Der Geldbeschneider liebt nichts so sehr wie den eigenen Vorteil. An jeder Stelle des Krankenhauses, an der sich eine Möglichkeit ergibt, nutzt er diesen, egal wie gering der Betrag auch für ihn sein mag. Und selbst in den entferntesten Winkeln würde er, wenn sich dort erfolgreich etwas finden ließe, mit aller Macht suchen.
Schon auf der Fahrt ins Krankenhaus, beobachtet der Geldbeschneider mit wachen Augen den Fußboden des Niederflurwagens. Er streckt seinen Kopf unter die Sitzreihen oder schiebt ihn geschmeidig an den Mitfahrenden vorbei, die sich die Neuigkeiten des Tages berichten. Unruhig sucht er nach Gegenständen, die verträumte Gäste liegen gelassen haben. Selbst ein Geldstück, das an der Umrandung eines Hosensaumes ruht, findet er zielsicher zwischen den vielen Beinreihen. Hat er es entdeckt, schnappt er es blitzartig beim Aussteigen mit geübtem Handgriff. Und er ärgert sich über den ganzen Tag, wenn er nicht wenigstens eine kleine Kupfermünze am Abend aus einer seiner tiefen Jackentaschen herausnehmen und bestaunen kann.
Der Geldbeschneider kleidet sich stets als letzter in der Umkleidekabine um. Nur so hat er alle Spinde im Blick und kann, wenn möglich, unbeobachtet Dinge an sich bringen, die verschlafene Mitarbeiter in der morgentlichen Hektik achtlos liegen gelassen oder verloren haben.
Kommt der Geldbeschneider zur Dienstbesprechung ins Schwesternzimmer, grüßt er überfreundlich und in die Länge gezogen jeden einzelnen Kollegen. Mit weichem Handgriff umfasst er deren Hände und versucht in der kurzen Zeit des Grußes sich einen Überblick über die umherliegenden Dinge zu verschaffen. Gern verwickelt er Patienten, die zufällig auf dem Flure stehen, in Gespräche, über unerfreuliche Diagnosen oder äußerst riskante Therapien. Dabei versucht er sie soweit zu verwirren, das sie selbstversunken oder völlig verängstigt ihre persönlichen Habseligkeiten auf der Waschkonsole oder dem Fensterbrett zurücklassen. Überdies klagt er häufig bei Patienten, die er auf Umwegen zur Diagnostik fährt, wie schlecht er entlohnt würde. Und nicht selten stecken ihm diese ab und zu ein paar Scheine, scheinbar von ihm unbemerkt, in die Jackentasche. Auf dem Rückweg bleibt er atemringend an der hell erleuchteten Vitrine mit den vielen Hausmitteilungen stehen, schliesst die Augen und lehnt seinen Rücken an die Wand. Hastig zieht er das knisternde Papier heraus, reibt es zwischen den Händen und versucht mit den Fingerkuppen den Wert des Geldes zu ertasten. Hält er es nicht mehr aus, blinzelt er, presst den Schein gegen das Vitrinenglas und streicht das Papier mit beiden Daumen glatt. Hat er die Banknotenmerkmale gründlich geprüft, haucht er auf den Zahlenwert. Er steckt die lange Zunge heraus und betupft das Wasserzeichen. Schließlich leckt er den gesamten Schein auf beiden Seiten sorgfältig ab. Das durchfeuchtete Papier faltet er zweimal zusammen und markiert es mit seinem Gebissabdruck. Nachdem er daran gerochen hat, schiebt er den Schein in die kniehohen Karostrümpfe, die er sommer´s wie winter´s trägt. Erschöpft fährt er zurück auf Station.
Der Geldbeschneider lebt von Frau und Kind getrennt. Er wohnt in einem Gartenhaus, das er durch jahrelangen Rechtsstreit den Miterben abgetrotzt hat. Seine Parzelle pflegt er übergründlich, und holt, wenn es sein muss, selbst in der Nacht noch so manche reife Frucht aus der Beetfurche um sie den Schnäbeln pickender Vögel am darauf folgenden Morgen vorzuenthalten. Möbel hat sich der Geldbeschneider noch nie geleistet. Vielmehr besitzt er, die seiner Meinung nach achtlos auf den Sperrmüll des Krankenhauses geworfenen Dinge. Und Selbst das plastene Geschirr, das über die Jahrzehnte augesondert wurde und noch aus den Gründungsjahren des Krankenhauses stammen soll, hat er auf seine Weise erworben.
Der Geldbeschneider geht ungern einkaufen. Es macht ihm schon seit Jahren nichts mehr aus, die Reste, die auf Station gesammelt werden, zu einem deftigen Eintopf zu verwerten.
Am Abend, wenn alle Türen fest verriegelt sind, setzt er sich in seinen Rollstuhl oder legt sich in sein Krankenbett und schiebt den Betttisch heran. Er entzündet ein Ewiges Licht, das er aus der Leichenhalle entwendet hat und schließt zufrieden die Augen. Er blinzelt in den rot flackernden Lichtschein und streckt geräuschvoll seinen dürren Körper aus. Wenn er dem Krankenhausseelsorger wieder eine gute Flasche Messwein entwenden konnte, freut er sich besonders. Würdevoll öffnet er die Flasche und lässt den Wein in winzig kleinen Schlucken in eine Schnabeltasse laufen. Er schiebt die Zunge vor und schlürft Tropfen für Tropfen die Flüssigkeit heraus, und leckt, wenn er damit fertig ist, bis in die kleinste Stelle des Becherbodens. Dabei schmatzt er so lautvoll, dass das Geräusch selbst noch am hohen Gartenzaune deutlich zu hören ist. Hat er den Becher ausgeleckt, stellt er das kleine Kofferradio an, kuschelt sich auf die Seite seines Bettes und beginnt zu träumen. Regelmäßig wünscht er sich endlich ohne ein einziges Geldstück im Monat ausgegeben zu haben, leben zu können. Neuerdings stellt er sich immer häufiger vor, wie er einen Schatz in seinem Garten finden würde oder das Lohnbüro ihm bis zum Lebensende versehentlich Chefarztgehälter überwiese.
Der Geldbeschneider arbeitet unauffällig und leise. Patienten und Mitarbeiter beklagen, dass des öfteren Dinge abhanden kämen. Und selbst die Verwaltung kann nur mitteilen, das er seit seiner Ausbildung im Krankenhaus beschäftigt ist.
Würde man den Pförtner nach ihm befragen, würde er mit einer heftigen Handbewegung abwehren, ausspucken und ihn als einen krummen Hund bezeichnen, der freundlich wirres Zeug daherquatsche. Außerdem würde er sagen, dass man bei ihm nicht sicher sein könne, ob er einen nicht den Arsch unter’m Hintern wegstehle.
Der Geldbeschneider wusste vom ersten Tage an, was er mit seinem Anteil von 23.572 Euro machen würde. Er wollte ihn in Goldbarren anlegen. Und Silvester, wenn alle Kleinstadtbewohner auf dem Platze feiern, wollte er diesen Punkt Mitternacht unter seinem Erdbeerbeet, das er extra der habgierigen Kinder wegen, vor seinem Küchenfenster angelegt hatte, vergraben. Der Geldbeschneider wüsste als einziger Mitarbeiter der Krankenstation, wo und wie er 235.720 Euro sicher vergraben müsste.