S: In diese Einöde? Mit Sack und Pack?
J: Jawohl. Und mehr als einen Koffer werde ich nicht mitnehmen.
S: Du machst Witze!
J: Nein. Ich mache Ernst. Neue Kleider kriege ich dort. Ich werde nur ein paar Fotos und ein Tagebuch behalten.
S: Und dein Rechner?
J: Bräuchte Strom.
S: Und dein ganzes Zeug?
J: Kannst du haben, wenn du willst.
S: Okay, nehme ich.
J: Wirklich?
S: Klar, weißt du, ich leihe mir den Transporter von Andreas und komme nächste Woche einfach mal vorbei. Wenn ich in meinem Zimmer eine Zwischendecke einziehe, kann ich deine Möbel auch noch stellen…
J: Tolle Idee. Ich fliege aber schon am Sonntag.
S: Du hast die Tickets schon?
J: Das Ticket. Ja.
Sarah scheibt.
Sarah ist online.
Sarah scheibt.
Sarah ist online.
J: Ich lasse alles hier. Du kannst dir holen, was du magst. Was übrig bleibt, fährt Jens irgendwann zum Sperrmüll.
S: Nichts dabei, woran dein Herz hängt?
J: Doch. Aber ich will ein freies Herz.
Sarah ist online.
S: Hast du noch mehr Bilder?
J: Natürlich. Sekunde.
Ziehe Fotos, Musikstücke oder Videos auf diese Fläche, um sie mit Sarah zu teilen.
S: Herrje, gibt es außer dieser Hütte noch irgendetwas anderes dort?
Klicke hier, um die Ortsmarkierung an einen Freund zu senden.
S: Jonathan, dieses Nichts wird dich auffressen! Du wirst umkommen vor Langeweile!
J: Ganz im Gegenteil: Man führt dort ein sehr geregeltes Leben, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat.
S: Du verarschst mich doch!
J: Wieso?
S: Man führt dort ein sehr geregeltes Leben, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat? Ganz ehrlich: Schreib diesen Satz auf einen Zettel und wenn du wieder nüchtern bist, lachen wir gemeinsam darüber.
J: Was meinst du?
S: Was meinst DU? Jonathan, wer ist „man“? Du? Du willst „man“ sein? Das ist lächerlich!
J: Kapiere ich nicht.
S: Ist ganz einfach: Du bist nicht „man“. Du bist Jonathan. Der, der im Sommer Strickmützen trägt und im Winter Sneakers. Der, der sich rasiert, weil alle Jungs Bart tragen. Der, der sich eine Fee auf den Oberarm tätowieren lässt, weil das sonst keiner hat. Seit ich dich kenne, tust du alles um Jonathan zu sein! Und bloß nicht „man“!
J: Sind doch alles Äußerlichkeiten.
S: Ah, verstehe! Äußerlichkeiten spielen keine Rolle mehr, plötzlich?
J: Genau.
S: Moment: Als ich dich zum letzten Mal besucht habe, standen zwei Riesendosen Muskelaufbau-Eiweißpulver neben der Hantelbank in deinem Zimmer. Was ist DANN passiert?
J: Nur die Hütte ist passiert. Seitdem ich dort war ändert sich alles.
S: Das merke ich. Gefällt mir nicht.
Jonathan ist online.
S: Und die Wahrheit ist: Ich glaube dir nicht! Du hasst Alltag! Du willst kein geregeltes Leben führen! Das bist nicht du!
J: Das bin nicht ich. Gefällt mir. Doch, ich will ein geregeltes Leben. Mit fester Struktur und klaren Notwendigkeiten.
S: Mit Müssen? Jonny, du bist allergisch auf Müssen! Sehr.
J: Ich meine nicht Müssen.
S: Dinge, die notwendig sind, muss man.
J: Ich werde eine klare Rolle haben. Eine Aufgabe. Mit Bedeutung für andere.
S: Weißt du schon welche?
J: Sie brauchen einen Wasserträger.
S: Nee, is klar.
J: Um das Wasser vom Brunnen in die Hütte zu bringen.
S: Und dafür hast du studiert? Um hauptberuflich Wasser für Grüntee ranzuschleppen?
J: Nicht nur für den Tee. Auch für die Waschungen. Und die Speisen.
S: Oh, das sehe ich ein! Bei so viel Wasser braucht man ein abgeschlossenes Studium.
J: Natürlich nicht. Ich brauche kein Studium mehr.
S: Außer Selbststudium, nehme ich an.
J: Das stimmt. Achtsamkeit, Konzentration, Meditation, Beten.
S: Gerade gefiel dir noch Nicht-Ich-Sein. Jetzt willst du dich selbst studieren. Ich sag’s nur.
J: Ich will endlich zu mir kommen.
S: Mir wäre ja lieber, du würdest zu mir kommen.
Sarah lächelt.
Jonathan lächelt.
S: Und dann? Wenn du bei dir bist?
J: Dann will ich mich überwinden.
Sarah lacht laut.
J: Man MUSS zu sich kommen, um sich zu überwinden. Ich glaube das!
S: Und warum? Und was soll das bedeuten?
Jonathan ist online.
J: Ich selbst sein hat jedenfalls nicht funktioniert.
S: Weil du dich nie getraut hast!
J: Und du so?
S: Es geht um dich, gerade.
J: Es geht immer um mich, Sarah! Das ist ja, was so nervt!
S: Häh?
J: Mein Leben ist ein Hoppserlauf von Strohfeuer zu Strohfeuer. Deine Worte.
S: Hab ich gesagt, ich weiß. Sehe ich immer noch so. Finde ich mittlerweile aber völlig in Ordnung. Solange. Du. Brennst.
J: Ich brenne nur nieder. Ich entfache nichts.
S: Das ist esoterisches Geschwurbel, Jonathan! Was soll das heißen?
J: Ich weiß nicht, wozu ich hier bin.
S: Und da dachtest du dir: Mensch, auf der anderen Seite des Planeten suchen sie einen Wasserträger, das wär‘ doch was für mich!
J: Die brauchen einen Wasserträger. Er fehlt dort. Ich bin hier zu viel.
S: Schaff dir Kinder an, wenn du zu viel Zeit hast!
J: Ich will keine Kinder, bevor ich weiß, worum es geht.
S: Es GEHT um Kinder, Jonathan! Es geht immer um Fortpflanzung! Überall!
J: Das ist sinnlos.
S: Und wenn schon. Es funktioniert.
J: Nicht für mich.
S: Jonny, Sinn ist eine Erfindung der Menschheit. Juckt die Natur kein bisschen, wenn der fehlt.
Jonathan ist online.
S: Bei Wikipedia steht, dass die nur miteinander sprechen, wenn es unbedingt nötig ist. Übst du wohl schon?
Jonathan lächelt.
J: Ich habe jedenfalls nichts zu sagen, gerade.
S: Du wirst das nicht aushalten, wenn du dich erst einmal daran gewöhnt hast. Alles, an das du dich jemals gewöhnt hast, hast du aufgegeben.
J: Ich weiß. Aber diesmal –
S: Mich auch.
J: Ja.
Jonathan küsst Sarah.
Jonathan ist offline.