Unter dir (Teil III)

Im ersten Teil legt sich die Freundin (wie jede Nacht) unter sein Bett und wartet, dass die Nachtschwester ihren Rundgang durch die Zimmer unternimmt. Diese Zeit nutzt sie, um über diese und andere Krankenschwester und ihre Mühen, unter das Bett zu gelangen, nachzudenken.

Im zweiten Teil „beschäftigt“ sie sich mit ihrem Freund, der im Bett liegt und „bereitet“ ihn für das „Ereignis “ vor, wobei sie (wie auch im folgenden Teil) von der Nachtschwester gestört wird.

Ich lege mein Ohr auf deinen Körper, höre dein Herz schlagen und schließe zufrieden die Augen. Ich zähle laut deine Herzschläge und wiederhole jeden einzelnen mit meinen Fingerkuppen auf deiner Wange. Im Rhythmus deines Herzens puste ich auf deine Brustwarzen, bis ich spüre, dass sie hart werden. Weil mir das Gepuste zu anstrengend wird und weil ich auch weiß, dass es dir als Linkshänder wichtig war, schiebe ich vorsichtig meine Zungenspitze heraus und betupfe zuerst deine linke und danach deine rechte Brustwarze. Als ich keine Lust mehr darauf habe, gebe ich dir einen Schmatzer auf dein glatt rasiertes Babygesicht und sage, dass ich ganz genau weiß, dass du mich wahnsinnig liebst und ich auch heute wieder deine versteckte Morse-Botschaft aus deinem Herzschlag herausgehört habe. Ich streichle zwischen deinen Brustwarzen über den ovalen Leberfleck, sehe dich an und flüstere „Schokopudding mit Vanille“.
Plötzlich höre ich Schlüsselgeklapper auf dem Flur. Ich fluche, ob das jetzt unbedingt sein muss und bin der Schwester wieder dankbar, dass sie mit ihrem Geklapper meilenweit zu hören ist und mir somit ausreichend Zeit gibt, mich schnell unter dein Bett zu verkrümeln. Nur bei dieser Schwester kann ich mich auf die Uhrzeit verlassen und auf ihr pünktliches Schlüsselgeklapper. Meiner Meinung nach ist sie die lauteste, aber auch die zuverlässigste aller Schwestern. Ich ziehe dein Hemd zurecht, lege die Bettdecke glatt, gebe dir einen Klaps auf die Wange, rolle mich unter das Bett und überlege, ob ich ihr nicht ein Glöckchen für das Schlüsselbund wichteln sollte. Meinen Rücken schiebe ich so lange auf dem gebohnerten Boden zurecht, bis ich die passende Position unter deinem Körper gefunden habe. Denn nur so habe ich ein Gefühl dafür, ob das, was die Schwestern mit dir tun, auch wirklich gut für uns beide ist. Wenn ich hier unten liegend die leise Vermutung bekomme, dass mich die pflegerische Anordnung stört, mache ich sie, wenn die Schwester gegangen ist, sofort rückgängig. Bei ihr hatte ich jedoch noch nie Bedenken und weiß, dass sie alle ärztlichen Verordnungen gewissenhaft ausführt. Vor ein paar Wochen wollte ich sie sogar loben. Aber dann hatte ich Angst, sie könnten sie zur Stationsschwester ausbilden und dann hätte ich keine pünktlich klappernde Schwester mehr gehabt. Bei den anderen Schwestern habe ich manchmal meine Schwierigkeiten, rechtzeitig unter das verflixte Bett zu kommen. Und das geht dann meist nicht ohne blaue Flecken und Schrammen. Es gibt Nächte, die knapp an der Katastrophe vorbei gehen und am nächsten Tag sehe ich zerkratzt aus und meine Kleidung ist eingerissen oder an einem meiner hohen Schuhe fehlt der Absatz.

Ich lausche. Wie üblich erklärt sie dir alle Handgriffe bis ins Detail. Übertrieben laut erläutert sie dir, welche medizinische Verordnungen sie machen muss und warum, und fragt immerzu, ob du damit einverstanden bist. Du bist doch nicht schwerhörig. Ständig habe ich das Gefühl, dass die hier alle Selbstgespräche führen. Bei einigen Schwestern habe ich sogar Mühe, nicht lachen zu müssen. Im Allgemeinen finde ich ihre Erklärungen aber wichtig. Nur manchmal, wenn die Schwestern zu persönlich werden, wenn sie, irgendetwas von Schatz, Liebling, oder schöner Mann faseln, wenn sie beim Waschen meinen, dass sie dich nicht von der Bettkante stoßen würden, dann werde ich fuchsteufelswild und muss mir vor Wut in die Hand beißen. Am liebsten würde ich in diesen Momenten hervorkriechen und alle ordentlich verdreschen. Diese Schwester hingegen hielt sich von Anfang an mit solcherlei Sprüchen zurück. Trotzdem oder vielleicht deswegen muss ich auch bei ihr höllisch aufpassen.

Sie geht zur Tür, dreht sich zu dir um, haucht dir einen ihrer Luftküsse entgegen und löscht das Licht. Langsam schiebe ich mich unter dem Bett hervor, krame im Dunkeln die Taschenlampe aus der Tasche, knipse sie an und kontrolliere, ob sie die von ihr aufgezählten Verordnungen richtig ausgeführt hat. Einige der Schwestern sind nämlich unzuverlässig, um nicht zu sagen schlampig. Auch diese Schwester arbeitet an manchen Tagen ungenau. Damit ich die Schwestern überprüfen kann, habe ich mir Fachbücher gekauft und lese, wenn meine meckernde Chefin nicht da ist, stundenlang im Internet und arbeite alle über Nacht angestauten medizinischen Problemfälle, die dich betreffen, in Foren nach und nach ab. Mit der Zeit kenne ich die Foren und kann sehr gut mitdiskutieren. Und werden neue Heilmethoden besprochen, flechte ich sie beharrlich in die Arztgespräche, die ich einmal pro Woche führe, ein. Einer der Assistenzärzte hat doch wirklich mal gedacht, ich sei Medizinstudentin. Und nur wenn ich früher überhaupt nicht weiter wusste, ging ich zu meinem Hausarzt und gab die Beschwerden an, die mich interessierten. Den Termin beim Psychologen nahm ich aber nur einmal war. Seitdem wechsle ich die Fachärzte nach deinen jeweiligen Beschwerdegruppen. Mein Lieber, es gibt Tage, da überlege ich, ob ich meine Arbeit für dich hinschmeiße und ein Medizinstudium beginnen sollte. Spätestens seitdem mein Chef gegen eine Chefin ausgetauscht wurde, denke ich fast täglich diesen wunderschönen Gedanken. Dann könnte ich nach dem Studium ganz offiziell bei dir arbeiten und den Schwestern jede Menge Anweisungen in einem wehenden weißen Kittel erteilen. Leider habe ich aber nicht die Superabiturnoten wie du dafür. Vielleicht sollte ich dein Zeugnis fälschen und meinen Namen eintragen. Dann bekäme ich auf jeden Fall den Studienplatz, den du partout nicht wolltest. Du weißt, für dich mache ich alles.

Damit du mich gut sehen kannst, hebe ich dein Kopfende nach oben. Ich lege die Taschenlampe auf den Nachttisch, stelle mich in die Mitte des Lichtkegels, beuge mich zu dir und zu deinen beiden Mitpatienten und applaudiere. Ich strecke die Arme zur Zimmerecke, lasse sie langsam auf meinen Busen sinken und knöpfe die Bluse auf. Vorsichtig löse ich die Schnallen der Glitzerschuhe und sammle die Schuhe mit dem Mund auf. Da meine tollen Glitzerschuhe im Taschenlampenlicht blenden, kneife ich die Augen zu und versuche die schweren Dinger blind auf dein Bett zu zielen. Nachdem ich das geschafft habe, öffne ich meine Hose mit dem Ringelmuster, die ich bei unserem ersten Kennenlernen anhatte und die du von jeher so furchtbar gefunden hattest. Ich beuge mich nach vorn, ziehe sie herunter und schieße das Ringelding mit dem großen Zeh im hohen Bogen zu dir hinüber. Mit den Füßen ziehe ich abwechselnd meine Socken aus, sammele auch sie mit dem Mund auf, hänge sie mir über meine beiden Ohren und schüttle den Kopf, bis sie runterfallen. Ich hebe sie auf, knülle sie zusammen und werfe sie dir genau ins Gesicht. Weil ich dich getroffen habe, strecke ich meine Arme aus und schlage ein Rad. Ich gehe an dein Bett und ziehe endlich meine Bluse aus und lege alle Kleidungsstücke, die du noch nie an mir gemocht hattest, auf deiner Bettdecke aus, als hättest du sie allesamt an. Ich zupfe die Klamotten faltenfrei und flüstere dir ins Ohr, dass du ein tolles Mädchen in den klamotten abgeben würdest. Ich richte die Taschenlampe auf dein Bett, hole mein Handy mit dem neuen Kameratyp und der Videofunktion und mache Fotos von dir und den Klamotten. Ich schiebe die Lampe zurück, tipple auf meinen Zehenspitzen in den Lichtkegel, lächle euch drei stummen Zuschauern zu, drehe mich einmal um die eigene Achse, öffne mein hochgestecktes Haar und halte es für euch ins Licht. Wie wild schüttle ich es auseinander und sehe durch die Strähnen zu euch hindurch. Mit beiden Händen umfasse ich zwei Haarbüschel und winke dir zu. Ich verbeuge mich vor euch, schlage, weil es mir vorhin so gut gefallen hat und weil ich merke, dass ich davon endlich wach werde, noch einmal ein Rad und komme vor deinem Bettgiebel zum Stehen. Ich umwickele das glänzende Metall mit meinen langen Haaren und sage dir, dass ich die völlig durchgeknallte Rapunzel aus einem deiner unzähligen geliebten Märchenbücher bin, und dass ich dich jetzt mitnehmen will. Ich sage dir, dass ich vorher aber noch meinen Prinzen vernaschen muss. Plötzlich höre ich ein Alarmsignal aus einem deiner vielen Geräte. Ich schnappe die Bluse, die Hose, die Socken, die Schuhe von der Bettdecke, greife mir die Taschenlampe und rolle mich unter das Bett. Dabei stoße ich mich zuerst am Fuß und dann an der Schulter, dass die frisch verheilte Schürfwunde wieder aufplatzt. Die Tür geht auf und die Schwester kommt ohne zu klappern ins Zimmer gerannt. Sie macht Licht, hantiert an den Geräten, streichelt über dein Haar und fragt, was heute mit dir los ist. Sie sieht zum Katheterbeutel und sagt zu den anderen Patienten, dass dein Urin verdächtig trübe aussieht, sie einen Harnwegsinfekt vermutet und dass sie das nach dem Wochenende unbedingt dem Stationsarzt vorstellen wird. Muss der Infekt heute sein, denke ich und spüre einen stechenden Schmerz im Fuß und in der Schulter. Zu gern würde ich ihr zurufen, dass ich verblute und auch mal dringend einen Arzt bräuchte. dabei spüre ich, dass ich mit meinem Rücken am Linoleum festklebe. Sie geht zurück zur Tür, zwinkert dir den üblichen Luftkram zu, macht das Licht aus und ruft beim Rausgehen, dass du heute besonders wilde Träume mit deiner Geliebten haben wirst, sie dir viel Spaß wünscht und sie deinen Katheter wechselt, wenn du dich ordentlich ausgetobt hast. Ich schüttle den Kopf über ihre Sprüche, äffe sie nach und weiß, dass ich gleich morgen früh alle Foren zum Thema Urin, Katheter, Infekt und Komplikation durchforsten werde. Zur Not lasse ich mich am Montag krankschreiben, gehe zu meinem Urologen und sage, dass mir die Blase höllisch wehtut und der Urin verdächtig aussieht. Und vielleicht sollte ich die Krankschreibung auch nutzen, um dein Einser-Abiturzeugnis zu kopieren und mit meinem Namen zu versehen.

Der Belieber

Nach dem Aufwachen dreht sich der Belieber auf die Seite seines großen Wasserbettes und betrachtet den Körper, an dem er die Liebesleistung der letzten Nacht vollzogen hat. Vorsichtig streichelt er das schlafende Gesicht, dass sich ein leichtes Lächeln entspinnt. Dabei denkt er mit Genuss an die verschiedenen Gesten, die das Gesicht in der zurückliegenden Nacht hervorgebracht hat. Und es ist ihm eine allmorgendliche Befriedigung, die gesamten Liebeleien noch einmal detailliert in Gedanken zu wiederholen. Ist er mit dem Gedankenspiel fertig, hebt er mit Schwung das seidene Bettzeug über den schlafenden Körper, dreht sich zurück auf den Rücken und betrachtet sich im Deckenspiegel. Er beugt sich über den schlafenden Körper und haucht ihm einen Kuss auf den Nacken. Vergnügt steht er auf und schlendert ins Bad. Vor dem Spiegel streckt er die fast haarlose Brust heraus und versucht, die Verspannung, die er sich regelmäßig in den Nächten zuzieht, mit einer eigens entworfenen Gymnastik zu lösen. Hat er in der zurückliegenden Nacht außerordentlich gewagte oder gar gefährliche Liebestaten vollbracht, stellt er sich am anderen Morgen auf den Kopf und schüttelt seinen Unterleib bis ihm das dicke Gemächt an die Stirn stößt. Anschließend lässt er sich wieder auf den Boden sinken. Zusammengekauert rollt er auf dem Badvorleger auf und ab. Fühlt er sich wieder entspannt, springt er in den blasengebenden Whirlpool, in dem er die Liebesspiele der Nacht für gewöhnlich beginnt. Danach stellt er sich wieder vor den Spiegel und rasiert die Haare von Gesicht und Brust. Zum Schluss massiert er sich die Schläfen.

Ist er mit seiner morgendlichen Toilette fertig, föhnt er seinen Körper trocken und kleidet sich vor dem großen Bücherregal im Flur an. Dabei greift er in die Buchreihen und sucht eine kleine Erzählung, einen bunten Bildband oder einen klugen Ratgeber, der zum Wesen der jeweiligen seiner Liebschaften passt. Hat er das Buch gefunden, zieht er es heraus, greift zu einem der vielen Stapel Seidenpapier und umhüllt es kunstvoll. Er geht zum alten Holzkästchen, holt eines seiner vielen samtbestickten Haarbänder und umbindet das Papier. Anschließend schleicht er ins Schlafzimmer. Behutsam legt er das Büchlein mit einem Kuss und dem ehrlichen Wunsche, dass es seiner Nachtbekanntschaft im weiteren Leben helfen möge, auf das aufgeschüttelte Kopfkissen. Er öffnet die dicke Silberkette, die er Tag und Nacht um seinen Hals trägt und zieht die Schere und den Schlüssel, die ihm beide im allnächtlichen Liebestaumel als Metronom dienen, heraus. Er schneidet den Schlafenden eine Strähne oder Locke vom Kopfe, steckt sie in einen farbigen Briefumschlag und beschriftet diesen. Dabei geht er jedes Mal gleichermaßen vor. Er vermerkt zuerst den Tag, danach die Stunden, die angewandten Liebestechniken, die Sehnsüchte der Beliebten und zum Schluss seinen Zufriedenheitsgrad. Ausgiebig beleckt er danach den Brief, verklebt ihn sorgfältig und legt ihn in sein Archiv in den Wandtresor. Stolz addiert er die Zahlenkombination des Tresors um einen weiteren Nenner, denn nur so bleibt er auf dem aktuellen Stand. Nachdem er den Tresor wieder verschlossen hat, hängt er den Schlüssel und die Schere um den Hals und geht in die Küche zum Kühlschrank. Er greift zu einer der wohltemperierten Flaschen Champagner, öffnet sie leise und füllt deren Inhalt in zwei Gläser. Genüsslich trinkt er das erste Glas auf das Wohlergehen der Bekanntschaft aus. Mit geschickter Hand pflückt er drei Blumen aus den breiten Pflanzkästen, die er eigens für diese Stunden angelegt hat. Die erste Blüte arrangiert er liebevoll in das eingefüllte Champagnerglas, welches für seine Nachtbekanntschaft bestimmt ist. Die zweite platziert er gut sichtbar vor dem Badspiegel. Die dritte steckt er sich in den Mund. Mit der Blüte im Mund kocht er Kaffee, füllt ihn in die Thermoskanne, stellt Butter, Käse, viel frisches Obst auf den Frühstückstisch und das Champagnerglas dazu. Erfreut an dem beginnenden Tag, steckt er die Blüte ins Revers, schließt leise die Wohnungstür und rutscht vergnügt das Treppengeländer hinunter.

Der Belieber erscheint stets gepflegt. Schon auf den Fluren des Krankenhauses grüßt er mit übergroßem Lächeln den verschlafenen Pförtner oder die unsichere Reinigungsfrau.
Der Belieber ist höflich und zuvorkommend. Trotz, dass er seit Monaten auf Station seinen Dienst absolviert, klopft er mehrmals leise an die Tür und wartet, bis die jeweilige Stationsschwester ihr schnoddriges Herein ruft. Er öffnet die Tür einen Spalt weit, schiebt zuerst seinen Kopf, danach den schlanken Hals mit der dicken Silberkette und der Schere und dem Schlüssel hindurch und lächelt in den Raum. Erst danach gibt er der Tür einen kräftigen Schwung und betritt das Aufenthaltszimmer. Mit einer angedeuteten Verbeugung grüßt er zuerst die Stationsschwester und nach ihr dem Range folgend alle weiteren Schwestern. Hat er die Begrüßung artig abgeleistet, begibt er sich an das Ende des Tisches und küsst die ungeduldig wartenden Schwestern oder Pfleger. Zum Schluss gibt er ausgewählten von ihnen einen kräftigen Händedruck, einen kleinen Klaps auf die Schulter oder einen unerwarteten Puffer. Aber auch hier hält er eine unsichtbare Reihenfolge ein, deren Wertfolge nur für Eingeweihte erkennbar ist und erarbeiten werden muss. Hat er die allmorgendliche Prozedur vollzogen, hält er einen klitzekleinen Moment inne und setzt sich auf einen der angeboten Plätze zwischen eine der unglücklichen Schülerinnen oder Schüler. Er öffnet eine Flasche Möhrensaft und trinkt diesen in einem einzigen Zuge aus.

Der Belieber arbeitet korrekt. Ohne zu zaudern führt er die ihm übertragenen Aufgaben aus. Und keine noch so ekelerregende Tätigkeit weist er zurück. Vielmehr kämmt er vorab nochmal sein rotblondes, glattes Haar. Er zieht einen seiner samtbestickten Haarschnüre aus der Hosentasche, die wie zum Zeichen seiner Anwesenheit im gesamten Krankenhaus verstreut liegen und bindet den Zopf zusammen. Allzu gern sammeln arglose Schülerinnen die scheinbar verlorenen samtenen Schnüre als heimliche Souvenirs. Und nicht selten streiten Büroangestellte mit den Reinigungsfrauen teilweise heftig um deren Besitz. Neuerdings hat man auch Schüler die albernen Schnüre aufheben sehen.

Kommt der Belieber am Nachmittag nach Hause, schläft er sich erstmal gründlich aus. Am Abend, wenn die Mitarbeiter in die Stadt gehen, steht er auf, macht Fünfzig Liegestütze, Hundert Seilsprünge und mehrere Serien Hantelheben. Anschließend duscht er seinen Körper mehrmals gründlich ab. Er gönnt seinem Haar eine Heil-und Pflegekur und seinem Gesicht eine Honig-Gurken-Maske. Ist er damit fertig, feilt, lackiert, bürstet und cremt er sich für die Nacht zurecht. Zum Schluss rasiert er sich mit einer Schablone in den Intimbereich ein chinesisches Glückszeichen oder eine indianische Liebesformel, die die Beliebten in der kommenden Nacht beeindrucken sollen. Danach kleidet er sich modisch an und wartet ungeduldig auf seinen allabendlichen Besuch. Unruhig schreitet er auf dem ausgetretenen Parkettboden auf und ab, kneift sich in die zusammen geballten Hände, zieht sich an den Ohren oder kämmt sich wieder und wieder das schulterlange Haar. Erst das kurze Leuten der Klingel lässt ihn von seinen Handbewegungen innehalten und zur Tür hasten. Mit einem entspannenden Lächeln öffnet er sie und genießt die kommenden Stunden.

Der Belieber ist für seine gründliche Körperarbeit weltbekannt. Hat er Liebeshungrige erst einmal in seinem Wasserbett, begreift und beliebt er sie ausgiebig und von allen Seiten kunstvoll und ohne Unterlass. Und keine noch so kleine oder verborgene Stelle bleibt von ihm unbetastet.
Ist der Belieber nach vielen Stunden mit seiner Körperarbeit fertig, massiert und küsst er die erschöpften, säuselt ihnen erotische Formeln in verschiedenen Sprachen in die Ohren und schwingt die seidene Bettwäsche über sie. Sind sie eingeschlafen, steht er unbemerkt auf und reinigt ihre Schuhe oder bürstet ihre Sachen aus. Dabei greift er in die verstreuten Kleidungsstücke und bringt die Geldtasche an sich. Vorsichtig öffnet er die diese und prüft gewissenhaft deren Inhalt. Hat er sich von der Geldmenge überzeugt, steckt er kleine Münzen oder Scheine hinein, damit die Beliebten am anderen Morgen wohlbehalten nach Hause fahren können. Stets achtet er darauf, dass die eingelegten Münzen oder Scheine an genau den Positionen platziert werden, an denen sich gleichwertige befinden. Ist er damit fertig, schiebt er die Geldtasche zurück, legt sich ins Bett, lächelt erschöpft in den großen Deckenspiegel und schläft von der ausgiebigen Arbeit zufrieden ein.

Der Geldbeschneider

Der Geldbeschneider liebt nichts so sehr wie den eigenen Vorteil. An jeder Stelle des Krankenhauses, an der sich eine Möglichkeit ergibt, nutzt er diesen, egal wie gering der Betrag auch für ihn sein mag. Und selbst in den entferntesten Winkeln würde er, wenn sich dort erfolgreich etwas finden ließe, mit aller Macht suchen.

Schon auf der Fahrt ins Krankenhaus, beobachtet der Geldbeschneider mit wachen Augen den Fußboden des Niederflurwagens. Er streckt seinen Kopf unter die Sitzreihen oder schiebt ihn geschmeidig an den Mitfahrenden vorbei, die sich die Neuigkeiten des Tages berichten. Unruhig sucht er nach Gegenständen, die verträumte Gäste liegen gelassen haben. Selbst ein Geldstück, das  an der  Umrandung eines Hosensaumes ruht, findet er zielsicher zwischen den vielen Beinreihen. Hat er es entdeckt, schnappt er es blitzartig beim Aussteigen mit geübtem Handgriff. Und er ärgert sich über den ganzen Tag, wenn er nicht wenigstens eine kleine Kupfermünze am Abend aus einer seiner tiefen Jackentaschen herausnehmen und bestaunen kann.

Der Geldbeschneider kleidet sich stets als letzter in der Umkleidekabine um. Nur so hat er alle Spinde im Blick und kann, wenn möglich, unbeobachtet Dinge an sich bringen, die verschlafene Mitarbeiter in der morgentlichen Hektik achtlos liegen gelassen oder verloren haben.

Kommt der Geldbeschneider zur Dienstbesprechung ins Schwesternzimmer, grüßt er überfreundlich und in die Länge gezogen jeden einzelnen Kollegen. Mit weichem Handgriff umfasst er deren Hände und versucht in der kurzen Zeit des Grußes sich einen Überblick über die umherliegenden Dinge zu verschaffen. Gern verwickelt er Patienten, die zufällig auf dem Flure stehen, in Gespräche, über unerfreuliche Diagnosen oder äußerst riskante Therapien. Dabei versucht er sie soweit zu verwirren, das sie selbstversunken oder völlig verängstigt ihre persönlichen Habseligkeiten auf der Waschkonsole oder dem Fensterbrett zurücklassen. Überdies klagt er häufig bei Patienten, die er auf Umwegen zur Diagnostik fährt, wie schlecht er entlohnt würde. Und nicht selten stecken ihm diese ab und zu ein paar Scheine, scheinbar von ihm unbemerkt, in die Jackentasche. Auf dem Rückweg bleibt er atemringend an der hell erleuchteten Vitrine mit den vielen Hausmitteilungen stehen, schliesst die Augen und lehnt seinen Rücken an die Wand. Hastig zieht er das knisternde Papier heraus, reibt es   zwischen den Händen und versucht mit den Fingerkuppen den Wert des Geldes zu ertasten. Hält er es nicht mehr aus, blinzelt er, presst den Schein gegen das Vitrinenglas und streicht das Papier mit beiden Daumen glatt. Hat er die Banknotenmerkmale gründlich geprüft, haucht er auf den Zahlenwert. Er steckt die lange Zunge heraus und  betupft das Wasserzeichen. Schließlich leckt er den gesamten Schein auf beiden Seiten sorgfältig ab. Das durchfeuchtete Papier faltet er zweimal zusammen und markiert es mit seinem Gebissabdruck. Nachdem er daran gerochen hat, schiebt er den Schein in die kniehohen Karostrümpfe, die er sommer´s wie winter´s trägt. Erschöpft fährt er zurück auf Station.

Der Geldbeschneider lebt von Frau und Kind getrennt. Er wohnt in einem Gartenhaus, das er durch jahrelangen Rechtsstreit den  Miterben abgetrotzt hat. Seine Parzelle pflegt er übergründlich, und holt, wenn es sein muss, selbst in der Nacht noch so manche reife Frucht aus der Beetfurche um sie den Schnäbeln pickender Vögel am darauf folgenden Morgen vorzuenthalten. Möbel hat sich der Geldbeschneider noch nie geleistet. Vielmehr besitzt er, die seiner Meinung nach achtlos auf den Sperrmüll des Krankenhauses geworfenen Dinge. Und Selbst das plastene Geschirr, das über die Jahrzehnte augesondert wurde und noch aus den Gründungsjahren des Krankenhauses stammen soll, hat er  auf seine Weise erworben.

Der Geldbeschneider geht ungern einkaufen. Es macht ihm schon seit Jahren nichts mehr aus, die Reste, die auf Station gesammelt werden, zu einem deftigen Eintopf zu verwerten.

Am Abend, wenn alle Türen fest verriegelt sind, setzt er sich in seinen Rollstuhl oder legt sich in sein Krankenbett und schiebt den Betttisch heran. Er entzündet ein Ewiges Licht, das er aus der Leichenhalle entwendet hat und schließt zufrieden die Augen. Er blinzelt in den rot flackernden Lichtschein und streckt geräuschvoll seinen dürren Körper aus. Wenn er dem Krankenhausseelsorger wieder eine gute Flasche Messwein entwenden konnte, freut er sich besonders. Würdevoll öffnet er die Flasche und lässt den Wein in winzig kleinen Schlucken in eine Schnabeltasse laufen. Er schiebt die Zunge vor und schlürft Tropfen für Tropfen die Flüssigkeit heraus, und leckt, wenn er damit fertig ist, bis in die kleinste Stelle des Becherbodens. Dabei schmatzt er so lautvoll, dass das Geräusch selbst noch am hohen Gartenzaune deutlich zu hören ist. Hat er den Becher ausgeleckt, stellt er das kleine Kofferradio an, kuschelt sich auf die Seite seines Bettes und beginnt zu träumen. Regelmäßig wünscht er sich endlich ohne ein einziges Geldstück im Monat ausgegeben zu haben, leben zu können. Neuerdings stellt er sich immer häufiger vor, wie er einen Schatz in seinem Garten finden würde oder das Lohnbüro ihm bis zum Lebensende versehentlich Chefarztgehälter überwiese.

Der Geldbeschneider arbeitet unauffällig und leise. Patienten und Mitarbeiter beklagen, dass des öfteren Dinge abhanden kämen. Und selbst die Verwaltung kann nur mitteilen, das er seit seiner Ausbildung im Krankenhaus beschäftigt ist.

Würde man den Pförtner nach ihm befragen, würde er mit einer heftigen Handbewegung abwehren, ausspucken und ihn als einen krummen Hund bezeichnen, der freundlich wirres Zeug daherquatsche. Außerdem würde er sagen, dass man bei ihm nicht sicher sein könne, ob er  einen nicht den Arsch unter’m Hintern wegstehle.

Der Geldbeschneider wusste vom ersten Tage an, was er mit seinem Anteil von 23.572 Euro machen würde. Er wollte ihn in Goldbarren anlegen. Und Silvester, wenn alle Kleinstadtbewohner auf dem Platze feiern, wollte er diesen Punkt Mitternacht unter seinem Erdbeerbeet, das er extra der habgierigen Kinder wegen, vor seinem Küchenfenster angelegt hatte, vergraben. Der Geldbeschneider wüsste als einziger Mitarbeiter der Krankenstation, wo und wie er 235.720 Euro sicher vergraben müsste.

Die Allenschenkerin

Die Allenschenkerin schenkt immer und überall. Stets findet sie einen Anlass passende Geschenke zu verteilen. Niemand im Krankenhaus ist vor ihr sicher. Und selbst Fremde können sich der Allmacht ihrer kleinen und großen Aufmerksamkeiten kaum entziehen.

Wochenlang beobachtet sie in den den Schwesternzimmern, den Stationsgängen oder den Umkleideräumen des Krankenhauses in dem sie arbeitet, die zu Beschenkenden und filtert jedes noch so kleine Bedürfnis der Gesprächspartner, die sie intensiv belauscht, heraus. Selbst auf der Toilette, in die sie sich gern heimlich einschließt, erhört sie manchen unbedacht ausgesprochenen Wunsch, den der Belauschte im Selbstgespräch äußert. Nicht selten reinigt sie Betten, Schränke und auch Nachttische übergründlich um sich der Bedürfnisse der dabei abgehörten Gesprächspartner  sicher zu sein.

Hat sie diese endlich erkannt, muss sie sie unbedingt kaufen, und kein noch so großes Hindernis hält sie davon ab. Sie schleicht Tage oder Wochen, manches Mal Jahre um die Zu-Beschenkenden, als wollte sie diese mit einem unsichtbaren Netz aus Fäden umwirken. Unnachgiebig sucht sie nach dem passenden Moment das Geschenk zu überreichen. Glaubt sie den idealen Moment endlich gefunden zu haben, überrascht sie den Verwunderten, stellt sich ihm in den Weg und drückt ihm Zeitschriften und Lexika, plastene Zigarettenetuis und metallene Aschenbecher, oder bunt bedrucktes Geschirr in die Hand. In früheren Jahren, als das Arbeitszimmers ihres Vaters noch voller Bücher stand, verschenkte sie seltene Exemplare zu bestandenen Prüfungen, zu Geburtstags-Weihnacht-und Ostertagen. Selbst den Nationalfeiertag nimmt sie gern als geeigneten Anlass kleine Präsente zu verteilen.

Hat die Allenschenkerin endlich ihr aufwendig verpackte Gabe verschenkt, dreht sie sich schüchtern zur Seite oder senkt den Blick auf den von ihr vorher gründlich gesäuberten Stationsboden. Ungeduldig  wartet sie mit der linken Ferse wippend oder an ihren Ohren ziehend auf eine Reaktion des soeben Beschenkten. Und nicht selten prüft sie, nur um sich von der Wartezeit abzulenken, die weißen Fliesen auf etwaige Putzstreifen. Meist hat sie die Verpackung vorher so kunstvoll gefertigt, dass sie dem Beschenkten auf jeden Fall allein aufgrund der Umpackung eine laute Bewunderung entlocken muss.

Wen allerdings die Allenschenkerin in den Kreis der Beschenkten aufnimmt und welche unsichtbare Verbindung zwischen dem Geschenk, der meist männlichen Adressaten und ihr bestehen, bleibt auch für sie im Dunkel.

Jedoch achtet sie bei jedem so präzise zu schenken, dass eine Ablehnung zwecklos wird. Oftmals lässt sie den Beschenkten erst durch das Geschenk sein unbekanntes Bedürfnis erkennen.

Benötigt die Allenschenkerin ein neues Geschenk, schlendert sie anscheinend ziellos durch die Stadt, verharrt hier und da vor den Auslagen und begibt sich in diese und jene Straße um möglichst alles zu erfassen, was verschenkbar ist. Selbst die kleinste Nebenstraße behält sie im Blick. Dabei denkt sie sich immer und immer wieder mit großer Freude in die Bedürfnisse der zu Beschenkenden hinein. Hat sie sich einen Überblick in Schaufenstern, Warenhäusern und Geschäften verschafft, fühlt sie kaum noch Zeit zwischen den Exponaten und dem verbliebenen Geld abzuwägen. Unruhig umkreist sie mehrmals das zum Kauf ausgewählte Objekt, ohne es jedoch zu berühren. Dabei durchzählt sie geräuschvoll den mitgenommenen Geldbetrag mehrmals auf der flachen Hand, da  sie es als unmöglich ansieht ungekauft nach Hause zu gehen. Spricht eine Verkäuferin sie an, kauft sie hastig das Kaufobjekt oder läuft ohne ersichtlichen Grund verwirrt davon. Selbst in ihren Träumen steht sie oft atemlos in langen, hell beleuchteten Regalreihen und erwirbt, ohne einen Rabatt auszuhandeln, eifrig die Bedürfnisse der Nachbarn, Kollegen oder auch die der Verkäuferinnen selbst. Sehr oft stimmt sie am Ende das Einschlagpapier, Format und Band sorgfältig ab oder tauscht Bedürfnisse  zurück und erhält von allen ein dankbares Lächeln. Zum Schluss stellt sie in ihren Träumen eine Rangfolge der einzelnen Personen auf, die sie in den nächsten Tagen mit ihren Aufmerksamkeiten beschenkt. In winzigen Druckbuchstaben schreibt sie die Namen, die in den letzten Wochen ihren Fleiß am häufigsten bemerkten und lobten auf ein kariertes Blatt. Nur nach einer solchen Nacht fühlt sie sich am Morgen ungewohnt wohl und würde, wenn sie endlich den Mut aufbrächte, Selbsterzählend im Bett liegen bleiben und gern für diesen Tag ihre Arbeit im Krankenhaus vernachlässigen.

Die Allenschenkerin lebt allein. Sie wohnt in einem Zimmer mit Schlafnische, die ihre Mutter  sorgfältig vor Jahren einrichtete. Die Allenschenkerin isst am liebsten Nudeln ohne Soße und verbringt ihre freien Tage in den Haupt-und Nebenstraßen ihres Wohnanlage. In Urlaubsorte ist sie noch nie gefahren und Feierlichkeiten, die außerhalb ihrer Häuserzeile stattfinden, lehnt sie prinzipiell ab. Die wenigen Nachrichten, die sie an sich heranlässt, entnimmt sie, seit sie auch den Fernseher verschenkt hatte, den Überschriften von Wurfsendungen oder den Gesprächen der Straßenbahnfahrgäste.

Am Abend, wenn sie das Restgeld des Tages exakt abgezählt hat, faltet sie die dünne Silberkette, die sie seit ihrer Konfirmation jeden Tag trägt, nach einem ganz bestimmten Muster auf dem Fensterbrett zusammen. Manchmal bleibt sie auch am Fenster stehen und spielt mit den großen, schweren Schmuckstücken ihrer verstorbenen Mutter, die sie aus einer unerklärlichen Abneigung nie benutzt. Und nur Selten schaut sie, den schweren Schmuck in den Händen haltend, den Pärchen auf der Straße lange nach. An solchen Abenden schüttelt sie kräftig ihre vielen Kopfkissen, legt sich seufzend in ihr Jugendbett, faltet die Hände zum Gebet und bemüht sich vergebens die Schafreihe laut bis Hundert zu zählen. Selten gelingt es ihr in diesem Moment den unangenehmen Gedanken an die fällige Kreditrate zu vergessen

Die Allenschenkerin arbeitet fehlerfrei. Entschuldigte oder gar unentschuldigte Tage gab es bei ihr nie. Auch hat sie keinem Patienten jemals einen Anlass zu einer Beschwerde gegeben. Selbst der Pförtner, den sie fast 40 Jahre höflich grüßt, könnte nichts Nachteiliges berichten. Würde man ihn nach ihr fragen, fiele es ihm schwer, trotz der Blumen, die sie ihm täglich wortlos ins Sichtfenster stellt, die Allenschenkerin zu beschreiben.

Die Allenschenkerin kann mir immer noch nicht genau sagen, was sie mit ihrem Anteil von 23.572 Euro machen wollte. Möglicherweise hätte sie damit einen ihre vielen Kredite beglichen.