Dating in Zeiten von Corona

Nach 24 Matches wurde es der eine, den ich als erstes empfangen wollte. Bereit meine Arme, mein Herz zu öffnen, vereinbarten wir ein erstes Date.

Hierfür präparierte ich:

1 die Frisur: frisch parfümiert und zur Seite gelegt, offen (das mögen die Männer)

2 den Körper, die Haut des Körpers: in Lotion gebettet und durch Glitzerpartikel bereit, endlich zu strahlen

3 das Oberteil: schmal geschnitten und figurbetont (was sonst)

4 die Hose: eng, aber nicht zu eng (man will ja nicht negativ auffallen)

5 die Unterwäsche (für den Fall der Fälle): in roter Spitze, oben wie unten eine Einladung zum Auspacken oder Anschauen

6 die Strümpfe (unterschätzt): leicht durchsichtig und mit Spitze versehen, passend zur Unterwäsche (rot) und anmutig

7 das Make-up: dezent (auch das mögen die Männer)

8 Schmuck: Ohrringe (kleine Steine), eine schmale Kette (säumt das Dekolletee, verstecken muss man ja nichts)

9 die Jacke: eine Jeansjacke, die dem Ganzen einen lockeren Touch verleiht

Da sah ich in den Spiegel und sah, dass es gut war.

Die Zeit war ausgemacht, ich hatte noch eine Stunde, um zum Ort des Geschehens zu kommen und nicht abgehetzt pünktlich zu erscheinen.

So lief ich durch die Landschaft: ein paar Kinder weinten am Rande der Spielplätze, da die Rutschen und Schaukeln abgesperrt wurden mit rotem Band (passend zur Unterwäsche).

Die Schreibwarenläden waren geschlossen und auch die Mode wartete darauf, später wieder entdeckt zu werden. Das alles brauchte ich nicht, denn heute würde ich das Date meines Lebens erleben. Bereit meine Arme auszubreiten und mein Herz zu öffnen (vielleicht auch alles andere).

So lief ich und lief ich und strahlte bis über beide Seiten des Gesichts.

Einmalig genug, endlich den Tag meines Lebens für den Rest meines Lebens zu erleben.

Ich traf ein und setzte mich an einen kleinen Tisch. Der Tisch befand sich in der Nähe der Tür: so konnte ich ihn gut sehen (was ja kein Nachteil sein muss, ihn zuerst zu sehen).

Und innerhalb weniger Sekunden traf auch er ein.

Bevor er das Lokal betrat, setze er eine Atemmaske auf und sprühte die Hände ein. Die Ärmel bereit, die Tür sicher und gewagt zu eröffnen. Sein Haar wehte im Wind.

Dann war er drin und lächelte vermutlich darüber, mich zu sehen.

Mit letzter Gewissheit ließ sich das allerdings nicht bestimmen (das Gesicht war doch stark verdeckt – von bahnbrechender Sicherheit).

Da redeten wir über Gott und die Welt (vermutlich, leider verstand ich ihn sehr schlecht).

Doch seine Augen funkelten (ganz gewiss) in meine Richtung.

So vereinbarten wir, gemeinsam nach Hause zu gehen und zuvor noch in einen Baumarkt ein paar Erledigungen zu verrichten.

Im Baumarkt kaufte er sehr rasch eine helle Plane, für davor und danach, wie er mir versicherte. Das wenigstens hatte ich verstanden.

Ich bewunderte seine Eindeutigkeit!

Da liefen wir zu mir, er breitete die erste Plane über das Bett aus, dann holte er einen Sack aus seinem Rucksack und stülpte ihn sich über.

So sicher, war ich noch nie in den Armen eines Mannes gewesen!

Kollegen sind tabu, aber Alkohol ist schlecht für die Deckung

Kollegen sind natürlich tabu. Privates und Dienstliches ist voneinander zu trennen, das hat schon mein Vater gewusst und er konnte das auch erklären: Wenn das Dienstliche privat wird, wird es meistens kompliziert. Meine Mutter und die Sekretärin meines Vaters bestätigen das. Aber diesen einen Kollegen ein klitzekleines bisschen anzuhimmeln, macht mir Spaß und hat mich schon in einigen Sitzungen davor bewahrt, alberne Blümchen in mein Notizbuch zu kritzeln, so wie es meine Chefin macht, der ihrem Notizbuch nach zu urteilen sehr offensichtlich jemand zum Anhimmeln fehlt. So ein bisschen Schwärmerei kann niemandem schaden finde ich, insbesondere dann nicht, wenn schwärmen bedeutet, dem Schwarm gegenüber dermaßen lässig aufzutreten, dass dieser zurecht daran zweifeln darf, ob man seine Existenz überhaupt bemerkt. Aber Alkohol ist schlecht für die Deckung.

Er ist betrunken und ich bin betrunken und schon während er zur Bar torkelt, an der ich auf meinen Mojito warte, denke ich: Meine Fresse, eine Betriebsfeier, wie in den „So bewahren Sie auf einer Betriebsfeier ihr Gesicht“- Ratgeber-Artikeln auf Welt Online. Jetzt reiß dich also zusammen, denke ich, und verliere nicht dein Gesicht, nur weil seines so niedlich ist. Und als er die Bar erreicht sage ich: „Hey Mattis!“ und verkneife mir gerade so das „Wie geht’s altes Haus?“, worauf ich sehr stolz bin, weil es beweist, dass ich noch nüchtern genug bin um zu merken, dass ich nicht lässig klinge, sondern wie ein erkälteter Azubi im Team von Cobra 11. Mattis bestellt das Gleiche wie ich, ohne zu wissen, was ich bestellt habe. Er mag mich vielleicht doch, denke ich, und im nächsten Moment denke ich, ach was, der ist einfach betrunken. Ihm ist egal, was ihn gleich noch betrunkener macht und mir kann egal sein, ob er mich mag oder nicht.

Er klettert auf den Barhocker neben mich und brummt: „Weißt du, Korbi, eins muss ich dir mal sagen.“, und ich denke, reiß dich ja zusammen verliere bloß nicht dein Gesicht und vor allem: nenne mich nie wieder Korbi. Er zündet sich eine an und lässt seinen Blick in die Ferne schweifen und ich muss lachen, weil niemand so schön gender performt wie Mattis Hansen. Aber als der Rauch des ersten Zuges langsam aus seiner Mundhöhle entlang seiner vollen Oberlippe an seinen Bartstoppeln nach oben steigen will und er ihn plötzlich wieder einzieht, wobei er ein rückwärts gesprochenes S macht, fällt mir das Lachen aus dem Gesicht und mir wird ein bisschen heiß. Klischee hin oder her.

„Ich habe ja schon ein Jahr bei euch gearbeitet, bevor ich kapiert habe, dass du schwul bist.“, sagt er und lässt denn Rauch durch leicht geschürzte Lippen entweichen und ich sage „Oh.“ und ziehe die Augenbrauen hoch. „Also eigentlich habe ich es gar nicht kapiert“, sagt er, bevor er den nächsten Zug nimmt, „Jenny hat’s mir erzählt und ich dachte erst, die verarscht mich. Aber dann hast du gesagt, dass du Marco Schreyl heiß findest und da war es dann klar.“ Das einzige, was mir klar wird ist, dass ich mein Gesicht längst verloren habe und zwar irgendwann in einem neonröhrenbeleuchteten Großraumbüro, stocknüchtern aber viel zu redselig. Glücklicherweise muss ich nicht mehr als „Naja.“ antworten, weil Mattis schon weitererzählt.

„Weißt du, ich kenne ja keine Schwulen. Der einzige Schwule, den ich jemals kannte, war beim Bund mit mir auf der Stube und das war voll die Tucke. Der war total anstrengend und hatte es nicht leicht.“ Ich sage „Aha.“, und bete dafür, dass mir dieser Zeitlupenkünstler von einem Barkeeper endlich meinen Mojito serviert, damit ich mir einen Eiswürfel in den Mund stecken kann, und gar nicht mehr antworten muss. Es dauert bis zu Mattis‘ „Aber du bist ja nicht so.“, bis meine Gebete endlich erhört werden und ich mir den Strohhalm zwischen die Zähne klemmen kann, damit meine Zunge ja kein dummes Zeug mit meinen Zähnen formuliert. „Du bist ein gestandener attraktiver Mann.“, sagt Mattis als nächstes und es ist sein Glück, dass ich ihn ein bisschen anhimmle, andernfalls hätte ich ihn jetzt in eine Diskussion darüber verwickeln müssen, was er ungewöhnlich daran findet, dass homosexuelle Männer gestanden und attraktiv sein können, und diese Diskussion verliert man gegen mich. So aber fasse ich das als Kompliment auf und spüre, wie ich puterrot werde.

Als mich Mattis dann fragt, ob ich schon immer schwul war, zerstäube ich mit dem feinen Alkoholnebel, den ich unkontrolliert in die Luft pruste, auch jegliche Hoffnung auf die Existenz Gottes. Mattis guckt mich ernst an, obwohl, ernst ist das falsche Wort. Er guckt so, wie jemand guckt, der mit ehrlichem Interesse das Verhalten eines ihm unbekannten Tieres studiert. Und weil ich ihn nicht bloßstellen will, verschleiere ich meinen Lachanfall zu einem Hustenfanfall. Ich konnte ja nicht ahnen, dass er mir erst fest auf den Rücken klopfen und als nächstes sanft über die Schulter streichen würde. Als ich mich wieder gefangen habe, einige Sekunden nachdem er seine Hand wieder bei sich hat, sage ich: „Ich bin ungefähr so lange schwul, wie du hetero bist.“ und finde, dass ich jetzt gelassener klinge, als ich mich fühle. Mattis zeigt mir sein schönes Lächeln und ich zeige Mattis mein verlegenes Grinsen und wie gut mein Herz mein Gesicht durchblutet, und weil das ja nicht für immer so weiter gehen kann, sage ich: „Aber ich habe schon mal mit einer Frau geknutscht, falls du das meinst.“

Der Barkeeper serviert Mattis seinen Mojito und ich begreife, dass das Gleiche wie ich zu bestellen kein Ausdruck besonderer Sympathie, sondern Zeugnis besonderer Rationalität war. Mattis musste auf seinen Mojito viel kürzer warten, als ich auf meinen und das lag daran, dass der Barkeeper nur einmal zu mixen anfangen musste. „Prost!“, sage ich und Mattis sagt: „Nur einmal?“, und ich denke, wieso soll ich „Prost! Prost!“ sagen, wenn du nicht wenigstens „Prost!“ sagst, aber ich schweige lieber, weil ich befürchte, dass es peinlich werden könnte und das ist klug. Ein paar Sekunden später begreife ich nämlich, dass er das Knutschen meint und nicht das Trinken. „Ja, nur einmal“, antworte ich schließlich, „und das war interessant, weil sich die Frau viel weicher und viel weniger stachlig anfühlte als alle Männer, die ich jemals küsste.“ Mattis nickt langsam und fängt an, mit seinem Strohhalm den Saft aus den Limettenachteln am Boden seines Glases zu drücken, und ich würde einen Zehner dafür geben, zu erfahren, was er denkt. Dann presst er die Lippen zusammen und ich schmunzele darüber, dass er sich für das bisschen Saft so konzentrieren muss. Der denkt gar nichts mehr, denke ich.

„Na klar“, sagt Mathis dann unvermittelt und ohne seinen Blick vom Glas abzuwenden, „man muss alles mal ausprobieren, eigentlich.“, woraufhin mir unwillkürlich der Mund aufgeht. Aber anstatt etwas zu sagen, zum Beispiel „Falls du mal Knutschen mit einem Mann ausprobieren willst, ich schmecke gerade nach Minze, Zucker und Limetten.“, trinke ich lieber einen großen Schluck und starre auch ein bisschen in mein Glas.

Als ich das betretene Schweigen nicht mehr aushalte sage ich: „Lass uns wieder rüber zu den anderen gehen.“ und Mattis sagt:
„Jo.“, aber er sieht mich nicht an. Während ich vom Barhocker klettere, lege ich meine Hand zur Stütze auf seine Schulter und als ich merke, wie hart und warm die ist, ärgere ich mich schon. Hätte ich nur mal mein Gesicht riskiert, um sein niedliches zu küssen. Bis zur nächsten Betriebsfeier muss es erst Herbst, Winter, Frühling und wieder Sommer werden.