Reginas Reisen

Ja, Sie müssen entschuldigen. Das dauert ein bisschen. Die Rechner sind langsam. Obwohl, vielleicht sind sie gar nicht langsam. Vielleicht stehen sie einfach nur zu weit auseinander. Stellen Sie sich das mal vor! Die Anfrage muss durch tausende Kilometer Kabel zum anderen Ende der Welt! Vielleicht fliegt sie auch durchs All über Satellit, wer weiß. Kann sich kein Mensch vorstellen, diese Technik.

Aber die Menschen haben keine Geduld! Als wären die Tage heute kürzer als vor 20 Jahren. Was meinen Sie, wie oft Leute regelrecht ausflippen, da drüben an den Kassen, wenn die Kassiererin mal ein Storno hat. Oder wenn die Bonrolle alle ist. Ist doch verrückt, oder? Die Leute schieben stundenlang einen riesigen Einkaufswagen durch einen zwei-etagigen Supermarkt, aber wenn es dann an der Kasse eine Minute länger dauert, drehen sie durch. Und die Mädels müssen immer freundlich bleiben. Immer nett.

Das wäre kein Job für mich. Den ganzen Tag Waren übers Band ziehen, geht auf die Schultern. Ich hab‘s so schon mit dem Kreuz. Obwohl ich jeden Tag mit Romeo rausgehe. Und dann eben diese schlechtgelaunten Kunden an den Kassen. Nancy – Sehen Sie sie, die Dunkelhaarige in der 4? – die kommt manchmal zu mir rüber in ihrer Pause, dann essen wir eine Bockwurst zusammen. Oder Nudeln, drüben beim Fidschi. Ich weiß, darf man nicht mehr sagen. Beim Asiaten. Obwohl, ich meine das gar nicht – ich habe gar nichts gegen die. Jedenfalls, die Nancy hat Geschichten auf Lager, da geht Ihnen das Messer in der Tasche auf.

Da habe ich es ganz gut in meinem Kabuff. Also, es ist nicht mein Kabuff, lassen Sie das ja nicht den Chef hören. Na gut, wenn die Leute hier rein kommen, hängen denen die Mundwinkel auch sonst wo. Aber wenn sie rausgehen sind sie zufrieden. Alle. Das ist meine Arbeit. Leuten dabei helfen, ihre Träume zu erfüllen.

Bei Ihnen eben Accapulco. Ach, ich habe mich vertippt. Deswegen findet der auch nichts. Acapulco, heißt es richtig, mit nur einem C. Jetzt sucht der hier noch mal. Acapulco. Klingt schön, oder? Wie ein Cocktail – mit viel Rum. Oder ein Tanz – der heiße Acapulco! Wie der Lambada, früher, den habe ich im Bikini getanzt! Aber was wollen Sie in Acapulco?
Wissen Sie, die Leute stolpern ja immer hier rein, mit den abenteuerlichsten Vorstellungen. Wenn ich die frage, wohin es gehen soll, dann gucken die ganz verträumt an mir vorbei, auf die Prospekte oder auf die Kassen und dann sagen sie in als würden sie einen Schokodrops lutschen: Namibia. Oder: Hawaii. Oder: Menorca. Unter uns: Manchen kann ich da nicht ins Gesicht gucken, ich müsste feixen. Verstehen Sie das? Als wäre Namibia das Paradies! Fragen Sie mal die Namibianer! Für die ist das hier das Paradies. Obwohl die bestimmt besseres Wetter haben.

Können Sie sich erklären, warum immer alle denken, anderswo wäre es schöner als hier? Schön ist es doch überall! Anderswo ist es nur anders. Ich sag’s Ihnen im Vertrauen: Mein Paradies ist meine Terrasse. Nicht weit zum Kühlschrank, Blick ins Grüne und in den Geschäften reden sie meine Sprache. Ich glaube, das ist eine Berufskrankheit. Wie bei Carola von der Frischetheke. Seitdem die den ganzen Tag Fleisch und Wurst verkauft, kriegt sie das Zeug nicht mehr runter.
Nee, also hier finde ich nichts. Wir müssen das direkt bei der Fluglinie versuchen. Ist aber auch ein außergewöhnliches Ziel. Was wollen Sie nur in Acapulco? Das ist in Mexiko, oder? Einen Moment. Ich wähle uns mal ein. Ich meine, mir ist das natürlich recht, wenn die Leute viel verreisen. Je weiter, desto lieber. Sagt mein Chef auch, wenn er ultimo die Abrechnung macht. Obwohl, soviel Abrechnung ist hier gar nicht. Ist ja auch kein Wunder. Wer soll denn hier reinkommen? Leipzig Arcaden – klingt erstmal exquisit. Aber gucken Sie sich die Leute doch mal an, die da drüben einkaufen. Diese versteinerten Gesichter. Und wie die rumlaufen. Die können sich keinen Urlaub leisten. Oder die buchen den im Internet. Ist ja billiger, denken immer alle. Stimmt gar nicht. Naja, wenn mein Chef mal ein bisschen Pepp in den Laden bringen würde und ein paar Plakate raushängen würde, könnte das hier auch besser laufen. Aber mich fragt ja keiner.

Ach Mensch, sehen Sie den? In dem hellbraunen Mantel? Mit dem langen weißen Schal? Oder heißt das creme? Wir haben früher Eierschale dazu gesagt. Jedenfalls: den kenn ich. Das ist, also das war mal, naja – verrückt, den kenne ich. Dass der hier einkaufen geht! Oje, guckt der? Der guckt doch hier rüber! Wie sehe ich aus? Geht das so mit meinen Haaren? Wenn der jetzt – Was habe ich denn hier für einen Fleck? – wenn der jetzt hier rüber kommt um Hallo zu sagen, falle ich um. Der sieht aber gut aus! Klar hat er sich verändert, die grauen Schläfen und so. Aber für sein Alter? Reif, sieht er aus. Männlich. Toll! Ein gutaussehender Mann, das müssen Sie zugeben. War der aber schon in seiner Jugend!

Nein, nein, machen Sie sich keine Gedanken. Die Warteschleife von diesem Airline-Service ist immer gut gefüllt. Das wird schon noch ein paar Minuten dauern. Aber die Musik ist doch ganz schön, oder? Ist das aus Dirty Dancing?

Jetzt muss er gleich hier lang. So elegant! Früher war der mehr sportlich, wissen Sie? Sehen Sie die Schuhe? Und diese Uhr! Der hat bestimmt einen tollen Job. Der macht das große Geld. Schon in der Ausbildung hatte der echt was drauf. Aber der hatte immer Freundinnen, ich kam nie an den ran. Da habe ich dann eben jemand anderen geheiratet. Er bestimmt genauso. Trägt er einen Ring? Erkennen Sie das? Ich habe meinen ja für meinen Zahn einschmelzen lassen, als mein Mann dann – ach schade, der guckt nicht. Obwohl, wäre mir auch peinlich. Wer weiß, ob der mich überhaupt erkennen würde. Ich hier in meinem Pulli und der mit seinem Kaschmirschal. Wir haben ja auch wer weiß wie lange nicht mehr gesprochen. Nee, der ist auf dem Sprung. Sehen Sie nur, wie schnell der läuft! Der hat keine Zeit. Der hat bestimmt nie Zeit.

Jetzt sagen Sie gleich: Kein Wunder, Zeit ist Geld. Sagen alle. Aber ganz ehrlich: Ich glaube, das stimmt nicht. Ich glaube, Zeit ist Zeit und Geld ist Geld! Denken Sie da mal drüber nach. Machen Sie das mal. Muss nämlich jeder selber entscheiden, was ihm wichtiger ist.

Also, tut mir Leid, aber hier kommen wir heute nicht weiter. Die Vermittlung von der Airline macht gleich Feierabend und ich auch. Nein, bis um Acht haben wir nicht mehr auf. Das lohnt sich nicht. Können Sie vielleicht morgen nochmal kommen? Oder ich probiere es gleich früh und rufe Sie dann an? Normalerweise bin ich nicht so, aber heute muss ich echt pünktlich weg. Ich muss meinen Schein noch abgeben. Lotto, Sie etwa nicht? Mittwoch und Samstag. Nur noch sieben Minuten bis Annahmeschluss.

Nö, also ich gewinne öfter mal was. Neulich erst den zweiten Preis bei so einem Kreuzworträtsel. Drei Tage Allgäu. Habe ich mal Mädelswochenende mit meiner Tochter gemacht. Wellness-Hotel, super.
Ach, es gibt so viele Preisausschreiben! Reich werden Sie in so einem Reisebüro nämlich nicht, das sage ich Ihnen. Also ich könnte nicht nach Acapulco fliegen, von meinen paar Quieksern. Wieso eigentlich ausgerechnet Acapulco?
Doch, doch man kann gewinnen, man muss aber eben auch mitspielen. Und eines Tages – wer weiß? Wenn man dem Glück keine Chance gibt, kann es einen ja nicht finden.

Außerplanmäßige Unterbrechung

„Wenn ich die Uhr nur zurückdrehen könnte!“, rufst du. „Du klingst wie ein Schlagertext.“, sage ich. „Nur diesen Bruchteil einer Sekunde!“, rufst du. „Jetzt wie ein Actionfilm.“, sage ich. „Aber ich fühle mich wie ein Drama.“, schimpfst du und weinst. „Unsere einzige Chance ist, dass gar nichts passiert ist, weil wir nur träumen.“, sage ich. Aber selbst dann müssen wir etwas tun, denke ich weiter, denn ich kann deinen Knochen sehen und das ist nicht richtig.

„Tatsächlich! Blut ist dicker als Wein.“, schluchzt du, während es dir aus dem Finger aufs Bett spritzt. Nein, es heißt dicker als Wasser, denke ich, aber ich sage „Lass die Sprüche!“, denn ich muss nachdenken. Du läufst zurück zum Fenster, um zu verstehen, was passiert ist, mir genügt der Anblick deines Fingers, um das zu kapieren; ich laufe raus auf den Gang und rufe um Hilfe.

Wir treffen uns im Bad; du lässt Wasser über deine Wunde laufen und als ich das aus Blut und Wasser gemischte Rosa im Waschbecken strudeln sehe, denke ich, da fließt sie also dahin, unsere Reiseplanung. Ich reiße deine Hand aus dem Wasserstrahl, damit du nicht noch mehr Keime in die Wunde spülst und raunze dich an „Streck die Hand über deinen Kopf, dann lässt die Blutung nach!“. Du taumelst, ich gebe dir einen Schups, der Toilettendeckel stößt in deine Kniekehlen, deine Knie beugen sich, du sitzt. Gut, denke ich, wie weiter? Das Blut lenkt mich ab, wie es aus deinem Finger läuft und die Haut auf deinem Unterarm in einzelne Felder zerteilt, so wie Flüsse Länder in Schollen zerteilen. Vorgestern haben wir das aus dem Flugzeug gesehen, aber in Rot sehen die Flüsse viel dramatischer aus.

Du schreist unentwegt Flüche und endlich platzt Linda in den Raum um zu fragen, was zur Hölle passiert ist. „Das Fenster!“, stotterst du und ich gehe hin und zeige es ihr. Linda stürzt zum Telefon um einen Arzt zu rufen, ich lasse mich in den Sessel fallen und atme ein bisschen, du musterst noch einige Sekunden lang schimpfend die roten Klekse auf dem Fliesenboden. An der Rezeption sagt man Linda, sie soll das Management anrufen, beim Management sagt man ihr, sie soll das mit der Rezeption klären und an der Rezeption verweist man sie ans Management. „Two – oh – nine, two – oh – nine!“, ruft Linda. Du kommst aus dem Bad und kannst dir nicht verkneifen, sie mit „Tu! Oh, nein!“ nachzuäffen. Dann wird Linda ganz laut und wir werden ganz leise. „Urgent heißt dringend.“, flüstere ich noch, aber Linda macht das schon.

Du lässt dich neben mich in den Sessel fallen. Deine Augen treiben haltlos in ihren Höhlen umher, du sagst: „Mir ist schwindlig.“ Ich sage: „Reiß dich zusammen!“ Du sagst: „Es geht nicht.“ Ich sage: „Diese umherschwimmenden Augen sehen gruselig aus! Außerdem musst du noch ins Krankenhaus heute und ich nicht weiß, wie ich dich dort hinbekommen soll, wenn du ohnmächtig bist.“ Ich sage: „Du musst dich zusammenreißen!“ Du sagst: „Ich versuch’s ja.“

Ein junger Mann stürmt herein. Er trägt ein hübsches kariertes Sakko und auf dem Schild an seinem Revers steht Carl. Carl wirft sein Aluköfferchen aufs Bett. Gut, denkst du, so sieht er die Blutspritzer auf der Bettwäsche nicht und wir müssen die Reinigung nicht bezahlen. Wir bezahlen hier gar nichts, denke ich und bitte denke du jetzt nicht an Geld. Carl fragt, was passiert ist und während ich es ihm erkläre, unterbrichst du mich und entschuldigst dich: „Ich wollte nur kurz lüften.“ Aber Carl hört sowieso nicht zu; lieber legt er deine Hand in seine und reißt erschrocken die Augen auf. Und obwohl er sonst nichts weiter tut, entspannt sich die Falte über deiner Nase, als hätte er dir schon geholfen. Linda sieht mich fragend an, ich nicke ihr zu, sie nickt zurück. Sie schnappt sich Carls Köfferchen, öffnet es und schüttet seinen Inhalt aufs Bett. Dann zerrt sie ihre Reiseapotheke aus dem Rucksack und schüttet sie daneben. Ausrüstungsvergleich, Carl gewinnt. „Wir brauchen ein Desinfektionsmittel.“, sage ich. „Das in meinem Koffer ist leer.“, sagt Carl. „In meinem Beutel war gar keins.“, sagt Linda. Sie greift wieder zum Telefon.

Ein weiterer junger Mann springt herein. Er hat kein Sakko an, aber eine schmucke gestreifte Weste, auf seinem Namensschild steht Morten. Wie der süße Sänger von a-ha, denkst du. Nein, wie morden mit t, denke ich. Morten ruft „Wo ist der Finger? Wo ist der Finger?“ und klappert aufgeregt mit den Eiswürfeln in dem großen Glas in seiner Hand. Ich überlege kurz „Keine Ahnung. Im Garten?“ zu antworten, weil mich die Vorstellung, Morten auf Knien durch den Garten robben zu sehen sehr fröhlich macht. Aber du sagst schon: „Hier, an meiner Hand!“ und schiebst ein paar Sekunden später „Noch.“ nach und dann ist es schon vorbei mit meiner Fröhlichkeit. Morten wischt sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, geht zum Waschbecken, füllt das Eis mit Wasser auf und serviert es als Drink. Wir trinken.

Du sagst: „Mir ist nicht mehr schwindelig. Dafür ist mir jetzt schwarz vor Augen.“ Ich sage: „Das ist von der Panik, du musst dich beruhigen!“ Dann muss ich an diese Komödie denken, neulich; die, in der diese blasse Frau zum ersten Mal in eine große Stadt kommt und immerzu in eine Chipstüte atmen muss, um nicht bei jedem vorbeifahrenden LKW zu hyperventilieren. „Du musst in eine Tüte atmen.“, sage ich, aber die einzige Tüte, die wir griffbereit haben ist die von Lindas Reiseapotheke. Sie ist aus fester Folie, hat einen Zipper und könnte nicht ungeeigneter sein. Zum Glück bemerkst du das nicht; vielleicht denkst auch an diese Komödie, dort hat es ja geholfen.

Morten zeigt uns seinen rechten Zeigefinger und ruft: „Ich hatte das auch, seht nur, es ist alles gut geworden, es wir alles gut werden!“ Ich frage ihn, ob es auch an diesem Fenster passiert sei. „Nein“, sagt er, „bei mir war es eine Tür und mit einer Tür geht das genauso gut.“ Anerkennend sagst du: „Schöner Finger.“ Morton lacht, ich mache das schmatzende Geräusch, das du so hasst.

Die Frau von der Rezeption kommt ins Zimmer gerannt. Sie trägt ein geblümtes Tuch und auf dem Schild, das sie daran festgemacht hat, steht Diane. Diane ist die Göttin der Jagd, denkst du. Ja und der Name eines hässlichen Silberbestecks, das mir meine Oma einst löffelchenweise schenkte, denke ich, aber da schlägt sich Diane schon theatralisch eine Hand vor die Augen und erklärt, sie könne kein Blut sehen. In der anderen Hand hält sie eine Sprühflasche, die sie nun wortlos in den Raum streckt. „Desinfektionsmittel?“, fragte Morton. „Gute Idee.“, sage ich, „Na endlich!“, ruft Carl. Linda greift zu.

Du hast inzwischen bemerkt, dass es nichts bringt, in diese Tüte zu atmen, lässt sie fallen und verkündest: „Jetzt sehe ich Sterne.“ Wir müssen dich ablenken, denke ich, das hilft bestimmt, aber ich weiß nicht, womit. „Schöne Turnschuhe!“, sagst du plötzlich, und ich ärgere mich, dass dir das zuerst aufgefallen ist, denn Carls blau-weiß gestreifte Schuhe mit den roten Sohlen sind wirklich der Knaller. „Wo hast du die gekauft?“, frage ich, damit Carl nicht sofort wieder die Klappe hält, nachdem er sich brav für das Kompliment bedankt hat. „Was sollen die Schuhe bedeuten?“, fragst du und weil Carl noch weniger als ich versteht, was du durch diese Frage zu erfahren hoffst, erklärt er uns den Weg zu diesem kleinen Laden in Hexham, in dem es die ausgefallensten Sneaker des Landes zu kaufen gibt.

Als Linda sieht, dass Carl nichts anderes tut, als deinen Finger wieder und wieder mit Desinfektionsmittel einzureiben und uns die Schuhmoden Englands zu erläutern, schlägt sie vor, doch lieber einen Arzt zu rufen. „Heute ist Bankfeiertag“, sagt Morten, „da haben die Ambulanzen viel zu tun. Man wartet besser nicht auf einen Krankenwagen, sondern fährt selber zum Krankenhaus.“ „Aber ihr fahrt alle auf der falschen Seite! Wir haben keine Chance, das Krankenhaus lebend zu erreichen.“, maulst du. „Hat jemand von Ihnen einen Wagen und kann uns fahren?“, frage ich. „Ich habe Ihnen ein Taxi gerufen.“, gibt Diane bekannt, „Mehr kann ich nicht tun.“ Weil ihr räumliches Sehen durch die Hand vor ihren Augen eingeschränkt ist, muss sie dreimal nach der Türklinke greifen.

„Warum brauchen Ambulanzen so lange an Bankfeiertagen?“, fragst du. „Weil viele Unfälle passieren.“, antwortet Carl und fängt an, eine Binde um deinen Finger zu wickeln. „Und warum?“, fragst du. „Weil viele betrunken sind.“ „Aber warum?“ „Weil Bankfeiertag ist.“ „Und was bedeutet Bankfeiertag?“, frage ich, damit du nicht „Warum?“ fragen kannst. „Dass alle Büros geschlossen bleiben und die Leute frei haben.“ „Und was wird gefeiert?“, fragst du. „Dass Mai ist.“ Carl zuckt mit den Schultern und macht endlich einen Knoten in die Binde. Wir nicken.

Das Taxi hupt und ich springe auf. „Jemand muss dir deine Schuhe anziehen!“ „Bitte nicht die Wanderschuhe, die sind voller Kuhmist!“, rufst du. „Füße her.“, sagt Linda und bevor du dich für deine Schweißfüße entschuldigen kannst, sage ich „Danke!“ und Linda bindet deine Schnürsenkel.

Die Taxifahrerin trägt kein Schild, aber sie stellt sich vor; sie heißt Amanda. So hieß eine Schildkröte, die dir als Kind gehört hat, denkst du. Ja, denke ich, auch das Auto passt dazu; es sieht aus, als hätte es den Kopf eingezogen. Linda steigt vorn ein, damit wir hinten nebeneinander sitzen können. Im Radio läuft klassische Musik. Uns regt das auf, aber Linda mag es. Amanda gibt zu, dass sie immer klassische Musik laufen lässt, wenn sie Touren ins Krankenhaus fährt. „Man weiß nie, wie schlimm es ist.“

Entweder ist es Amandas Ausstrahlung oder die auf 14 Grad eingestellte Klimaanlage, jedenfalls beruhigst du dich, hörst aber nicht auf, komische Fragen zu stellen. Zum Beispiel danach, was denn „eco“ sei an ihrem Eco-Taxi oder was dieser Aufkleber bedeutet, da vorn in der Scheibe. Der Sticker zeigt einen Stern, in dessen Zacken die Symbole aller großen Religionen gestopft sind. Das ist Bahai, sagt Amanda. „Aha.“, sagst du zufrieden und ich denke, was aha, du bist kein bisschen schlauer als vorher. „Ist Bahai auch eine Religion?“, fragt Linda. „Genau. Ich bin eine Bahai.“, sagt Amanda und erklärt, dass ihrer Meinung nach jeder Glaube den gleichen wahren Kern hat, der nur immer wieder anders verpackt ist, damit ihn die Leute am Ort und zum Zeitpunkt seiner Entstehung mögen können. „Also remixt sich jeder selber, was er glaubt?“, fragst du. „Es gibt Grundsätze, die in allen Religionen gelten.“, sagt Amanda. „Zum Beispiel?“, frage ich. „Zum Beispiel den, dass man sich lieber dem hingibt, was ist, anstatt Plänen nachzutrauern, die vom Schicksal durchkreuzt sind.“ Amanda fährt zwei Runden im Kreisverkehr, Linda runzelt die Stirn, ich rolle mit den Augen und du zeigst uns leise grinsend deinen weiß bandagierten Mittelfinger.