen Handbewegung wischt er ihre Küchenpsychologie beiseite. „Ich war nicht verliebt! Ich habe diesen man vor 10 Jahren im Studium kennengelernt. In allen Beziehungen, die er seither führte, war ich der beste Freund an seiner Seite. Ich weiß, was für ein Kind er ist. Was für ein Ja-Sager. Nach drei Monaten in einer Beziehung mit ihm wäre ich gestorben vor Langeweile. Aber dazu hätte es sowieso erst kommen können, nachdem mir große Brüste und blonde Haare gewachsen wären. Gott, wie hörig Matze gegenüber großen Brüsten ist!“ Er macht einen breiten Mund, als wäre ihm die Herleitung einer komplizierten mathematischen Formel gelungen.

„Ich wollte mit Matze vögeln, das war alles. Einmal mit ihm vögeln. Einmal wissen, wie es ist. Ob es stimmt, was seine Ex-Freundinnen so erzählen. Mir war nicht klar, wie viel das zerstören würde.”

Sie ist auf ihrem Grinsen hängengeblieben. Er befeuchtet ausgiebig seine Lippen. Dann sagt er langsam: „Sie hören ja zu.”, obwohl er „Geht es Ihnen gut?“ meint.

„Ich glaube, dass wir unser Gespräch hier beenden sollten.“ Sie schnaubt ein bisschen, als sie lacht. „Ja, ich denke, ich habe genug gehört.”

„Gut.” sagt er. Seine Anstalten aufzustehen beschränken sich jedoch darauf, die Hände klatschend auf seine Oberschenkel fallen zu lassen.

„Gut.” Sie sammelt seine auf dem Tisch ausgebreiteten Unterlagen zusammen und bildet einen sauberen Stapel, den sie so behutsam wieder vor sich auf die Glasplatte legt, als dürfe dabei kein Geräusch entstehen.

„Herr Berger, warum haben Sie das getan?” Ihr Blick klebt weiter am Titelblatt seiner Bewerbungsmappe.

„Gute Frage!“ lobt er. Mit Daumen und Zeigefinger glättet er seinen Kinnbart. „Die Gelegenheit war günstig und ich packte sie beim Schopfe. Ich bin so. Matze trank immer zu viel, wenn wir mal zusammen aus waren. Aber wir waren nicht oft zusammen aus. Kurz, nachdem Matze diese Frau hier in Dresden kennengelernt hatte, ist er zu ihr gezogen. Programmiert haben wir immer in Leipzig, bei mir. Und wenn wir nach der Arbeit mal noch was trinken wollten, hieß das automatisch, dass Matze bei mir schlafen musste. Das gefiel seiner Freundin nicht. Die hatte sowieso beschlossen, mich nicht zu mögen. Obwohl wir uns nie getroffen haben. Sie hielt unser ganzes Projekt für Zeitverschwendung. Mich eingeschlossen.“

Sie will ihn unterbrechen, kommt aber nicht über lautes Einatmen hinaus.

„Ich weiß, ich verstehe das auch.“, wiegelt Berger ab. „Eine Beziehung zu pflegen braucht eben Zeit! Die gemeinsamen Abende müssen toll sein. Aber unsere gemeinsamen Abende waren auch toll! Wir haben niemanden gebraucht. Wir sind immer in unsere Stammkneipe zwei Straßen weiter und haben Gott und die Welt gerettet. An diesem speziellen Abend hat er mir sein Herz ausgeschüttet, weil er bezweifelte, dass seine Freundin an ihn glaubt. Keine Ahnung. Ich habe ihm einen Doppelten nach dem anderen bestellt. Und als sie um zwei die Musik ausgemacht haben, konnte er nur noch lallen. Da wusste ich: Jetzt oder nie. Torkelnd und grölend sind wir zu mir. Als sei es ein Witz unter Besoffenen, bin ich einfach zu ihm in die Dusche gestiegen.“ Er grinst wie ein schmieriger Gebrauchtwagenverkäufer, bevor er ruft: „Bingo!“

Sie starrt ihn ausdruckslos an. Wegen ihrer großen braunen Augen muss er daran denken, dass Kühe in Indien heilige Tiere sind. Bedrohlich leise sagt sie: „Ich meine nicht–“, sie presst die Lippen aufeinander, „die Sache mit ihrem Freund. Ich meine unser Gespräch. Warum haben Sie es so ruiniert?”

„Ich habe Ihnen nur geantwortet.“ sagte er aus dem niedlichsten seiner Dummerchen-Gesichter.

Sie schließt die Augen und spuckt „Ihr Privatleben interessiert mich nicht.” in die Luft.

„Naja.“, er lächelt versöhnlich. „Sie haben aber andauernd danach gefragt.”

„Mitnichten.”, zischt sie.

Als gäbe es Doppel-Ü ruft er: „Natürlich haben Sie das.“ Dann schaltet er eine Oktave höher. „Andauernd! Wie würden Sie sich als Mensch beschreiben? Was würden Ihre Freunde über Sie sagen? Was sind Ihre drei größten Stärken? Was ihre Schwächen? Sind das wirklich alle Schwächen? Wovor fürchten Sie sich? Was haben Sie in der Zeit getan, in der Sie nicht gearbeitet haben? Was tun Sie zum Ausgleich?”

„Ich muss wissen, mit wem ich es zu tun habe, bevor ich Sie einstelle!” Ihre Hände sind flach nebeneinanderliegend an der Tischplatte festgefroren, was ihn beruhigt, weil sie so keinen Schaden anrichten können.

„Eben.“, schnarrt er, als sei sie schwer von Begriff. „Deshalb muss ich Ihnen ehrlich antworten.“

Als müsse das Adjektiv ganz ohne Vokale auskommen entgegnet sie: „Aber professionell.“

„Professionell ehrlich?“ rätselt er, während sie wieder auftaut.

„Wissen Sie, das Gespräch lief gut.“ Sie überfliegt ihre Notizen, bevor sie „Wirklich gut.“ nachschiebt. „Warum haben Sie dann alles kaputt gemacht?“

„Ich konnte doch nicht wissen, dass es so furchtbar werden würde.“, bat er um Entschuldigung.

„Aber was haben Sie denn erwartet?“, ruft sie, nicht einmal bemüht, ihre Erschöpfung zu verbergen.

„Völlig Unrealistisches, da haben Sie recht.“ gibt er kleinlaut zu. Dann setzt er zur Verteidigung an: „Aber so ist das ja immer mit glühenden Fantasien: Wenn sie Wirklichkeit werden, enden Sie in einer Katastrophe.“

Sie faltet geräuschlos ihre Hände und klemmt Sie sich vors Kinn.

„Naja, oder zumindest in einer Enttäuschung. Ich wusste, was ihn scharf macht. Ich habe mir ja Tausend Mal anhören müssen, was seine Freundin alles eklig findet. Als ich ihn soweit hatte, sind wir rüber ins Bett. Aber mir war überhaupt nicht klar, wie schwer er ist. Ich habe kaum Luft bekommen unter ihm, auch, weil er so fies nach Knoblauch und Alkohol stank. Als ich dann oben war, hat der angefangen zu schniefen, wie ein Walross. Ich dachte, der ist erkältet, oder so, dabei ist der einfach nur tierisch abgegangen. Und als ich gerade richtig in Fahrt war, brüllte der plötzlich wie ein Gorilla. Ich hatte echt Angst, die Nachbarn rufen die Polizei. Dann machte er ein Gesicht als hätte er ‘ne Herzattacke und dann war er fertig. Fertig! Das hat keine zehn Minuten gedauert. Natürlich hatte er sofort keine Lust mehr. Und ich musste mir selbst helfen. Vielleicht kennen sie das.“

„Das reicht, Berger!“ Sie legt ihren Kopf in ihre Hände, als wollte sie sich die Spitzen ihrer Zeigefinger diskret in die Gehörgänge stopfen.

„Das reichte nicht nur, das war einfach zu viel.“, korrigiert er. „Am nächsten Morgen wurde ich von der Wohnungstür geweckt, die krachend ins Schloss fiel. Ich habe Matze nie wieder gesehen. Auch nicht gesprochen. Ich habe hundertmal versucht, ihn zu erreichen. Keine Chance. Er hat nur noch per E-Mail mit mir kommuniziert. Und seitdem das Geschäft abgewickelt ist, antwortet er gar nicht mehr. Der ist einfach zu feige. Das war’s.“

„Korrekt, Herr Berger: Das war’s. Sie gehen jetzt. Den Job haben sie nicht. Sie wollten ihn doch gar nicht wirklich, oder?“ Dann erschrickt sie. „Den Job!“

Berger erhebt sich und zupfte sein Jackett zu Recht. Dann sagt er lächelnd: „Tja also, ich fand’s interessant, dass wir uns kennengelernt haben.“

„Hier sind ihre Unterlagen, Herr Berger. Guten Tag und gute Reise.“

„Vielen Dank, und – sagen Sie schöne Grüße.“

Der Geldbeschneider

Der Geldbeschneider liebt nichts so sehr wie den eigenen Vorteil. An jeder Stelle des Krankenhauses, an der sich eine Möglichkeit ergibt, nutzt er diesen, egal wie gering der Betrag auch für ihn sein mag. Und selbst in den entferntesten Winkeln würde er, wenn sich dort erfolgreich etwas finden ließe, mit aller Macht suchen.

Schon auf der Fahrt ins Krankenhaus, beobachtet der Geldbeschneider mit wachen Augen den Fußboden des Niederflurwagens. Er streckt seinen Kopf unter die Sitzreihen oder schiebt ihn geschmeidig an den Mitfahrenden vorbei, die sich die Neuigkeiten des Tages berichten. Unruhig sucht er nach Gegenständen, die verträumte Gäste liegen gelassen haben. Selbst ein Geldstück, das  an der  Umrandung eines Hosensaumes ruht, findet er zielsicher zwischen den vielen Beinreihen. Hat er es entdeckt, schnappt er es blitzartig beim Aussteigen mit geübtem Handgriff. Und er ärgert sich über den ganzen Tag, wenn er nicht wenigstens eine kleine Kupfermünze am Abend aus einer seiner tiefen Jackentaschen herausnehmen und bestaunen kann.

Der Geldbeschneider kleidet sich stets als letzter in der Umkleidekabine um. Nur so hat er alle Spinde im Blick und kann, wenn möglich, unbeobachtet Dinge an sich bringen, die verschlafene Mitarbeiter in der morgentlichen Hektik achtlos liegen gelassen oder verloren haben.

Kommt der Geldbeschneider zur Dienstbesprechung ins Schwesternzimmer, grüßt er überfreundlich und in die Länge gezogen jeden einzelnen Kollegen. Mit weichem Handgriff umfasst er deren Hände und versucht in der kurzen Zeit des Grußes sich einen Überblick über die umherliegenden Dinge zu verschaffen. Gern verwickelt er Patienten, die zufällig auf dem Flure stehen, in Gespräche, über unerfreuliche Diagnosen oder äußerst riskante Therapien. Dabei versucht er sie soweit zu verwirren, das sie selbstversunken oder völlig verängstigt ihre persönlichen Habseligkeiten auf der Waschkonsole oder dem Fensterbrett zurücklassen. Überdies klagt er häufig bei Patienten, die er auf Umwegen zur Diagnostik fährt, wie schlecht er entlohnt würde. Und nicht selten stecken ihm diese ab und zu ein paar Scheine, scheinbar von ihm unbemerkt, in die Jackentasche. Auf dem Rückweg bleibt er atemringend an der hell erleuchteten Vitrine mit den vielen Hausmitteilungen stehen, schliesst die Augen und lehnt seinen Rücken an die Wand. Hastig zieht er das knisternde Papier heraus, reibt es   zwischen den Händen und versucht mit den Fingerkuppen den Wert des Geldes zu ertasten. Hält er es nicht mehr aus, blinzelt er, presst den Schein gegen das Vitrinenglas und streicht das Papier mit beiden Daumen glatt. Hat er die Banknotenmerkmale gründlich geprüft, haucht er auf den Zahlenwert. Er steckt die lange Zunge heraus und  betupft das Wasserzeichen. Schließlich leckt er den gesamten Schein auf beiden Seiten sorgfältig ab. Das durchfeuchtete Papier faltet er zweimal zusammen und markiert es mit seinem Gebissabdruck. Nachdem er daran gerochen hat, schiebt er den Schein in die kniehohen Karostrümpfe, die er sommer´s wie winter´s trägt. Erschöpft fährt er zurück auf Station.

Der Geldbeschneider lebt von Frau und Kind getrennt. Er wohnt in einem Gartenhaus, das er durch jahrelangen Rechtsstreit den  Miterben abgetrotzt hat. Seine Parzelle pflegt er übergründlich, und holt, wenn es sein muss, selbst in der Nacht noch so manche reife Frucht aus der Beetfurche um sie den Schnäbeln pickender Vögel am darauf folgenden Morgen vorzuenthalten. Möbel hat sich der Geldbeschneider noch nie geleistet. Vielmehr besitzt er, die seiner Meinung nach achtlos auf den Sperrmüll des Krankenhauses geworfenen Dinge. Und Selbst das plastene Geschirr, das über die Jahrzehnte augesondert wurde und noch aus den Gründungsjahren des Krankenhauses stammen soll, hat er  auf seine Weise erworben.

Der Geldbeschneider geht ungern einkaufen. Es macht ihm schon seit Jahren nichts mehr aus, die Reste, die auf Station gesammelt werden, zu einem deftigen Eintopf zu verwerten.

Am Abend, wenn alle Türen fest verriegelt sind, setzt er sich in seinen Rollstuhl oder legt sich in sein Krankenbett und schiebt den Betttisch heran. Er entzündet ein Ewiges Licht, das er aus der Leichenhalle entwendet hat und schließt zufrieden die Augen. Er blinzelt in den rot flackernden Lichtschein und streckt geräuschvoll seinen dürren Körper aus. Wenn er dem Krankenhausseelsorger wieder eine gute Flasche Messwein entwenden konnte, freut er sich besonders. Würdevoll öffnet er die Flasche und lässt den Wein in winzig kleinen Schlucken in eine Schnabeltasse laufen. Er schiebt die Zunge vor und schlürft Tropfen für Tropfen die Flüssigkeit heraus, und leckt, wenn er damit fertig ist, bis in die kleinste Stelle des Becherbodens. Dabei schmatzt er so lautvoll, dass das Geräusch selbst noch am hohen Gartenzaune deutlich zu hören ist. Hat er den Becher ausgeleckt, stellt er das kleine Kofferradio an, kuschelt sich auf die Seite seines Bettes und beginnt zu träumen. Regelmäßig wünscht er sich endlich ohne ein einziges Geldstück im Monat ausgegeben zu haben, leben zu können. Neuerdings stellt er sich immer häufiger vor, wie er einen Schatz in seinem Garten finden würde oder das Lohnbüro ihm bis zum Lebensende versehentlich Chefarztgehälter überwiese.

Der Geldbeschneider arbeitet unauffällig und leise. Patienten und Mitarbeiter beklagen, dass des öfteren Dinge abhanden kämen. Und selbst die Verwaltung kann nur mitteilen, das er seit seiner Ausbildung im Krankenhaus beschäftigt ist.

Würde man den Pförtner nach ihm befragen, würde er mit einer heftigen Handbewegung abwehren, ausspucken und ihn als einen krummen Hund bezeichnen, der freundlich wirres Zeug daherquatsche. Außerdem würde er sagen, dass man bei ihm nicht sicher sein könne, ob er  einen nicht den Arsch unter’m Hintern wegstehle.

Der Geldbeschneider wusste vom ersten Tage an, was er mit seinem Anteil von 23.572 Euro machen würde. Er wollte ihn in Goldbarren anlegen. Und Silvester, wenn alle Kleinstadtbewohner auf dem Platze feiern, wollte er diesen Punkt Mitternacht unter seinem Erdbeerbeet, das er extra der habgierigen Kinder wegen, vor seinem Küchenfenster angelegt hatte, vergraben. Der Geldbeschneider wüsste als einziger Mitarbeiter der Krankenstation, wo und wie er 235.720 Euro sicher vergraben müsste.

Die Allenschenkerin

Die Allenschenkerin schenkt immer und überall. Stets findet sie einen Anlass passende Geschenke zu verteilen. Niemand im Krankenhaus ist vor ihr sicher. Und selbst Fremde können sich der Allmacht ihrer kleinen und großen Aufmerksamkeiten kaum entziehen.

Wochenlang beobachtet sie in den den Schwesternzimmern, den Stationsgängen oder den Umkleideräumen des Krankenhauses in dem sie arbeitet, die zu Beschenkenden und filtert jedes noch so kleine Bedürfnis der Gesprächspartner, die sie intensiv belauscht, heraus. Selbst auf der Toilette, in die sie sich gern heimlich einschließt, erhört sie manchen unbedacht ausgesprochenen Wunsch, den der Belauschte im Selbstgespräch äußert. Nicht selten reinigt sie Betten, Schränke und auch Nachttische übergründlich um sich der Bedürfnisse der dabei abgehörten Gesprächspartner  sicher zu sein.

Hat sie diese endlich erkannt, muss sie sie unbedingt kaufen, und kein noch so großes Hindernis hält sie davon ab. Sie schleicht Tage oder Wochen, manches Mal Jahre um die Zu-Beschenkenden, als wollte sie diese mit einem unsichtbaren Netz aus Fäden umwirken. Unnachgiebig sucht sie nach dem passenden Moment das Geschenk zu überreichen. Glaubt sie den idealen Moment endlich gefunden zu haben, überrascht sie den Verwunderten, stellt sich ihm in den Weg und drückt ihm Zeitschriften und Lexika, plastene Zigarettenetuis und metallene Aschenbecher, oder bunt bedrucktes Geschirr in die Hand. In früheren Jahren, als das Arbeitszimmers ihres Vaters noch voller Bücher stand, verschenkte sie seltene Exemplare zu bestandenen Prüfungen, zu Geburtstags-Weihnacht-und Ostertagen. Selbst den Nationalfeiertag nimmt sie gern als geeigneten Anlass kleine Präsente zu verteilen.

Hat die Allenschenkerin endlich ihr aufwendig verpackte Gabe verschenkt, dreht sie sich schüchtern zur Seite oder senkt den Blick auf den von ihr vorher gründlich gesäuberten Stationsboden. Ungeduldig  wartet sie mit der linken Ferse wippend oder an ihren Ohren ziehend auf eine Reaktion des soeben Beschenkten. Und nicht selten prüft sie, nur um sich von der Wartezeit abzulenken, die weißen Fliesen auf etwaige Putzstreifen. Meist hat sie die Verpackung vorher so kunstvoll gefertigt, dass sie dem Beschenkten auf jeden Fall allein aufgrund der Umpackung eine laute Bewunderung entlocken muss.

Wen allerdings die Allenschenkerin in den Kreis der Beschenkten aufnimmt und welche unsichtbare Verbindung zwischen dem Geschenk, der meist männlichen Adressaten und ihr bestehen, bleibt auch für sie im Dunkel.

Jedoch achtet sie bei jedem so präzise zu schenken, dass eine Ablehnung zwecklos wird. Oftmals lässt sie den Beschenkten erst durch das Geschenk sein unbekanntes Bedürfnis erkennen.

Benötigt die Allenschenkerin ein neues Geschenk, schlendert sie anscheinend ziellos durch die Stadt, verharrt hier und da vor den Auslagen und begibt sich in diese und jene Straße um möglichst alles zu erfassen, was verschenkbar ist. Selbst die kleinste Nebenstraße behält sie im Blick. Dabei denkt sie sich immer und immer wieder mit großer Freude in die Bedürfnisse der zu Beschenkenden hinein. Hat sie sich einen Überblick in Schaufenstern, Warenhäusern und Geschäften verschafft, fühlt sie kaum noch Zeit zwischen den Exponaten und dem verbliebenen Geld abzuwägen. Unruhig umkreist sie mehrmals das zum Kauf ausgewählte Objekt, ohne es jedoch zu berühren. Dabei durchzählt sie geräuschvoll den mitgenommenen Geldbetrag mehrmals auf der flachen Hand, da  sie es als unmöglich ansieht ungekauft nach Hause zu gehen. Spricht eine Verkäuferin sie an, kauft sie hastig das Kaufobjekt oder läuft ohne ersichtlichen Grund verwirrt davon. Selbst in ihren Träumen steht sie oft atemlos in langen, hell beleuchteten Regalreihen und erwirbt, ohne einen Rabatt auszuhandeln, eifrig die Bedürfnisse der Nachbarn, Kollegen oder auch die der Verkäuferinnen selbst. Sehr oft stimmt sie am Ende das Einschlagpapier, Format und Band sorgfältig ab oder tauscht Bedürfnisse  zurück und erhält von allen ein dankbares Lächeln. Zum Schluss stellt sie in ihren Träumen eine Rangfolge der einzelnen Personen auf, die sie in den nächsten Tagen mit ihren Aufmerksamkeiten beschenkt. In winzigen Druckbuchstaben schreibt sie die Namen, die in den letzten Wochen ihren Fleiß am häufigsten bemerkten und lobten auf ein kariertes Blatt. Nur nach einer solchen Nacht fühlt sie sich am Morgen ungewohnt wohl und würde, wenn sie endlich den Mut aufbrächte, Selbsterzählend im Bett liegen bleiben und gern für diesen Tag ihre Arbeit im Krankenhaus vernachlässigen.

Die Allenschenkerin lebt allein. Sie wohnt in einem Zimmer mit Schlafnische, die ihre Mutter  sorgfältig vor Jahren einrichtete. Die Allenschenkerin isst am liebsten Nudeln ohne Soße und verbringt ihre freien Tage in den Haupt-und Nebenstraßen ihres Wohnanlage. In Urlaubsorte ist sie noch nie gefahren und Feierlichkeiten, die außerhalb ihrer Häuserzeile stattfinden, lehnt sie prinzipiell ab. Die wenigen Nachrichten, die sie an sich heranlässt, entnimmt sie, seit sie auch den Fernseher verschenkt hatte, den Überschriften von Wurfsendungen oder den Gesprächen der Straßenbahnfahrgäste.

Am Abend, wenn sie das Restgeld des Tages exakt abgezählt hat, faltet sie die dünne Silberkette, die sie seit ihrer Konfirmation jeden Tag trägt, nach einem ganz bestimmten Muster auf dem Fensterbrett zusammen. Manchmal bleibt sie auch am Fenster stehen und spielt mit den großen, schweren Schmuckstücken ihrer verstorbenen Mutter, die sie aus einer unerklärlichen Abneigung nie benutzt. Und nur Selten schaut sie, den schweren Schmuck in den Händen haltend, den Pärchen auf der Straße lange nach. An solchen Abenden schüttelt sie kräftig ihre vielen Kopfkissen, legt sich seufzend in ihr Jugendbett, faltet die Hände zum Gebet und bemüht sich vergebens die Schafreihe laut bis Hundert zu zählen. Selten gelingt es ihr in diesem Moment den unangenehmen Gedanken an die fällige Kreditrate zu vergessen

Die Allenschenkerin arbeitet fehlerfrei. Entschuldigte oder gar unentschuldigte Tage gab es bei ihr nie. Auch hat sie keinem Patienten jemals einen Anlass zu einer Beschwerde gegeben. Selbst der Pförtner, den sie fast 40 Jahre höflich grüßt, könnte nichts Nachteiliges berichten. Würde man ihn nach ihr fragen, fiele es ihm schwer, trotz der Blumen, die sie ihm täglich wortlos ins Sichtfenster stellt, die Allenschenkerin zu beschreiben.

Die Allenschenkerin kann mir immer noch nicht genau sagen, was sie mit ihrem Anteil von 23.572 Euro machen wollte. Möglicherweise hätte sie damit einen ihre vielen Kredite beglichen.

Das Mädchen aus der Fremde

Niemand wusste, wo sie herkam. Sie ging die Straßen des Dorfes entlang, als würde sie schon immer auf ihnen wandeln. Jede Gasse, jedes Schild, jeder Stein, jedes Haus, nichts schien ihr fremd zu sein, kein Baum und kein Mensch. Ihr Kleid flatterte im Wind und der Saum umspielte ihre Knie. Sie setzte behutsam einen Fuß vor den anderen. Sie trug keine Schuhe und lief doch nicht zu langsam. Ihre langen, weißen Arme schlenkerten neben ihrem schmalen Oberkörper hin und her. Den kleinen Lederkoffer, den sie bei sich hatte, trug sie einmal in der linken, einmal in der rechten Hand. Der große Filzhut saß scheinbar zur Zierde auf ihrem gelockten Schopfe. Alle paar Minuten rückte sie ihn zurecht und zog ihn sich noch tiefer ins Gesicht. Ihre Augen waren so grün wie der Hut.

Die Leute hatten sich viel zu erzählen. Ein jeder wusste etwas anderes zu berichten. Sie wäre fortgelaufen vor dem Krieg, sie wäre fortgelaufen vor der Armut, sie wäre fortgelaufen vor der prügelnden Mutter. Sie hätte kein Geld für neue Schuhe, sie wäre ein trotziges Mädchen, das ihre Eltern nur grämen wolle, sie hätte noch nie Schuhe getragen. Sie suche ihren Vater bei ihnen, sie suche ihr Glück, sie suche sich selbst.

Die Leute wunderten sich. Sie war höflich. Immer gerade so, um anderen gegenüber nicht ablehnend zu sein, und immer gerade so, dass niemand ihr freundschaftliche Empfindungen hätte entgegenbringen können. Und auch sonst war es, als nähme sie von allem das rechte Maß. Es war als bräuchte sie keinen Schlaf und es war als hätte sie keinen Hunger. Niemand sah sie je lachen und niemand sie weinen.

Jeden Morgen lief sie durch das Gewirr der Gassen und kam immer auf verschiedensten Wegen, punkt zwölf, wenn die Kirchenglocke schlug und die Sonne am höchsten stand, unter einem alten Eichenbaum zum Sitzen. Dieser Baum stand auf einem unbewirtschafteten Feld und hätten die Kinder sie vom alten Forststand im nebenanliegenden Wald nicht entdeckt, wüsste es niemand, dass sie hier täglich eintraf. Sie setzte sich unter die beschützende Baumkrone auf ihren kleinen Koffer, den sie stets mit sich führte und über den die Leute im Dorf munkelten, dass sie ihn auch im Schlaf immer dabei habe, weil sie ihn dann anstelle des Kopfkissens benutzen würde. Sobald sie es sich auf dem Koffer bequem gemacht hatte, sang sie. Aber sie sang nicht so, wie jeder im Dorf hätte singen können. Sie sang ganz außergewöhnlich. Niemand hatte bisher so eine Stimme vernommen und nicht nur die Kinder waren entzückt darüber, sondern auch die Bewohner des Dorfes lauschten andächtig der fremden Melodie, wenn der Wind sie zu ihnen trug. Bis zum Untergang der Sonne konnte man sie noch singen hören.

Und so kam es, dass ein jeder auf sie wartete. Ein jeder wartete Tag für Tag auf das Mädchen. Niemand hätte es vor dem Anderen zugegeben, aber jeder wartete auf das Mädchen, das immer barfuß ging, auf das Mädchen mit dem kleinen Koffer in der Hand. Ein jeder wartete punkt zwölf auf ihren Gesang unter dem alten Eichenbaum.

Und wie verstört waren die Leute im Dorf, als eines Tages ihre Stimme ausblieb. Alle stürmten aus ihren Häusern. Die Kinder rannten vorneweg, die Männer kamen mit den Gewehren hinterdrein, die Frauen schluchzten in ihre umhäkelten Taschentücher. Niemand wusste, wo sie hingegangen war.

Die Eismutter (II/II)

Sie schleicht vorsichtig in die Küche. Den warmen, kleinen Körper hält sie fest umschlungen in den Händen. Sie schaut in den Abfalleimer. Den hat sie heute vergessen. Sie setzt sich auf einen Stuhl und weint. Dann trägt sie den Körper ins Wohnzimmer. Danach wieder in die Küche. Vor der Gefriertruhe bleibt sie ruckartig stehen. Sie legt ihn mechanisch hinein. Den Einkauf packt sie obendrauf.

Erschöpft legt sie sich neben ihren Mann ins Bett. Er schläft geräuschvoll. Sie schiebt ihn sanft auf die Seite und flüstert: „Es ist alles wieder in Ordnung!“ Danach dreht sie sich auf die andere Seite zur Wand. Das ist ihre Lieblingsseite. Dort hängt ihr Hochzeitbild. Sie schaut es jeden Abend an bevor sie einschläft. Auch heute schaut sie in ihr umkränztes Lächeln und schließt schnell die Augen. Sie weiß, daß sie ihre Familie gerettet hat. Sie weiß, dass sie eine gute Mutter ist, und eine gute Ehefrau auch! Sollen doch die Leute im Dorf reden. Die reden über jeden. Sie weiß, das sie nie wieder schwanger werden wird!

Sie spielt mit dem Großen. Manchmal trägt sie ihn Huckepack zum verlassenen Spielplatz. Sie mag es, wenn er sie in die Nase kneift. Dann zeigt sie der Kleinen wie das geht und spricht mit ihr in der Kindersprache.

Sie ist 22. Und sie ist wieder schwanger. Das Andere liegt noch in der Truhe. Sie hat es nicht vergraben. Manchmal arbeitet er im Garten. Sie hat Angst in den Wald zu gehen, dort könnte sie jemand beobachten. Dann wäre es mit ihren Kindern vorbei, und der Ehe auch. Sie weiß, in der Küche wird es sicher sein. Sie legt das Neue einfach hinzu. Und die Leute tratschen wieder im Dorf, sie würde ihre Babys für viel Geld verkaufen. Und sie, sie hofft dass sie nie, nie wieder schwanger wird. Das hat sie sich dieses Mal ganz fest vorgenommen.

Und wieder kniet sie im Bad. Und wieder unter ihr die blutbefleckten Fliesen. Und wieder geht sie in die Küche. Sie öffnet die Gefriertruhe und sortiert zwei Einkaufsbeutel. Den leblosen Körper packt sie einfach dazu. Danach legt sie sich wieder auf ihre Seite neben ihren Mann ins Bett. Sie zieht wieder die Decke weit über den Kopf. Sie schließt die Augen und versucht zu schlafen. Nachdenken kann sie schon lange nicht mehr. Sie hat aufgegeben, nach einer Lösung zu suchen.

Sie steht am Fenster und blickt auf den Hof. Sie zündet eine Zigarette an. Der Große durfte heute anrufen. Die Großeltern haben es ihm erlaubt. Er hat gefragt, ob man da gar nichts machen kann. Sie hatte geschwiegen. Dann hat er gesagt: „Ich hab dich lieb, ganz doll lieb!“ und aufgelegt. 15 Jahre hat der Richter gemeint. 15 Jahre! Warum sie keine Pille nahm. Und warum sie niemanden davon erzählt habe. Und warum sie keine Hilfe geholt habe. Und ob sie sich bewußt wäre, dass das Töten von 3 Kindern ein Verbrechen darstelle. Sicherlich, richtig war es nicht, das mit den anderen, aber ein Verbrechen. Nein, das versteht der Richter nicht, denkt sie. Alle haben auf einmal so viele Fragen. Im Fernsehen kommen Sondersendungen, nur über sie. Die Leute im Dorf sind entsetzt. Die schütteln die Köpfe und antworten in die Kameras, dass sie immer so nett zu den Kindern war. Alle nennen sie nur: „Die Eismutter“. In der Hand hält sie ihre Zeitung. Auch die nennt sie nur “Die Eismutter“ und zeigt sie auf Bildern, wie sie tanzt und lacht, obwohl die Kinder schon lange tot sind.
Sie schließt das Fenster. Mechanisch blättert sie die Fernsehkanäle durch. Danach schaltet sie den Fernseher aus. Sie setzt sich an den Tisch und spielt wortlos mit ihren Händen. Das Telefonat beunruhigt sie jetzt. Sie drückt nach einem lautem Atemzug die Zigarette aus. Die unbenutzte Zeitung wirft sie in den Mülleimer. Sie schaut auf das Foto an der Wand und löscht das Zellenlicht. Sie legt sich in ihr Bett. Die Decke zieht sie weit über den Kopf.
23, ist sie jetzt.

Die Eismutter (I/II)

Sie ist 10. Ihr Bruder wurde geboren. Die Eltern freuen sich und haben weniger Zeit.

Sie ist jetzt immer so traurig. Die Tage sind irgendwie anders, nicht mehr wie früher. Das Spielzeug läßt sie oft liegen. Sie kann nicht schlafen und sie hat Angst sie könnte vergessen werden. Manchmal ist sie verzweifelt.

Ihre Eltern sind stolz auf ihren Bruder. Er sitzt auf Muttis Schoß. Er lacht und schmatzt und knetet Muttis Nase. Vati zieht dabei Grimassen. Auch er lacht und spricht mit ihm in der Kindersprache. Sie will auch gestreichelt werden und streckt ihre Arme weit hoch, zu den Eltern, so wie früher.

Die Eltern sind fleißige Leute. Das wissen alle im Dorf. Immer öfter kommen die Eltern zu anderen Zeiten nach Hause, manchmal ganz spät. Abendbrot isst sie entweder mit Vati oder Mutti, manchmal auch allein. Dann muß alles schnell gehen und es wird auch nicht mehr so viel erzählt. Das fehlt ihr besonders. Deswegen unterhält sie sich oft mit ihren Händen. Und wenn sie im Bett liegt und ihre Hausaufgaben vergessen hat, schimpfen die Eltern viel. Mutti holt sie aus dem Bett und sie muß die Aufgaben erledigen. Das passiert oft. Wenn das geschieht, schleicht sie heimlich in die Küche und isst das ganze Nutella auf. Das gibt es seit neuesten im Konsum.

Sie ist 13. Sie hat immer mehr Probleme den Lehrer zu verstehen. Sie ist müde und hat Kopfschmerzen. Irgendwie fehlt ihr Kraft dem Lehrer zu antworten. Sie behält die Antworten einfach für sich: in solchen Momenten packt sie wortlos die Einträge und schlechten Zensuren in ihren Ranzen und zeigt sie ihren Eltern, abends vor dem Fernseher. Wenn sie Stubenarrest bekommt versucht sie besonders lieb zu sein. Und auch in der Schule gibt sie sich besonders viel Mühe. Doch dann, dann ist alles so wie vorher. Sie geht wortlos in ihr Zimmer und legt sich auf ihr Bett und zieht die Decke über den Kopf: Sie träumt, wie ihr schwarzes Haar im Wind weht, wie sie ertrinkt und hofft das alle Kinder und auch die Eltern traurig sind. Sie träumt wie Mich Bucannon sie aus dem Wasser trägt, wie sie sich an ihn schmiegt, wie er sie anlächelt und sanft umarmt. Sie spürt wie er in ihr Ohr flüstert. Bei diesem Gedanken drückt sie immer die Hände fest vor die Augen. Und gemeinsam laufen sie am Strand entlang bis die Sonne untergeht. Sie denkt viel an ihn, manchmal auch nachts, bis sie endlich wieder einschlafen kann. Gemeinsam fährt sie mit Michael Knight und KITT davon, ganz schnell: vorbei am Haus der Eltern mit dem Garten und dem kleinen Bruder der darin spielt, vorbei an der Schule mit den Lehrern und den Schülern die erstaunt ihr zuwinken. Und wenn sie aufwacht, dann ist sie irgendwie vergnügt.

Sie ist 17. Und sie ist glücklich! Er schaut sie an. Dann spricht er mit ihr. Sie sieht wie er ruhig und sicher sein Bier trinkt. Sie findet es gut, wie er raucht und wie er mit seinen starken Armen den Kellner zu sich herüberwinkt. Sie lächelt. Er lächelt. Sie tanzt mit ihm fast alle Lieder an diesem Abend. Er umarmt sie, er küßt sie, er umfasst sie, ganz fest. Dann flüstert er ihr ins Ohr. Sie versteht ihn nicht. Er zieht sie vom Festzelt weg, zieht sie hinter sich her, hinter das Schulgebäude, hinter den Appellplatz, zu den Bänken, neben die Mülleimer.

Sie hat ihn gefunden. Sie ist ganz aufgeregt. Die Nächte sind nicht mehr wie früher. Sie kann nicht schlafen. Das stört sie jetzt nicht mehr. Er hat es ihr gleich am ersten Tag gesagt, das mit der Liebe.

Sie ist 18. Und sie ist schwanger. Das ging alles so schnell. Sie hat das ja nur ganz selten gemacht, das hinter dem Appellplatz an den Mülleimern. Die Ausbildung will sie beenden. Sie braucht viel Zeit für das Kind. Sie will heiraten. Ihre Eltern sind dagegen. Die wollen ihren Freund nicht. Das Ungeborene, das auch nicht. Und sie, sie will ihn nicht verlieren. Er gehört ihr, ihr ganz allein. Sie liebt ihn, und seinen silbernen Lastwagen auch.

Sie ist 19. Sie heiratet. Ihre Ausbildung bricht sie ab. Zuviel hat sie mit dem Kind zu tun. Sie streichelt es liebevoll und sie spricht mit ihm liebevoll in der Kindersprache. Ihr Mann hat wenig Zeit. Er muss viel arbeiten. Er ist fleißig. Das wissen alle Leute im Dorf. Und wenn er da ist, geht er manchmal zur Feuerwehr ein Bier trinken. Das geht in Ordnung. Andere Männer machen das auch.

Sie ist 20. Sie wird wieder schwanger. Auch dieses Mal ging alles sehr schnell. Sie mag es wenn der Große sie in die Nase kneift. Dann spricht sie mit ihm in der Kindersprache. Der Mann fährt immer noch einen Lastwagen, jetzt einen blau-weißen. Und wenn er wie immer sein Bier trinkt, geht das fast immer in Ordnung. Nur manchmal, wenn er mit seinen starken Armen sie sehr fest hält, ist sie traurig. Danach bringt er ihr viele Blumen mit und spricht mit ihr. Und zärtlich ist er auch, nachts, meistens jedenfalls. In solchen Momenten ist es wunderbar schön! Er liebt sie. Sie weiß es genau.

Sie ist 21. Sie erinnert sich an den Großvater. Er hat vom Klapperstorch erzählt, wenn eine Familie im Dorf ein Kind bekam. Daran muss sie jetzt denken. Und an die Hände die er ihr immer so lieb in die Haare schob, bis sie kicherte, auch. Und dann, dann war er einfach tot, obwohl er sagte: „bis Samstag, Kleine!“ Und auch die Hände waren weg. Das ist lange her. Sie streichelt sich über den Bauch. Das Kind soll seinen Namen bekommen.

Sie ist ganz aufgeregt. Abends vorm Fernseher will sie es ihm sagen. Sie stellt ausreichend Bier in den Kühlschrank und kocht eine doppelte Potion von seinem Lieblingsgericht. Und er, er wird plötzlich laut, schreit sie an. Erst will er sie und dann die Kinder „alle machen“. Er steht auf und geht sein Bier woanders trinken. Sie weiß was danach passiert.

Sie sitzt am Küchentisch und malt Kreise auf die Decke. Sie weiß, dass Männer so etwas tun, überlegt sie. Sie hat es im Fernsehen gesehen. Die bringen so etwas immer in den Nachrichten. Auch in ihrer Zeitung sieht sie die Mütter mit den Kindern lachen, obwohl sie doch schon tot sind. Die Kinder, denkt sie, die können doch gar nichts dafür. Und warum nur machen Männer so etwas? Sie weiß nicht mit wem sie reden soll. Sie weiß nicht, was sie fragen soll, wo er sie doch liebt, sie und die Kinder auch. Sie ist verzweifelt. Und gegen das Gefühl von früher kann sie einfach nichts machen.

Die Eltern kommen die Enkel besuchen wenn er nicht da ist, sonst gibt es zuviel Streit. An solchen Abenden hören die Nachbarn die Streitereien, und die anderen Dinge auch. Das will sie nicht. Mit ihnen kann sie nicht reden, überlegt sie. Die Kinder leben auf dieser Erde. Das andere, das nicht. Die Kinder sprechen mit ihr in der Kindersprache. Das andere, das nicht. Sie kann sich ihr Leben ohne ihren Mann und ohne ihre Kinder einfach nicht vorstellen. Was wissen die Nachbarn schon von ihr. Die reden über jeden.

Sie ist 21. Es ist Nacht. Der Mann war Bier trinken. Heute hat er ihr nichts getan. Die Kinder hat sie zeitiger ins Bett gebracht. Sie liegt im Bad auf den weißen, kalten Fliesen; neben ihr die Nachgeburt. Es muß alles schnell gehen, denkt sie. In der Hand hält sie den Körper; die Nabelschnur fest um den Hals. Es ist kalt. So viel Blut. Sie muss das alles wegwischen. Sie friert. Und sie ist müde. Jetzt darf keiner ins Bad kommen. Und wohin mit dem Kind, überlegt sie. Sie schaut in den Wäschekorb. Weg von der Erde hat er gemeint. Sie ist zu kraftlos um noch weiter suchen zu können, um noch graben zu können.

(Fortsetzung folgt am 25.Nov. um 10 Uhr.)