Welche Fahrt?

„In Ordnung. – Wo fahren wir hin?“
„Entschuldigung?“
„Was denn? Anschnallen? Ist das Ihr Ernst? So hätte ich Sie nicht eingeschätzt.“
„Wollen Sie mich verarschen?“
„Fahren Sie!“
„Was? Warum sollte ich?“
„Wäre ‚Weil grün ist!‘ ein überzeugendes Argument? Fahren Sie schon!“
„Nicht, so lange Sie neben mir sitzen!“
„Hören Sie das Geräusch? Damit bringen die Fahrer hinter Ihnen ihre Frustration zum Ausdruck. Fahren Sie!“
„Also schön. Aber nur bis zur nächsten Parklücke. Dort steigen Sie aus!“
„Parklücke? In diesem Viertel? Sie sind niedlich, ich hab’s mir gedacht. Außerdem geht die Fahrt doch gerade erst los!“
„Welche Fahrt?“
„Woher soll ich das wissen? Sie fahren. Hier wären übrigens 50 erlaubt.“

„Sind sie auf der Flucht?“
„Sehe ich aus als hätte ich eine Bank überfallen? Ich habe dazu mal recherchiert – aus rein beruflichem Interesse, versteht sich. Die Sicherheitsvorkehrungen der Banken heutzutage verderben einem den ganzen Spaß. Aber glauben Sie mir: Falls ich jemals eine Bank überfalle, würde meine Beute nicht in meine kleine Tasche hier passen. Geben Sie einen guten Komplizen ab?“
„Werden Sie verfolgt?“
„Wer soll mich verfolgen? Agenten? Auftragskiller? Wie aufregend! Aber nein.“
„Ihr eifersüchtiger Ehemann?“
„Sie täuschen sich. Dem bin ich nachgelaufen. Viel zu lange.“
„Ein Kaufhausdetektiv?“
„Halten Sie mich für eine Diebin? Wie langweilig. Oder eine Kleptomanin? Denken Sie, ich sei verrückt?“

„Sind Sie es? Bis zur Nervenklinik sind es nur drei Stationen mit der Straßenbahn. Sind Sie abgehauen?“
„Wie unverschämt Sie sind!“
„Ich versuche nur zu verstehen, was hier passiert!“
„Nein, Sie beleidigen mich! Ich bin doch keine Verrückte. Und überhaupt: Verrückt! Was heißt das schon?“
„Ich frage anders: Sind sie derzeit in psychotherapeutischer Behandlung?“
„Selbstverständlich. Jeder sollte in psychotherapeutischer Behandlung sein. Für mich ist das eine Frage der Hygiene. Sind Sie in Therapie?“
„Was? Nein.“
„Dachte ich mir. Wie aufgeregt Sie sind. Ein unbehandelter Choleriker.“
„Sind Sie von Verstehen Sie Spaß?“
„Haben Sie das mal gesehen, seitdem das dieser blonde Schmierlappen moderiert?“
„Wer? Nein.“
„Fürchterlich. Für den würde ich mich niemals hergeben.

„Also: Was soll das hier werden?“
„Ich hatte auf eine inspirierende Fahrt gehofft.“
„Ihnen ist klar, dass ich kein Taxi fahre?“
„Sicher. Wenn Taxis in demselben fliedermetallic lackiert wären, wie Ihr Wagen würde übrigens kein Mensch Taxi fahren.“
„Und Sie sind keine Anhalterin?“
„Mitnichten. Ich kann mir eine Beförderung in komfortableren und eleganteren Verkehrsmitteln erlauben. Sie haben ja offenbar nicht einmal eine Klimaanlage. Und einen Handstaubsauger auch nicht. Ist Ihnen hier drin eine Packung Cornflakes explodiert?“

„Warum sind Sie an dieser Ampel in mein Auto gestiegen?“
„Sie haben darum gebeten!“
„Wie bitte?“
„Das war doch offensichtlich! Wie Sie mich angestarrt haben!“
„Ich?“
„Sekundenlang!“
„Ich habe lediglich Ihren Hut bestaunt. Diese aufgesteckte rote Seerose. Ist das Seide?“
„Ganz recht. Gefällt Sie Ihnen?“
„Oje, sind Sie – ich meine – eine Professionelle?“
„Eine Hure?“
„Man sagt Prostituierte.“
„Eine Nutte?“
„Ich versuche mir doch nur einen Reim zu machen!“
„Überlassen Sie das dichten lieber mir. Wenn nicht unser beider Leben von Ihrer Konzentration auf den Straßenverkehr abhinge, würde ich sie jetzt ohrfeigen. Und dann nochmal!“

„Hören Sie, ich werde an der nächsten Kreuzung wenden und sie zur Klinik fahren. Vielleicht ist das eine Art Anfall.“
„Allerdings. Einen Tobsuchtsanfall! Sind Sie immer so ein – Verzeihung! – Kotzbrocken? Ihre Frau tut mir leid.“
„Achso!“
„Achso ist keine Antwort.“
„Vanessa steckt dahinter.“
„Wer ist Vanessa?“
„Jetzt tun Sie doch nicht so!“
„Hätten Sie die Güte, mich davon in Kenntnis zu setzen, worüber Sie sprechen?“
„Sie gibt Ihnen Geld dafür, oder?“
„Wofür?“
„Dafür, dass sie mich fertig machen. Damit ich eine schlechte Figur mache, gleich.“
„Was ist denn gleich?“
„Dieses Miststück!“
„Hören Sie, ich kenne Ihre Frau nicht, aber wenn Sie sie wiedersehen, werden Sie ihr ausrichten, dass Sie mein vollstes Mitgefühl genießt.“
„Einen feuchten Scheiß werde ich.“

„Diese Gossensprache! Widerlich! Nichts davon kann ich verwenden.“
„Sind Sie Schauspielerin?“
„Dabei sahen Sie so nett aus. So verwegen! Wie Sie mit Ihrer Pilotensonnenbrille am Steuer saßen, mich ansahen und sich mit Daumen und Zeigefinger durch den Bart fuhren. Ich war mir sicher: Der hat was. Aber ich habe mich getäuscht wie selten!“
„Sie machen das öfter?“
„Ich habe das noch nie gemacht.“
„Aber das haben Sie gerade gesagt. Ist das Ihre Art Männer kennenzulernen? Stellen Sie sich an eine Ampel und warten bis einer kommt, den Sie hübsch finden? Und zu dem steigen Sie dann ins Auto?“
„Ich habe nicht gesagt, dass ich Sie hübsch finde. Ich habe gesagt, Sie sahen nett aus.“
„Und verwegen. Was auch immer das bedeutet. Jedenfalls bin ich bestimmt nicht: nett!“
„Leider nicht. Dabei – ich fantasiere jetzt – hätte das ein schöner Anfang für eine Romanze sein können, nicht? Eine unerhörte Begebenheit gleich zu Beginn, aus der sich dann eine herzerwärmende Liebesgeschichte entwickelt. Aber Sie sind ein solcher Flegel. Ein Jammer.“
„Und Sie sind 20 Jahre zu alt für mich.“
„Sage ich doch: ein furchtbarer Flegel.“

„Für mich fühlt sich das hier auch nicht wie eine Romanze an sondern wie ein Psychothriller. Zugestiegen, zugeschlagen – entführt von einer Wahnsinnigen.“
„Das ist schlecht! Aber interessant! Würde sich das denn lohnen?“
„Was?
„Sie zu entführen? Haben Sie jemanden, der bereit wäre ein paar Tausend Euro für Sie hinzublättern? Ihre Ehefrau scheint ja ein Interesse daran zu haben, Sie loszuwerden.“
„Wenn ich nicht in 12 Minuten im Gericht bin, wird das allerdings heute wohl leider nichts mehr.“
„Im Amtsgericht? Aber fast dort bin ich doch eingestiegen.“
„Was?“
„Nichts. – Sie haben gar kein Geld, oder?“
„Heute Abend wahrscheinlich nicht mehr. Sie wollen Geld?“
„Warum sollte ich Sie denn sonst entführen wollen? Was würde ich mit einem wie Ihnen denn anfangen? Gutaussehend aber ohne jegliche Manieren. So ein einfacher Charakter.“
„Ich könnte ihr Chauffeur sein.“
„Sie haben nicht etwa doch einen Fetzen Humor? Nun, also keine Entführung. Schade. Es hätte sicher Spaß gemacht ein Erpressungsvideo mit Ihnen zu drehen. Kennen Sie sich mit Technik aus? Erst hätten Sie die F.A.Z. von heute ins Bild halten müssen und dann in weinerlicher Panik davon berichtet, wie sehr Sie sich vor mir fürchten. Herrlich.“

„Das hätte ich nicht einmal spielen müssen.“
„Sie haben Angst vor mir? Machen Sie sich nicht lächerlich.“
„Also berechenbar sind Sie nicht gerade.“
„Aber Sie sind mir doch haushoch überlegen. Also: körperlich.“
„Was weiß ich, was Sie da in Ihrer Tasche haben?“
„Sie fürchten sich vor einer altrosa Clutch? Oh ja, sehen Sie, wie gefährlich ich darin krame?“
„Was wird das jetzt?“
„Gleich, gleich habe ich meine Nagelfeile gefunden und dann hohle ich Schwung und dann ramme ich Sie Ihnen mit aller Wucht in die Halsschlagader. Aber diese Sauerei! Außerdem ein alter Hut.“
„Sie sind ja komplett durchgedreht!“
„Ich? Sie haben doch die albernen Gewaltfantasien! Ich spiegele Sie nur.“
„Sie steigen da vorne aus und suchen sich jemand anderen zum Spiegeln.“
„Und Sie sind besser nett zu mir. Mir ist gerade eingefallen, dass ich sogar noch eine Nagelschere dabei habe. Die könnte ich Ihnen – Zack! – mitten ins Herz treiben.“
„Warum, zum Teufel?“
„Richtig. Ich habe kein Motiv.“
„Außerdem würde ich mich wehren.“
„Nicht, wenn ich Ihnen vorher Parfum in die Augen sprühe.“
„So wie sie riechen, dürfte nicht mehr viel im Flakon sein.“
„Wie charmant Sie sind.“
„Das ist Cašmir, oder?“
„Woher wissen Sie das?“
„Einmal habe ich es Vanessa geschenkt. Sie hasst es. Aber ich dachte wir hätten uns darauf geeinigt, dass ich hier die Fragen stelle.“
„Oh, ist das ein Quiz?“
„Dann sähe es schlecht aus für Sie. Sie antworten leider nicht.“
„Ich tue nichts anderes, seitdem wir losgefahren sind! Oh, läuft meine Zeit ab? Oder was bedeutet dieses Piepsen?“

„Verrdammt. Tank leer. Ist es in Ordnung, wenn ich Sie da vorn rauslasse?“
„Sie glauben, dass Sie weniger Benzin verbrauchen, wenn ich nicht neben Ihnen sitze? Haben Sie mich gerade fett genannt?“
„Da vorn ist eine Tankstelle. Ich tanke. Sie steigen aus.“
„Ich werde im Wagen warten.“
„Jetzt kapiere ich: Es geht Ihnen um den Wagen!“
„Das alte Ding?
„Der ist ein Vermögen wert!“
„Oh, tatsächlich?“
„Das ist ein Manta!“
„Wenn Sie meinen.“
„Wir machen einen Deal. Ich tanke, sie gehen rein und bezahlen.“
„Für wie dämlich halten Sie mich?“
„Sie haben doch reichlich Geld, nehme ich an.“
„Aber ich weiß, dass Sie wegfahren, sobald ich aussteige. Grinsen Sie nicht so dämlich. Wegfahren und mich hier stehen lassen, mitten in diesem gottverlassenen Gewerbegebiet – das würden Sie. Flegel.“
„Aber sie erwarten nicht ernsthaft, dass ich Sie in meinem Wagen alleine lasse, oder?“
„Warum nicht?“
„Wegfahren und mich hier stehen lassen, mitten in diesem gottverlassenen Gewerbegebiet – das würden Sie.“
„Das ist albern. Ich kann gar keinen Wagen lenken.“
„Ich habe keine Zeit für diese Mätzchen. Geben Sie mir Ihr Portmonee. Oder, nein: Geben Sie mir Ihre Tasche!“
„Warum sollte ich?“
„Sind sie taub oder dement? Ich muss tanken. Sie steigen nicht aus und ich riskiere nicht meinen Wagen für Sie.“
„Nehmen Sie doch einfach die Schlüssel mit.“
„Das Ding ist leicht kurzzuschließen.“
„Sie trauen mir zu, dass ich einen Wagen knacken kann? Aus Ihrem Mund ist das fast ein Kompliment.“
„Ihre Tasche!“
„Also gut. Hier meine Kreditkarte. Eins sieben fünf null. Und machen Sie langsam. Wenn ihr Gerichtstermin um 12 war, sind Sie bereits zu spät.“
„Das darf doch nicht wahr sein!“
„Es ist wahr und zwar seit genau sieben Minuten. Nehmen Sie es als Zeichen.“
„Als Zeichen? Wofür?“
„Dafür dass Ihre Ehe noch nicht vorbei ist. Im Gegensatz zu meiner.“

„Also gut. Wo fahren wir hin?“
„Mögen Sie Wasser?“
„Mein Ex-Mann hat eine Hütte auf Rügen, weilt derzeit jedoch mit seiner neuen Flamme auf Korfu. Können Sie Schlösser knacken?“
„Warum machen Sie das?“
„Ich habe mich einfach ein bisschen gelangweilt.“

Veröffentlicht von

Korbinian

Korbinian Saltz wurde im November 1978 in Kapstadt geboren. Seitdem ist er unterwegs in Richtung Norden. Weil er ein miserabler Fotograf ist, versucht er alles, woran er sich erinnern möchte in Worten zu bewahren. Einige davon veröffentlicht er hier. Andere auf korbiniansaltz.de

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