Der Damalige weiß ganz genau, wie es früher zuging. Deswegen kauft er vereinzelt vorhandene Vorräte aus alten Lagerbeständen und liest politische Bücher von Verlagen vergangener Zeiten.
Springt der Damalige von der durchgelegenen Feldliege auf, schiebt er zu Beginn des Tages eine Kassette mit zackiger Militärmusik in den Radio-Recorder oder legt eine Schallplatte mit beliebten Schlagern aus der guten alten Zeit auf den Plattenspieler. Er marschiert ins Bad, putzt die Zähne mehrere Minuten mit Elkadent-Creme, wäscht seinen schlanken Oberkörper mit Nautic-Seife und rasiert über den kaum vorhandenen Bart mit dem stumpfen bebo-sher-Gerät. Im Laufschritt rennt er ins Zimmer zurück, zieht das weiße Turnhemd mit dem aufgenähten Staatsemblem an und hebt schwere Hanteln für die Körperertüchtigung. Von den Übungen hellwach, setzt er sich an den Frühstückstisch und liest die Junge Welt und das Neue Deutschland. Und bis auf den Wetterbericht glaubt er seinen Zeitungen jede darin abgedruckte Nachricht. Er isst Burger-Knäckebrot mit Nudossi-Brotaufstrich, knabbert Filinchen mit Fruchtmarmelade und schlürft zwei große Tassen Trink-Fix. Tagesgestärkt verlässt er die Wohnung und stolziert einmal um den ungepflegten Innenhof des Wohnblockes. Feierlich stellt er sich vor der verrosteten Teppichstange auf und entrollt die Flagge der Internationale. Mit viel Mühe bläst er die Trompete. Werden die Fenster geöffnet, rennt er zur nahe gelegenen Garagenanlage. Ist sein Motorroller wegen fehlender Einzelteile wieder zerlegt, eilt er im Stechschritt und viel zu spät die Straßen entlang bis zur Krankenpflegeschule. Sieht er den Pförtner am Schlagbaum stehen, geht er ihm so weit als möglich aus dem Weg. Kann er ihm nicht entweichen, winkt er ihm verlegen den Sozialistischen Gruß entgegen. Hört der Pförtner diese Worte, ruft er den Damaligen einen ahnungslosen Spinner, eine elende rote Socke oder einen völlig verwöhnten Westbalg. So als würde er die Beleidigungen des Pförtners nicht mitbekommen, spurtet der Damalige schnellen Schrittes ins Klassenzimmer. Und obwohl er weiß, dass die anderen Pflegeschüler seit Jahren von seinem übertriebenen Kollektivgefühl genervt sind, grüßt er auch sie mit einem zünftigen Kammeradengruß. Verpetzt ihn ein Schüler deswegen bei der Mutter Oberin, beschimpft er ihn als üblen Vaterlandsverräter und rührt ihm das Abführmittel Regulax heimlich ins Essen. Gibt ihm hingegen eine ältere Krankenschwester Tipps für die Grundpflegeprüfung oder flüstert ihm die Lehrerin Informationen ins Ohr, dass eine junger Kollege eine Leistungskontrolle anstrebt, lobt er die Frauen gönnerhaft als beherzte Agentinnen der gerechten Sache, schenkt ihnen abgelaufene Schlager-Süßtafeln und Märchenriegel oder legt ihnen verbeulte Medaillen in die Taschen und Mäntel. Einmal in der Woche wartet der Damalige als selbst ernannter Gruppenratsvorsitzender bei Club-Cola und Rotgardistenmusik im Keller der Krankenpflegeschule vergebens auf Neumitglieder für die von ihm gegründete FDJ-Gruppe. Und er ist sehr stolz, einer verfassungsfeindlichen Vereinigung anzugehören, die nichts weiter zum Ziele hat, als das Lebensglück aller Menschen zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang wird gemunkelt, dass er einen Fluchtkoffer im Krankenhaus und einen in der Wohnung bereithält.
Hat der Damalige wieder handgeschriebene Zettelchen mit Zitaten aus dem Kommunistischen Manifest auf Stühle, in Gesangsbücher oder gar auf den Altar in der Kapelle angeklebt und will ihn die Oberin deswegen bestrafen, schickt sie ihn von Station zu Station und lässt ihn lästige Botengänge verrichten sowie Schwerkranken Gottes gütige Worte verkünden. Im Namen des Auftrages geht er eifrig mit der Bibel unterm Arm die langen Flure entlang und ballt die Ernst-Thälmann-Faust für jedermann gut sichtbar zum Gruß. Und so mancher ältere Patient steht bei diesem Anblick stramm oder schiebt erschrocken das Gehbänkchen in die Ecke und erleidet einen schweren Herzanfall. Sieht der Damalige auf dem Rückweg ins Klassenzimmer in den überfüllten Warteräumen Patienten in gut erhaltener Ost-Originalkleidung sitzen, schleicht er mehrfach um sie herum, verstrickt sie in wortreiche Gespräche und begleitet sie mit allerhand freundlichen Hilfereichungen ins Patientenzimmer. Bettelnd verfolgt er sie anschließend in den Garten und dreht mit ihnen Runde um Runde bis sie sichtbar entnervt das gewünschte Kleidungstück vor ihm stehend ausziehen und frierend übergeben. Seit Neuesten wird wiederholt von Fällen berichtet, dass auf der Intensivstation Malimo-Bademäntel spurlos verlorengingen.
Steht der Damalige in der Kantine und hört er den Kassierer am Buffet aufgeregt seine wirren Wahrheiten an die neugierige Mitarbeiterschaft verteilen, unterbricht er ihn ungeduldig und fragt im forderndem Tone nach nahrhaften Ostspeisen. Verneint der Kassierer das Anliegen, oder meint er, dass er diese Speisen gar nicht kenne oder fragt er misstrauisch ob sie überhaupt genießbar seien, nennt der Damalige ihn vor allen Anwesenden empört einen hundsgemeinen, hinterhältigen Konterrevolutionär. Tags darauf kann man den Damaligen beobachten, wie er ihm mit Duosan-Rapid die Kasse verklebt oder den Sitz mit Chemisol-Kleber einreibt.
Geht der Damalige nach einem anstrengenden Kampftag mit geschwellter Brust aus der Krankenpflegeschule, rennt er zu einer der unzähligen Haushaltauflösungen, stürmt die Treppenanlage zur Wohnung des Verstorbenen empor, drängelt sich zwischen all den anderen Interessenten nach vorn und ersteigert ungesehen die Altbestände, um auch diese wertvollen Produkte des Sozialismus vor der Müllkippe zu bewahren. Sieht er auf dem Weg dorthin ein ehemals messeprämiertes Glasserie-oder Gastronomiegeschirr aus einer seltenen Herstellungsreihe in der Auslage eines Geschäftes, stürzt er erregt hinein. Minutenlang drückt er die kostbaren Stücke an die Brust, dreht sich euphorisiert im Kreise und küsst oder streichelt sie fortwährend. Begeistert verwickelt er den verdutzten Verkäufer in leidenschaftliche und ellenlange Fachgespräche. Und so manches Mal hat er dabei dem im Nachhinein verärgerten Verkäufer eine museumsreife Rarität zum Selbstkostenpreis abgeschwatzt. Hat er das Gesehene vom gestohlenen Geld aus der Brieftasche eines Privatpatienten gekauft, läuft er im Marschschritt nach Hause und stellt es wie eine Karl-Marx-Büste in eine der wenigen noch freien Ecken oder Regale. Sodann setzt er sich an die Erika-Reiseschreibmaschine, zündet sich eine Duett-Zigarette nach der anderen an und arbeitet den Stapel unzähliger Beschwerden sorgfältig ab. Geduldig schreibt er ausführliche Änderungsvorschläge an die Intendanten der ARD, wenn für längere Zeit keine Schwarz-Weiß-Filme vom Fernsehfunk der DDR gezeigt wurden. Empört verfasst er leidenschaftliche Appelle an verschiedene Westfirmen, wenn diese wieder die Produktion einer beliebten Ostware einstellen. Und manchmal schreibt er auch bitterböse Proteste an die Stadtverwaltung, wenn sie seiner Meinung nach wieder völlig zu Unrecht den Straßennamen eines verdienten Stalinisten ändern. Sind die Briefe verfasst, beendet er sie stets mit sozialistischen Grüßen und klebt alte Briefmarken darauf. Danach setzt er sich an den Rechner und sucht fieberhaft im Internet nach Jahressätzen des Neuen Deutschland und der Jungen Welt. Um sich von der Fleißarbeit zu erholen, kocht er zwei Tassen starken Rondo-Kaffee in der Kaffeeboy-Maschine, gießt Bitterlemon ins Limonadenglas und legt eine Dokumentation über die großen sozialen Erfolge der DDR in den Videorecorder. Zufrieden schläft er bei den Sozialistischen Erfolgen über flächendeckende Kindertagesplätze, medizinische Versorgung und das Wohnungsprogramm auf der Doppellbettcouch Dagmar als zukünftiger Staatsratsvorsitzender ein. Weckt ihn die Kuckucksuhr, zieht er sein blaues FDJ-Hemd über und legt den Stapel liebevoll gefertigter Handzettel mit den vielen Vorteilen einer neuen DDR in den dicken Armee-Rucksack. Wahllos verteilt er sie auf Straßen und Plätzen und vor Schulen an verdutzte Passanten und an die neugierige Schülerschaft.
Kommt er nach der Agitation über eine sozialistische Zukunft erschöpft nach Hause, zieht er die Jesuslatschen aus und badet stundenlang mit einem Pionierlied auf den Lippen in Badusan. Läuft am Abend ein beliebter Fernsehfilm der DDR, lädt er seine Freundin oder gleichgesinnte Genossen in die vollgestellte Wohnung ein. Im Wohnzimmer lümmeln sie auf der breiten Sesselgarnitur aus dem Politbüro, kochen Gulasch mit Makkaroni in Töpfen aus dem Kulturministerium, trinken Sekt aus Gläsern vom Amtssitz der Staatsicherheit und naschen Gebäck aus Glasschalen von Wandlitz. Gemeinsam sehen sie begeistert die künstlerischen Leistungen der verstorbenen Schauspieler und knabbern Unmengen Knusperflocken und Halloren-Kugeln.
Beschläft der Damalige nach solch einem Abend seine Freundin auf der ehemaligen Ruheliege von Erich Mielke, flüstert er ihr als Ansporn zu höheren Liebesleistungen Kampflosungen aus dem Vaterländischen Kriege abwechselnd in die Ohren. Darf sie irgendwann nach den vielen Losungen endlich eingeschlafen, verlässt er auf Zehenspitzen und in voller Kampftruppenmontur die Wohnung. Geübt schraubt er Straßenschilder von Geächteten über neue Namen, führt stolz Kontrollen an Kreuzungen durch, inspiziert Autokinos oder entrollt Transparente mit SED-Parolen auf alterschwachen Dächern. Ab und zu setzt er sich auch in Gaststätten und belauscht begierig die konsumkritischen Meinungen der Anwesenden ab. Und bis weit nach Mitternacht notiert er eifrig deren Gedanken über den im Absterben befindlichen Kapitalismus in seinen knallroten Schulhefter.
Kommt der Damalige mit der unerschütterlichen Gewissheit für die gerechte Sache unterwegs zu sein wieder in den verschmutzten Wohnblock, wirft er die tagesgenaue Junge Welt und das Neue Deutschland in den kaputten Briefkasten. Er schleicht in die Wohnung, stellt den Ruhla-Wecker und legt sich neben seine Freundin. Dankbar steckt er ihr einen seiner zahllosen Orden an das Nachthemd. Neben ihr liegend, überlegt er beim Schimmer des Metalls ob es nicht an der Zeit wäre, eine neue Einheitspartei zu gründen. Er schließt die Augen und ist sich sicher, dass die sozialistische Idee niemals untergehen darf. Um das zu verhindern, ist er aus der Wohngegend seiner reichen Eltern mit den nörgelnden Nachbarn zu den Ausgestoßenen des Kapitalismus gezogen. Außerdem hat er seine Wohnung liebevoll mit Alltagsgegenständen aus der DDR vollgestellt, damit diese ihn immerzu an den großen Traum der Menschheit erinnern.
Fährt der Damalige in den Ferien endlich in den Urlaub, wandert er zum Verdruss seiner Freundin, den antifaschistischen Schutzwall mehrfach auf und ab, steigt begeistert auf Armeekontrolltürme oder spielt leidenschaftlich Passkontrolle an einem der vielen verlassenen Grenzübergänge.
Würde man den Pförtner nach dem Damaligen befragen, würde er die rechte Hand zur Faust ballen um sie danach flach über den nicht vorhandenen Scheitel zu wischen. Anschließend würde er an der Oberlippe kratzen und im oberösterreichischen Dialekt aus dem Kapital zitieren. Weiterhin würde er mit nicht ernst gemeinter Stimme versprechen, die gestohlenen Teile aus dem Pitty-Motorroller reumütig wiederzugeben.