Über Fußball am Beispiel des Islam

„Wahnsinn, oder?“, sage ich, als ich die Zeitung aus dem Briefkasten nehme und die Schlagzeile lese.
„Hallo!“, antwortet er und läuft an mit vorbei.
„Was sagen Sie eigentlich dazu?“, frage ich.

Er bleibt auf der Treppe stehen, dreht sich um und sieht mich an. Seine Stirn liegt in Falten, als hätte ich etwas Unverständliches gesagt. Ich blicke wieder auf meine Zeitung und falte sie zusammen. Ich hoffe, dass der Moment schnell vorüber geht. Plötzlich öffnet er mit einem schnalzenden Geräusch den Mund, rollt mit den Augen und wendet sich ab. Ich schließe meinen Briefkasten zu und bin kurz davor, an ihm vorbei die Treppen nach oben zu meiner Wohnung zu flitzen. Da ruft er:

„Sie fragen mich das allen Ernstes?“
„Von Ihrer Großmutter weiß ich, dass Sie erst kürzlich – wegen Ihrer Hochzeit.“
Er schüttelt den Kopf.
„Und ich weiß von meiner Großmutter, dass Sie ziemlich klug sein sollen.“
„Ich stelle mich wohl gerade doof an?“
„Finden Sie nicht?“
Ich presse die Lippen aufeinander und ziehe sie nach innen. Er steigt eine Stufe nach unten auf mich zu.

„Ja, ich bin Muslim. Stimmt, erst seit kurzem. Und wissen Sie, was daran am meisten nervt? Nicht, halal zu leben, also –“
„– auf Schweinefleisch zu verzichten oder auf Alkohol.“, werfe ich schnell ein.
„Oh! Jetzt wollen Sie mich beeindrucken, oder?“
„Immerhin habe ich einen Ruf zu verlieren, wie Sie sagen.“
Er lächelt zum ersten Mal, ich entspanne mich ein bisschen.
„Am meisten nerven die Fragen der Leute!“
„Was fragen die denn?“, traue ich mich.
„Ob ich jetzt fünf Mal am Tag nach Mekka bete. Bevor Sie fragen: Tue ich nicht! Oder ob ich mir jetzt auch so einen Salafistenbart werde stehen lassen. Ja, das probiere ich mal, das ist doch lustig! Meine Friseurin fragte mich neulich sogar, ob ich jetzt beschnitten bin! Das geht sie nun wirklich nichts an. Und Sie auch nicht. Was denken die Leute vom Islam?“ Er streckt beide Hände von sich und zeigt mir seine Handflächen.

„Fragen Sie mich das jetzt allen Ernstes?“
„Allerdings.“
„Ich bin zwar nicht ‚die Leute‘, aber ich würde sagen, die Leute glauben, was sie so hören. Wer kennt schon einen Moslem persönlich?“
„Dann müssen sie sich besser informieren.“
„Das versuchen Sie doch. Sie stellen Ihnen Fragen.“
„Aber schon ihre Fragen sind volle Vorurteile! Der Islam ist nicht blutrünstig und mittelalterlich!“
„So sieht er aber aus, wenn davon die Rede ist. Ständig geht es um Gewalt und Diktatur.“
„Das sind Nachrichten. Nachrichten berichten nur über Katstrophen!“
„Nö, ab und zu auch über Papstbesuche und Arbeitslosenzahlen, die sinken.“
„Außerdem ist das ist Islamismus, über den da berichtet wird. Nicht der Islam!
„Manche können das bestimmt nicht auseinanderhalten.“
„Das ist doch ignorant!“
„Die Spielerinnen der Frauenfußball-Bundesliga finden die Missachtung ihrer Siege auch ignorant.“
„Vergleichen Sie den Islam gerade mit Frauenfußball?“
Ich lache, er lacht.
„Nein. Aber warum sollten sich die Leute für den Islam interessieren? Sie sind einer von zwei Moslems, die ich kenne.“
„Der Islam gehört zu Deutschland! Sagt sogar Ihre Kanzlerin.“
„Die Oranienstraße gehört auch zu Berlin. Trotzdem gibt es dort so gut wie keine Berliner.“
„Nirgendwo kann man so gut und preiswert essen, wie in der Oranienstraße!“
„Ich weiß! Kennen Sie den lauwarmen Glasnudelsalat mit Erdnüssen und Koriander, aus dieser kleinen Garküche –“
„Können Sie es denn auseinanderhalten? Islamismus und Islam?“
„Erklären Sie’s mir.“

„Aber wie?“ Er kratzt sich am Kopf. „Vielleicht mit Fußball. Fußball mögen Sie, oder?“
„Nein.“
„Aber vorhin haben Sie doch über Fußball – ach ja, sie sind ja – sie leben ja –“
„Schwul? Sagt Ihre Oma? Stimmt. Aber Hitzelsperger ist auch schwul. Sie werden nicht bestreiten, dass der sich für Fußball interessiert.“
„Wieso kennen Sie Hitzelsperger, wenn Sie sich nicht für Fußball interessieren?“
„Wieso kennen Sie Jesus, obwohl sie kein Christ sind?“
„Weil auch die Muslime verehren Jesus. Im Qu‘ran steht, dass Jesus ein Gesandter Gottes war.“
„Oh! Und wird Mohammed auch in der Bibel erwähnt?“
„Das fragen Sie mich? Sie sind doch Christ, nicht ich!“
„Bleiben wir lieber bei Ihrer Erklärung des Islamismus. Von mir aus mit Fußball.“
“Also: Der Islamismus ist für den Islam ungefähr das, was der Hooligan für den Fußball ist. Die Hooligans sind keine Fans. Die interessieren sich gar nicht für Fußball. Die sind nur auf Randale aus. Trotzdem sind sie das Problem der Fußballvereine. Hooligans machen den Ruf der Vereine kaputt. Sie sind schuld daran, dass die echten Fans aus Angst vor Gewalt zu Hause bleiben. Das kann die Vereine in den Ruin treiben! Verstehen Sie?“
„Und was machen die Vereine dagegen?“
„Die Versuchen, die Hooligans loszuwerden. Sie distanzieren sich öffentlich. Sie kooperieren mit der Polizei. Sie starten Initiativen um Jugendliche für den Sport zu gewinnen und nicht für die Randale.“
„Und so macht es der Islam auch?“
„Na klar! Und da sind wir wieder bei Ihrer Frage: Was glauben Sie denn, was ich als frisch konvertierter Muslim dazu sage, wenn Menschen im Namen Allahs erschossen werden?“
„Ich hoffe, dass sie es verurteilen.“
„Natürlich verurteile ich es! Alle Muslime verurteilen es! Alle, die ich kenne.“
„Aber manche erklären in Fernsehmikrofone, dass sie den Zorn der Attentäter verstehen können. Für mich klingt das, als würden sie sagen: Selbst schuld!“
„Ich verstehe den Zorn nicht.“
„Ich erst recht nicht.“
„Ich kenne auch niemanden, der den versteht.“
„Ich schon. Ihre Großmutter. Die sagte neulich beim Kaffeetrinken, dass sie nicht kapiert, wieso man weiterhin versucht, Leuten Witze zu erzählen, die keinen Spaß verstehen. Wer soll denn bitte darüber lachen?“
„Puh! Na so kann man das aber auch nicht sehen.“
„Sie kennen sie ja. Sagen Sie ihr liebe Grüße.“
„Mach ich. Ich bin übrigens Ben.“
„Ich weiß. Ich bin Peter.“
„Ich weiß.“